Zumindest eine Errungenschaft für Homosexuellenrechte gab es jüngst: Schwule Männer sind nicht länger vom Blutspenden ausgeschlossen. Stattdessen soll in Zukunft gelten: Wer in den vergangenen drei Monaten mit mindestens drei Menschen Sex hatte, darf drei Monate lang keine Blutspende abgeben – unabhängig von der sexuellen Orientierung.

Abgesehen davon passiert in Österreich scheinbar wenig, um die Rechte von LGBTIQ-Personen zu stärken. So sieht das zumindest der Neos-Abgeordnete Yannick Shetty – naturgemäß anders schätzt das im Interview mit dem STANDARD die Grüne Ewa Ernst-Dziedzic ein.

Yannick Shetty (Neos) und Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) im Gespräch darüber, ob Österreich genug für LGBTIQ-Personen tut – und darüber, was es tun müsste.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Wann haben Sie das letzte Mal Blut gespendet?

Shetty: Habe ich noch nie.

Ernst-Dziedzic: Früher habe ich das öfter gemacht, ich habe Blutgruppe null. Aber ich bin ja auch nicht ausgeschlossen.

STANDARD: Dürften Sie nach der neuen Regelung überhaupt Blut spenden?

Ernst-Dziedzic: Ich durfte auch bisher. Es waren ja Männer, die Sex mit Männern hatten, und Frauen, die mit diesen Männern Sex hatten, ausgeschlossen. Das trifft auf mich nicht zu.

Shetty: Wenn, so wie angekündigt, tatsächlich die 3-mal-3-mal-3-Regel kommt, dann dürfte ich.

STANDARD: Diese Neuerung hat Jahre gedauert. 2017 haben wir den Verfassungsgerichtshof gebraucht, um die Ehe für alle möglich zu machen. Ist Österreich homophob?

Shetty: Die Mehrheit der Bevölkerung ist eigentlich sehr progressiv, aber es gibt einen harten Kern, der größer wird und der Homophobie stärker nach außen trägt. Das betrifft konservative, ländliche Regionen, aber auch religiöse Communitys – die katholischen, aber auch immer mehr die muslimischen.

Ernst-Dziedzic: Was dazukommt: Wir haben in ganz Europa ein Rollback, was progressive Politik angeht. Das trifft auch die LGBTIQ-Bewegung. Und zwar nicht nur in Ungarn, Polen oder der Türkei. Auch in Österreich. Da gibt es weltweite gut finanzierte Netzwerke, die alle feministischen, emanzipatorischen Errungenschaften bekämpfen wollen, die bewusst ihre Leute in die Politik und in NGOs entsenden. Das sehe ich als Gefahr an.

Shetty: Zum Beispiel deine Kollegin von der ÖVP, Gudrun Kugler.

Ernst-Dziedzic: Zum Beispiel.

STANDARD: Sie sind beide seit Herbst 2019 im Nationalrat. Und ja, seither werden Hassverbrechen neu erfasst, dazu das Ende des Blutspendeverbots. Aber was ist sonst konkret passiert für die LGBTIQ-Community in Österreich?

Shetty: Die Ewa wird jetzt sicher viel aufzählen, aber ich frage mich das auch. Wenn man die Blutspenden weglässt, hat sich nichts getan. Da gab es Symbolisches – etwa dass die Justizministerin Alma Zadić sich entschuldigt hat bei Homosexuellen, die von Strafgerichten verurteilt worden sind. Da würde ich mir wünschen, dass man die auch entschädigt.

"Ewa, du redest wie eine ÖVP-Langzeitpolitikerin." – Yannick Shetty, Neos
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Ernst-Dziedzic: Die Entschuldigung war berührend und wichtig für Österreich. Ich gebe dir recht, wir müssen die Betroffenen auch entschädigen. Der politische Wille ist da, nun hängt es an Budgetverhandlungen. Wir haben ein Budget erhoben, was es bräuchte. Außerdem soll im Juni ein Gesetzesentwurf zu den Konversionstherapien, die Homosexuelle "umpolen" sollen, vorliegen. Genauso wie wir einen Beschluss haben, mit dem wir verunmöglichen wollen, dass bei intergeschlechtlichen Kindern geschlechtsanpassende Operationen gemacht werden, wenn das nicht notwendig ist. Dazu arbeitet ein Expertenteam.

STANDARD: Bleiben wir bei der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller. 13.000 Personen haben zwischen 1950 und 1971 teils ihre Existenz verloren, weil sie lieben, wen sie lieben, das wissen wir schon lange. Wie viel vom Budget wird es brauchen, um sie zu entschädigen?

Ernst-Dziedzic: Etwa 700.000 Euro. Was ein Klacks ist, wenn man so möchte.

STANDARD: In Österreich ist es nicht strafbar, Homosexuelle zu "heilen". Frau Ernst-Dziedzic, vor zwei Jahren haben Sie da eine Änderung angekündigt. Was kommt da, und wann kommt es?

Ernst-Dziedzic: Man lässt sich so viel Zeit, weil es ums Strafrecht geht. Da muss man die Konsequenzen ausloten.

Shetty: Ewa, du weißt, ich schätze dich sehr, aber du redest wirklich schon ein bisschen – sorry to say – wie eine ÖVP-Langzeitpolitikerin. Es gibt fixfertige Entwürfe, in Deutschland hat der konservative Minister Jens Spahn geschafft, was grüne Minister nicht schaffen. Und das Gesetz dort hat nur einige wenige Paragrafen, also that's not rocket science.

