Motivierter Auftakt zur heurigen Gay Pride in Brüssel.

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Willkommen im Pride-Monat Juni! Es ist eine schöne Zeit. Der Sommer ist da, in vielen Städten der Welt flattern zahllose Regenbogenfahnen, auch in Wien. Es gibt Demos, die Regenbogenparade, Partys, Veranstaltungen. Dieser Monat geht allerdings auf eine weniger schöne Zeit zurück, als queere Menschen schikaniert und misshandelt wurden und ihre Sexualität noch als "Geisteskrankheit" gebrandmarkt wurde. 1969 gilt als Wendepunkt, als sich gegen regelmäßige Kontrollen und Verhaftungen in der Bar Stonewall in der New Yorker Christopher Street wehrten. Es entstand ein massiver, über Stunden andauernder Protest der damaligen Stonewall-Gäste, vorwiegend Lesben, Schwule, Transmenschen, homosexuelle Schwarze und Latinos, Dragqueens und -kings und Jugendliche, die nach ihrem Outing kein Zuhause mehr hatten.

Seither hat die LGBTIQA*-Community verdammt viel Arbeit geleistet und viel erkämpfen können. Der Zwischenstand ist durchaus ein Grund zu feiern.

Gleichgeschlechtliche Paare können etwa in Österreich heiraten, seit 2016 können sie Kinder adoptieren, oder sie können eine Pflegeelternschaft übernehmen. Lesbische Paare können via Samenspende seit 2015 ein Kind bekommen. Drei Jahre später wurde ermöglicht, dass etwa in Reisepässen nicht nur die Kategorie "weiblich" und "männlich", sondern auch "X" für "non-specified/unbestimmt" möglich ist.

Doch es ist eben nur ein Zwischenstand, und für alle, die nicht nach der heterosexuellen Norm ticken, stehen weiter grundsätzliche und alltägliche Kämpfe auf der Tagesordnung. Ob sie wollen oder nicht. Bei der Jobsuche, bei der Wohnungssuche, bei der Anerkennung durch ihre Familien, beim Respekt ihrer Mitmenschen – es geht also um ganz basale Dinge. Noch immer.

Das macht freilich ungeduldig und zurecht sauer. Diskussionen darüber, wie wir das ändern könnten, sind deshalb alles andere als ein Kindergeburtstag. Das ist nur logisch. Aber die Härte, mit denen schon jene, die grundsätzlich dasselbe wollen, aneinandergeraten, trübt den klaren Pride-Month-Himmel. So haben wir etwa geschlechtertheoretisch sattelfeste Feministinnen, die immer gegen die starre Geschlechterordnung gekämpft haben, die von Transaktivistinnen überhaps als "Terfs" diffamiert werden, also als "trans-ausschließende radikale Feministinnen". Ihnen wird damit – etwa von manchen Transaktivist:innen, aber nicht nur – vorgeworfen, dass sie Frauenrechte nur für Frauen wollen, deren Geburtsgeschlecht auch weiblich war, und sie somit Transfrauen nicht als Frauen anerkennen.

Und Transmenschen werden wiederum als Bedrohung für die Gleichstellungsbemühungen von Cis-Frauen hingestellt und, ebenfalls überhaps, pathologisiert. Und das sind nur jene, die sich eigentlich einig sind, dass wir am Geschlechter-Status-quo etwas ändern müssen. Jene, die überzeugt sind, dass dieser für zu viele qualvolle Konsequenzen hat. Diese reichen von den epidemischen Ausmaßen der geschlechterspezifischen Gewalt bis hin zu fanatisch durchgegenderten Blau/Pink-Limitierungen von Kindern, die ihnen aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Interessen und Kompetenzen unterstellen, bevor sie überhaupt einen geraden Satz sagen können. Das Problemfeld ist also riesig und dass alle, die daran arbeiten, immer einer Meinung sind, ist illusorisch. Aber trotzdem dürfen wir nicht hinnehmen, wenn ein derart wichtiger gesellschaftspolitischer Diskurs so oft schiefläuft.

Solidarität außer Reichweite?

Was erweckt diesen Eindruck? Ein Beispiel: Im Mai gab es aus Anlass der Einladung der umstrittenen britischen Gendertheoretikerin Kathleen Stock ins Wiener Kreisky-Forum Demonstrationen. Stock vertritt etwa die These, dass es keine von der Anatomie unabhängige Genderidentität gäbe – und Transfrauen immer noch Männer seien. Proteste gegen diese Position sind legitim. Aber Demoschilder, auf denen "Terfs boxen" zu lesen ist? In unmittelbarer Nähe zu dem Schild stand auch die SPÖ-Bezirksrätin Dominique Mras. Es war nicht ihr Schild, jemand hielt es hinter ihrem Rücken hoch. Man kann darüber streiten, ob sie Menschen mit derartigen Gewaltaufrufen – und das ist "Terfs boxen" – bei einer Demo darauf hinweisen sollte oder ob sie überhaupt in irgendeiner Form verantwortlich dafür ist, welche Slogans andere bei einer Protestaktion hochhalten.

