Acht Prozent. So viel höher lagen die Preise in Österreich im Mai 2022 im Vergleich zum Mai 2021. Mehr als ein Jahrzehnt lang haben viele Wirtschaftsforscher geglaubt, das Problem hoher Inflationsraten würde der Vergangenheit angehören. Doch gerade werden sie eines Besseren belehrt. Wie schon einmal in den 1970er-Jahren führen derzeit geopolitische Konflikte zu immens steigenden Energiepreisen, die wiederum die Preise insgesamt nach oben treiben. Damals war es der Ölboykott arabischer Länder, heute ist es der Ukraine-Krieg. Und einst genauso wie heute kracht die daraus folgende Inflation voll ins Leben der Österreicherinnen und Österreicher.

Die Teuerung hat sich in Österreich weiter verschärft.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Wobei: Dieses Krachen erfolgt keineswegs gleichmäßig über alle Bevölkerungsschichten hinweg. Die steigenden Preise treffen vor allem die Ärmeren. Denn sie konsumieren im Verhältnis zum Einkommen besonders viel jener Güter, bei denen die Preissteigerungen extrem ausfallen, vor allem Nahrungsmittel und Energie. Berechnungen zeigen beispielsweise, dass Frauen – weil sie generell über ein niedrigeres Einkommen verfügen – auch von der Inflation stärker betroffen sind als Männer.

Die türkis-grüne Regierung hat bislang zwar einiges getan, um des Problems Herr zu werden. Da wären etwa die Energiegutscheine von 150 Euro pro Haushalt oder Einmalzahlungen für Bedürftige. Doch angesichts immer höherer Einkommensverluste zeigt sich, dass diese Maßnahmen bei weitem nicht reichen. Was weiters zu tun wäre, liegt auf der Hand. Der Ökonom Gabriel Felbermayr hat es ins Treffen geführt, die Oppositionsparteien fordern es ebenso: eine Anpassung wichtiger Sozialleistungen – etwa der Familienbeihilfe, der Wohnbeihilfe und des Pflegegeldes – an die Inflation.

Antiteuerungsmaßnahmen

Dies hätte gleich mehrere Vorteile. Allen Bürgern wäre geholfen, nicht nur Erwerbstätigen, wie es beispielsweise bei vielen Steuererleichterungen der Fall ist. Besonders profitieren würden zudem einige Gruppen, die es am dringendsten brauchen: Eine Indexierung der Familienbeihilfe hilft Alleinerziehenden, die Kinder versorgen – und finanzieren – müssen. Von einer höheren Wohnbeihilfe profitieren jene, die ohnehin schon mit den Wohnkosten hadern.

Angesichts der rapiden Inflation im Land sollte man meinen, dass sich eine derartige Indexierung von Sozialleistungen von selbst versteht. Dem ist aber nicht so: Die türkis-grüne Regierung, vor allem deren türkiser Teil, sperrt sich. Eine Anpassung sei derzeit nicht geplant, lässt die ÖVP wissen. Die Grünen in Person von Sozialminister Johannes Rauch sekundieren zahm: Mit den bisherigen Antiteuerungsmaßnahmen sei schon viel erreicht worden. Auch sie verkennen den Ernst der Lage.

Stark steigende Preise bei jenen, die ohnehin über keine finanziellen Reserven verfügen, können rasch zu einem echten sozialen Problem anwachsen – konkret zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Dies wiederum kann politisch manches Erdbeben nach sich ziehen. So liegt in aktuellen Umfragen die ÖVP mit 22 Prozent nicht nur deutlich hinter der SPÖ, sondern sogar nur noch zwei Prozentpunkte vor der FPÖ – eine demokratiepolitisch bedenkliche Entwicklung. Wenn die Regierung jetzt nicht rasch etwas tut, wird die hohe Inflation nicht nur für die Bevölkerung zum massiven Problem, sondern auch für sie selbst. (Joseph Gepp, 2.6.2022)