Ernst-Dziedzic: Das ist ja nicht eins zu eins auf Österreich übertragbar.

STANDARD: Und dann ist da noch die Änderung des Gleichbehandlungsgesetzes. Da sollen ja Gespräche laufen, wie weit sind die?

Ernst-Dziedzic: Das sind besonders harte Bretter. Es liegen für Österreich fertige Gesetzesentwürfe vor, das war vor uns in der Regierung schon zwei Mal im Ministerrat. Aber die ÖVP und ihre Lobbygruppen haben das im letzten Moment abgedreht. Ich finde es untragbar, dass Menschen nur im Arbeitsleben einen Diskriminierungsschutz haben und nicht außerhalb.

Shetty: Da wäre es vielleicht auch vorher schon gegangen von grüner Seite, dass man da Druck ausübt.

Ernst-Dziedzic: Wenn du wüsstest, was wir Druck machen, Yannick.

STANDARD: Haben Sie beide schon diskriminierende Erfahrungen gemacht?

Ernst-Dziedzic: Wenn wir im Hotel zwei getrennte Betten bekommen, muss ich immer wieder sagen, dass wir ein Zimmer mit Doppelbett bestellt haben. Dann sieht man ein bissl ein verschämtes Gesicht.

Shetty: Bei der Wohnungssuche, wenn es darum geht, die Einkommensnachweise der Partnerin zu schicken. Dann sage ich: "Na ja, des Partners", da kommt dann zurück: "Ach so, Sie machen eine WG daraus." Das ist stigmatisierend und nicht angenehm.

Ernst-Dziedzic: Meine Frau und ich unterlassen das Händchenhalten öfter, weil du immer von jemandem blöd angemacht wirst. Das ist immer ein bissl sexuell konnotiert, so nach dem Motto: "Kann ich mitmachen?"

Shetty: Ein FPÖ-Abgeordneter hat mir mal gesagt, er sei auch Teil der LGBTIQ-Community, denn er stehe auf Frauen und auf Lesben.

"Wenn du wüsstest, was wir Druck machen, Yannick." – Ewa Ernst-Dziedzic, Grüne
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Themensprung: Das Thema Affenpocken wird derzeit oft im Kontext mit homosexuellen Männern diskutiert. Steuern wir da auf eine gefährliche Debatte hin, die an die Anfänge von HIV erinnert?

Shetty: Ich würde sehr davor warnen zu glauben, man kann Affenpocken als heterosexueller Mann nicht bekommen. Auch im Sinne eines Selbstschutzes. Das ist verfehlt.

Ernst-Dziedzic: Es ist nicht die Zeit für Stigmatisierung. Es geht immer um das Risikoverhalten und um Aufklärung. Wir wissen, dass Analverkehr zwischen zwei Männern – um es auf den Punkt zu bringen – nicht weit gefährlicher ist als zwischen Mann und Frau.

STANDARD: Ist Österreich zu verklemmt, wenn es um Sex geht?

Ernst-Dziedzic: Ja, das sieht man auch an der Diskussion um den Fragebogen beim Blutspenden. Ich habe angemerkt, nach Analverkehr zu fragen. Aber nein, da werden alle rot.

Shetty: Ich hatte ein Gespräch mit einem Vertreter des Roten Kreuzes. Ich habe ihm vorgeschlagen, zu fragen: "Hatten Sie in den letzten drei Monaten ungeschützten Anal- oder Vaginalverkehr." Seine Antwort: "Herr Shetty, wir können doch bei einer Blutspendeaktion am Land nicht jemanden fragen, ob er Analverkehr hatte." Aber fragen, ob jemand schwul ist, kann man schon. Wir sind schon sehr verklemmt im Umgang mit Sex, als Gesellschaft. Das liegt daran, dass der Aufklärungsunterricht sehr reproduktionsfixiert ist. Und die Politik leistet da auch ihren Beitrag dazu. Wenn ich zum Beispiel im Parlament sage, dass Männer Sex mit Männern haben, spüre ich schon, wie einige der ÖVP-Abgeordneten zusammenzucken.

STANDARD: Im Großen und Ganzen sind Sie sich in vielen Punkten einig. Könnten Rot, Grün und Neos koalieren?

Ernst-Dziedzic: Ich war immer schon für progressive Mehrheiten in diesem Land.

Shetty: Ich könnte mir das, gerade was den LGBTIQ-Bereich angeht, sehr gut vorstellen. In anderen Fragen ist das schwieriger. In der Integrationspolitik stört mich einiges am Zugang der Grünen. Und auch in der Wirtschaftspolitik natürlich.

STANDARD: Wer von Ihnen freut sich eigentlich mehr darüber, dass Sebastian Kurz weg ist?

Shetty: Ich glaube, die Ewa. Wir haben zwar viel kritisiert am System Kurz, aber wir mussten ja nie mit ihm zusammenarbeiten.

Ernst-Dziedzic: Ich habe immer gesagt, Österreich darf nicht Ungarn werden. Und finde es wichtig, dass sich das System durch die grüne Koalitionsbeteiligung verändert.

STANDARD: Das war keine klare Antwort, Frau Dziedzic.

Ernst-Dziedzic: Das war eine klassische Politikerinnenantwort.

Shetty: Vielleicht war sie ob ihrer Unklarheit auch sehr klar. (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 1.6.2022)