Jedenfalls hat jemand daraufhin auf der Plattform "mein.aufstehn.at" einen Petitionsaufruf gestartet, dass sich Politiker:innen von Gewaltaufrufen distanzieren müssen. Aufgrund formaler Mängel wurde die Petition auf der Plattform verborgen. Was schnell auf Twitter als angeblicher Beweis gegen eine sehr mächtige Translobby interpretiert wurde. Das hatte allerdings letztlich andere Gründe, etwa Bildrechte und Klarnamenregelung, wie die Plattform klarstellte.

Abgesehen von derlei Gewaltaufrufen in Zusammenhang mit "Terfs" ist der Begriff selbst (Trans-Exclusionary Radical Feminism) inzwischen zu einer Nebelmaschine geworden, die Diskussionen verhindert. Viele Feministinnen wollen schlichtweg nicht, dass ihnen unterstellt wird, in ihrem Verständnis von Feminismus hätten Transpersonen keinen Platz. Das verhindert aber, gemeinsam Fragen zu diskutieren, deren Antworten nun einmal nicht für alle von vornherein völlig selbstverständlich feststehen. Das darf einen Diskurs ebenso wenig verhindern wie eine Sprache, die nicht in einer Community üblichem Vokabular geübt ist. Das ist ausschließend für zahllose Menschen, die zwar mitreden wollen, aber vielleicht nicht wissen, wie. Sie sind aber deshalb noch lange nicht feindlich gesinnt.

Wer wirklich etwas gegen Fortschritt hat

Ganz anders sieht es da schon dort aus, wo es Drohungen wegen einer Lesung in einer Wiener Bücherei im Rahmen der Vienna Pride gibt. Die Dragqueen Candy Licious soll in einer Wiener Bücherei lesen, zu Regenbogenfamilien und Diversität. "Frühsexualisierung", schreien da christliche Fundamentalist:innen und Rechte und behaupten damit, Candy Licious würde Kinder gleich einmal eine queere Zwangsaufklärung verpassen. Dass Kinder so oder so tagtäglich in spezifischen Lebens- und Liebeskonstellationen aufwachsen, diese Tatsache existiert für sie schlicht nicht. Denn wenn ein katholischer Pfarrer Kindern von Rapunzel vorliest, die im Turm festsitzt, bis ein Hetero-Prinz auftaucht und sie in die Hetero-Ehe führt, das zählt natürlich nicht. Heterosexualität gilt ihnen nicht als sexuelle Orientierung, ist sie aber. Demnach könnte man mit demselben Recht allen heterosexuellen Vorleser:innen, die eine Geschichte über Vati, Mutti und Kind vorlesen, "Frühsexualisierung" vorwerfen.

Gemeinsamkeiten, die bleiben

Wir sehen: Die Positionen, wo und auf welchem Level Genderdebatten geführt werden, sind derart unterschiedlich, dass die Lage – gelinde gesagt – unübersichtlich ist. Es ist schwer, sich immer ein Urteil zu bilden und zu sehen, dass es nicht die eine Position gibt, die recht hat. Die grüne Abgeordnete Faika El-Nagashi hat recht, wenn sie sagt, wir dürfen Gewaltaufrufe innerhalb von emanzipatorischen Bewegungen nicht hinnehmen. Und ebenso recht hat Marty Huber von Queer Base in Wien, dass derartige "Slogans" zwar überflüssig sind – aber die Empörung darüber nicht über dem Leid und dem langen Warten, bis Transmenschen ihren Personenstand ändern können oder medizinisch betreut werden, stehen sollten.

Frauen sind massiver Gewalt innerhalb von Beziehungen ausgesetzt, Transjugendliche wegen Mobbings einer erhöhten Suizidgefahr, sie weisen oft selbstverletzende Verhaltensweisen auf. Das sind nur wenige Beispiele der unmittelbaren und strukturellen Gewalt im herrschenden Geschlechterregime. Dieser Gewalt etwas entgegenzusetzen ist ein Kraftakt, der noch lange dauern wird. Besser diese Kraft nicht durch Diskussionen verlieren, die diese Gemeinsamkeit längst aus den Augen verloren haben. (Beate Hausbichler, 3.6.2022)