Nehammer hielt am Mittwoch beim Parteitag der Europäischen Volkspartei seine erste Rede als ÖVP-Chef und Kanzler vor den europäischen Parteifreunden.

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Rotterdam – Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat die EU-Konservativen aufgerufen, angesichts des Ukraine-Kriegs nicht auf das Thema Migrationspolitik zu vergessen. "Wir müssen sehr genau aufpassen, dass dieser unglaublich dramatische Krieg nicht viele andere Sicherheitsprobleme überdeckt", sagte Nehammer am Mittwoch beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Rotterdam. Probleme wie illegale Migration, Terrorismus oder organisierte Kriminalität "bestehen vollumfänglich weiter".

Der Blick sei derzeit auf die Ukraine gerichtet, "und es nutzen jetzt gerade viele diesen Blick auch aus", warnte Nehammer. "Wir erleben einen massiven Druck im Bereich irregulärer Migration." Österreich habe nicht nur mehr als 75.000 schutzsuchende Ukrainer aufgenommen, sondern wieder "an die 17.000 Asylanträge" von Menschen aus Afghanistan, dem Iran und Syrien verbucht. "Wenn man Nachschau hält, wie die denn nach Österreich gekommen sind, gibt es eine dramatische Erkenntnis: Der Großteil davon ist nicht registriert", pochte Nehammer auf einen effektiven Schutz der EU-Außengrenzen, statt nur darüber zu reden.

Schwächen in der Verteidigungspolitik

Nehammer erhielt bei seiner Rede mehrmals Zwischenapplaus, etwa bei seinen Aussagen zur österreichischen Sicherheitspolitik. "Österreich ist neutral in militärischer Hinsicht, aber nicht, wenn es darum geht, eine Meinung zu haben", positionierte er sich klar gegen die russische Aggression in der Ukraine. Zugleich forderte er eine Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik. "

Diplomatisch äußerte sich Nehammer zum Streitthema eines EU-Beitritts der Ukraine. Man müsse sich dieser "Frage seriös und ernsthaft widmen", sagte er. Doch müsse man sich "mit der gleichen Seriosität und Nachhaltigkeit auch dem Thema der Zukunft des Westbalkans widmen", sagte er unter dem Applaus der Delegierten.

"Starke Industrie" für Europas Wirtschaft benötigt

Der Kanzler ging in seiner Rede auch auf die aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen ein. Er sprach von "multiplen Krisen" und der Teuerung, die schon vor dem Ukraine-Krieg begonnen habe und nun "die Menschen belastet" und "unsere Sozialsysteme gefährdet". Die EVP habe nun eine gemeinsame Verpflichtung, "darauf zu achten, dass der Wohlstand in Europa nicht weniger wird", das Wirtschaftswachstum und die Industrie abgesichert werde. Die Energieversorgungssicherheit sei auch eine Frage des Industriestandorts, und Europas Wirtschaft brauche eine "starke Industrie", betonte er.

Nehammers erste Rede als ÖVP-Chef und Kanzler vor den europäischen Parteifreunden war mit Spannung erwartet worden. Schließlich befindet sich die EVP nach mehreren Wahlniederlagen in einer schweren Krise und stellt in keinem der großen EU-Staaten den Regierungschef. Nehammer ist der einzige EVP-Regierungschef im westeuropäischen Raum.

Kommissionspräsidentin bekräftigt Ukraine-Kurs

Neben Nehammer waren auch mehrere ÖVP-Spitzenpolitiker in Rotterdam, darunter EU-Ministerin Karoline Edtstadler, Generalsekretärin Laura Sachslehner und die EU-Abgeordneten Angelika Winzig, Lukas Mandl und Othmar Karas. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn wurde bei dem Kongress in seinem Amt als einer von zehn EVP-Vizepräsidenten bestätigt.

Am zweiten und letzten Kongresstag sprachen auch die anderen Regierungschefs aus den Reihen der EVP. Zudem richtete sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) an die Delegierten. Sie bekräftigte ihren Kurs im Ringen um die Ukraine und betonte, "dass wir sicherstellen müssen, dass Putin scheitert und die Freiheit siegt". Zugleich warb sie dafür, der Ukraine eine "faire Chance" bei ihren Bemühungen um eine EU-Mitgliedschaft zu geben. (APA, 1.6.2022)