Der "Air Buddy" des Industrial-Design-Studierenden Florian Koneczny: ein multifunktionaler Servierwagen, der Pflegebedürftige durch den Tag begleitet.

Rendering: Florian Koneczny

Ein Blindenstock unterstützt sehbeeinträchtigte Menschen dabei, Hindernisse, Niveauunterschiede und Orientierungshilfen zu erkennen. Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung legen den Gedanken nahe, der Mobilitätshilfe auch neue Funktionen zu geben. Geeignete Sensoren könnten die Wahrnehmung weit über die Stocklänge hinaus erweitern und bedürfnisgerecht für die Nutzer aufbereiten und zugänglich machen.

Ein Sensorblindenstock dieser Art war Thema eines der Projekte der Abteilung Industrial Design der Kunst-Uni Linz. Professor Mario Zeppetzauer beobachtet, dass sich in der praxisnah ausgerichteten Studienrichtung ein großer Anteil von Studierenden auf Produkte mit sozialer Relevanz konzentriert und sich so ein Schwerpunkt in diesem Bereich herauskristallisiert.

"Grundsätzlich sind wir im Bereich Industrial Design sehr breit aufgestellt. Man sieht aber an der Reaktion der Studierenden, dass Projekte mit sozialem Themenanteil auf besonders hohes Interesse stoßen." Dazu gehören etwa Designstudien, die Barrierefreiheit verinnerlichen oder in die Bereiche Pflege oder Medizintechnik hineinreichen. Die Resultate der Beschäftigung mit Industrial Design an der Kunst-Uni Linz waren zuletzt bei einer hauseigenen Ausstellung, den – erstmals seit drei Jahren wieder ausgerichteten – "Design Days", zu sehen.

Blindenstock

Wichtig ist, Designprozesse immer gemeinsam mit der Zielgruppe der entstehenden Produkte durchzuführen, betont Zeppetzauer. Im Fall des Blindenstocks, ein Studierendenprojekt von Philip Mühlbacher, wenden sich die Forschenden also an einschlägige Verbände und Institutionen.

"Ursprünglich dachten wir an eine Hilfe, die das Stiegensteigen erleichtert. Von der Zielgruppe war aber zu hören, dass gerade hier kaum weitere Unterstützung nötig sei. Was dagegen ein Problem ist, sind andere Menschen auf der Straße, die so in ihr Smartphone vertieft sind, dass sie die blinden Personen über den Haufen laufen", veranschaulicht Zeppetzauer die Arbeit am Projekt, das gemeinsam mit der FH MCI Innsbruck entstand.

Die Radarsensorik, die für den Stock vorgesehen ist, muss also nicht nur auf Niveauunterschiede in unmittelbarer Nähe, sondern auch auf entferntere und bewegliche Ziele ausgerichtet sein.

Töne und Vibrationen

Ein weiterer wichtiger Fragenkomplex: Über welches Sinnesorgan kommuniziert man blinden Menschen die gesammelte Information? Tonsignale über einen Lautsprecher im Ohr, Vibrationen oder vielleicht sogar Temperatursignale, die an die Hand des Stockträgers übermittelt werden? Auch hier half das Feedback der Zielgruppe: "Das Hören ist jener Sinn, der den Blinden im täglichen Leben am meisten hilft. Er darf nicht durch zusätzliche Tonsignale beeinträchtigt werden, auch wenn sie von einem Hilfsmittel kommen", erklärt Zeppetzauer.

"Im Endeffekt bieten wohl Vibrationen die meisten Vorteile. Auch hier kann man mittels Impulsmustern anzeigen, wie weit ein Objekt entfernt ist und wie schnell es sich bewegt." Letztendlich wurde die Entwicklungsarbeit durch Designvorschläge für den Blindenstock, durch Modellierungen des Griffs sowie durch einen Prototyp abgebildet.

Erste-Hilfe-Kit

Gerade in einer alternden Gesellschaft mit ihren besonderen Bedürfnissen in den Bereichen Wohnen und Pflege entstehen auch viele spezielle Anforderungen an genau auf die Zielgruppen abgestimmte Produktdesigns. An der Kunst-Uni Linz arbeitet man in diesem Umfeld beispielsweise auch mit einem Anbieter in Hongkong zusammen.

"Viele Menschen werden plötzlich zu einem Pflegefall und müssen feststellen, dass ihre Wohnung nicht auf ihre neuen Bedürfnisse ausgerichtet ist", sagt Zeppetzauer. "In Gruppenprojekten haben wir uns deshalb etwa über eine Art Erste-Hilfe-Kit für derartige Situationen Gedanken gemacht." Dazu gehört etwa der multifunktionale Servierwagen von Florian Koneczny, der vom Nachtkästchen bis zum Rollator viele Funktionen erfüllt. Alle wichtigen Medikamente und Gegenstände sind so immer dabei.

Chamäleon als Vorbild

Die Studie von Florian Huber widmete sich dagegen einem eigenen Kleidungssystem für Pflegebedürftige, die beispielsweise unter Rückenleiden oder Inkontinenz leiden. Multifunktionalität und schnelles Umkleiden im Liegen werden dabei zu wichtigen Kriterien.

Aus der Kooperation mit Physiotherapeuten resultierte Nicole Hübschers Projekt: eine Greifhilfe für Menschen mit beeinträchtigter Bewegungsfähigkeit. "Das Prinzip orientiert sich an einem Phänomen in der Natur – der Greiffunktion der Zunge eines Chamäleons, die durch eine komplexe Muskelanordnung an der Spitze ihr Ziel beinahe umschließen kann", erklärt Zeppetzauer. "Bedient wird die Greifhilfe über einen Griff in Kugelform, die auch Menschen mit Beeinträchtigungen noch am ehesten fassen können." (Alois Pumhösel, 12.6.2022)