Tennissport zu später Stunde am Court Philippe Chatrier.

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Jürgen Melzer: "Der Sieger schläft sicher besser als der Verlierer."

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Paris – Novak Djokovic hat nach seinem bitteren Aus im Viertelfinale der French Open Kritik am späten Beginn der Matches in der Night-Session geübt. "Sie starten zu spät", sagte der 35-jährige Weltranglistenerste nach seiner 2:6, 6:4, 2:6, 6:7 (4/7)-Niederlage gegen Rafael Nadal.

Nadal verwandelte um 1.15 Uhr seinen vierten Matchball. "Das Fernsehen entscheidet. Das ist die Welt, in der wir leben", sagte Djokovic. "Sie geben das Geld, sie entscheiden."

Auch der ehemalige Top-Ten-Spieler und French-Open-Halbfinalist Jürgen Melzer hat das Spiel gesehen und sich eine Meinung gebildet.

STANDARD: Das Match zwischen Nadal und Djokovic endete um 1.15 Uhr. Ist das Entertainment oder eine Zumutung?

Melzer: Es gibt mehr Wider als Für. In einer vernünftigen Welt würden Spiele nicht nach 19 Uhr beginnen. Aber mittlerweile haben sich die späten Beginnzeiten eingebürgert. Es gibt Night-Sessions in Melbourne, es gibt sie bei den US Open. Jetzt, mit dem Flutlicht, gibt es sie auch in Paris.

STANDARD: Haben Sie das ganze Spiel gesehen?

Melzer: Ich bin kurz eingeschlafen, am Ende war ich aber wieder dabei.

STANDARD: Wenn Zverev gegen Alcaraz und Nadal gegen Djokovic jeweils fünf Sätze benötigt hätten, wann wäre der Spieltag dann beendet gewesen?

Melzer: Vermutlich nach drei Uhr. Da könnte man anschließend gleich frühstücken.

STANDARD: Schulpflichtige und früh arbeitende Menschen sind als Zuseher quasi ausgeschlossen. Ist das noch Sport oder schon Nightlife?

Melzer: Die Veranstalter haben es auch nicht einfach. Man muss viele Matches in einem straffen Zeitplan unterbringen. Man muss es allen recht machen: den Fans, den Spielern, den TV-Stationen. Immerhin: Das Stadion war voll, die Stimmung unglaublich.

STANDARD: Djokovic spricht die Macht der TV-Stationen an. Ist man ausgeliefert?

Melzer: Die TV-Sender lassen sehr viel Geld springen. So ein großes Match wird nicht nur in Europa übertragen. Natürlich schaut man auch auf den US-Markt. Dort hat man sich die Partie easy bis zum Ende ansehen können.

STANDARD: Wann kommt Nadal nach so einem Match tatsächlich ins Bett?

Melzer: Spät. Man darf die Nachbereitung nicht vergessen: Interviews, Pressekonferenz, Körperpflege. Da kommt er vor vier Uhr früh nicht ins Bett. Und dann muss er noch einschlafen können.

STANDARD: Kann ein Spieler nach so einer Partie gemütlich wegbüseln?

Melzer: Der Sieger schläft sicher besser als der Verlierer. Aber man muss runterkommen, nach so einer Partie ist man aufgewühlt.

STANDARD: Das Thema begleitet uns. Schon in Madrid hatte sich Zverev beschwert, dass er bis spät in die Nacht spielen musste.

Melzer: Wenn man am nächsten Tag spielen muss, sind diese Night-Sessions absoluter Wahnsinn. Man hat jetzt in Paris gesehen, dass ein ausgeruhter Zverev Alcaraz auf Augenhöhe begegnen kann. In Madrid war das nicht möglich. Das hat er betont, und das sind keine Ausreden.

STANDARD: In Acapulco musste Zverev bis 4.55 Uhr spielen.

Melzer: Das ist absolut lächerlich. So etwas muss verhindert werden.

STANDARD: Sind die Chancen von Nadal gegen Zverev durch das späte Match beeinträchtigt?

Melzer: Es ist für den Biorhythmus nicht optimal. Aber er hat zwei Tage Pause. Für mich gibt es eine wichtigere Frage: Wie geht es Rafas Fuß? Nach dem zweiten Satz habe ich mir Sorgen gemacht. Mit einer Leistung wie gegen Alcaraz kann Zverev auch Nadal Paroli bieten.

STANDARD: Wer ist im Halbfinale also Favorit?

Melzer: Ein voll fitter Nadal ist in Paris immer Favorit. (Philip Bauer, 1.6.2022)