Die Situation für das "Unternehmen" Kirche ist bei Gott schwierig: ein großflächiges Filialnetz, das Personal meist deutlich über dem durchschnittlichen Pensionsalter, der Rekrutierungspool leer. Und längst hat man erkannt, dass alleine auf den Herrn zu vertrauen zu wenig ist, um das Haus Gottes zukunftsfit zu gestalten. Der Appell "Beten wir um geistliche Berufe" hat bis dato nicht mehr Arbeiter in den Weinberg gebracht.

In vielen Diözesen sieht man sich daher zu gröberen Umbauten gezwungen. Bereits 2015 startete die Erzdiözese Wien eine groß angelegte Strukturreform. Die Gründe dafür sind deutlich weltlicher: sinkende Mitglieder- wie Priesterzahlen sowie notwendige Einsparungen.

Die knapp 600 damals noch eigenständigen Pfarren in den drei Vikariaten in Wien und Niederösterreich wurden zu 140 sogenannten Entwicklungsräumen zusammengefasst – mit dem Ziel, Großpfarren zu schaffen. Mit 1. Juni 2015 wurde damals die erste "Pfarre Neu" in der Erzdiözese Wien offiziell kirchenrechtlich ins Leben gerufen.

Zwei Handvoll Kirchgänger

Dass sich die Kirchenbänke lichten, wirkt sich auch auf die klerikale Immobiliensituation aus. Erst vor wenigen Wochen hat sich die Erzdiözese Wien dazu entschlossen, die katholische Kirche am Schöpfwerk in Meidling an die serbisch-orthodoxe Kirche abzutreten – just in jenem Jahr, in dem der Sakralbau inmitten einer riesigen Gemeindebauanlage sein 40-Jahr-Jubiläum feiert.

"Das macht einen schon wehmütig", sagt Maria Wildam, Vize-Leiterin des Pfarrgemeinderats. Aber: "Es wäre einfach nicht mehr gegangen."

Maria Wildam, Vize-Leiterin des Pfarrgemeinderats, zeigt sich enttäuscht, aber realistisch.
Foto: Christian Fischer

Die Kirche war von Beginn an als Teil der Wohnanlage geplant, 1979 wurde der Grundstein gelegt. Ein derartiges Unterfangen war damals noch keine Seltenheit: "Bis in die 80er hat man noch Kirchen gebaut", sagt Georg Schimmerl, Sprecher der Erzdiözese Wien.

Im Eröffnungsjahr 1982 lebten rund 5.000 Katholikinnen und Katholiken am Schöpfwerk. Heute sind es, bedingt durch Austritte und Abwanderung der katholischen Mittelschicht ins Umland, lediglich 1.000. "Davon waren aber nur noch zwei Handvoll in der Messe", erzählt Wildam. Den Pfarrer teilte man sich bereits mit einer anderen Kirchengemeinde.

Die Kirche zu erhalten wurde so zusehends schwieriger. "Die Kollekte am Sonntag machte maximal 40 Euro aus, wir hatten aber alleine Energiekosten von 1350 Euro im Monat", sagt Wildam. Obwohl die Pfarre einen Kirchenbeitragsanteil erhält und die Erzdiözese einen Zuschuss gewährte, sei das nicht auszugleichen gewesen, der Pfarrgemeinderat willigte in den Verkauf ein.

Die Kirche wurde von Beginn als Teil der Wohnhausanlage mitgeplant. 40 Jahre nach ihrer Eröffnung wechselt sie nun die Konfession.
Foto: Christian Fischer

Das ist kein Einzelfall in Wien: In den vergangenen zwölf Jahren trat die katholische Kirche sieben Gotteshäuser an die Orthodoxen ab. Eines der prominentesten Beispiele ist die Kirche Maria vom Siege am Mariahilfer Gürtel. Sie ging 2016 an die koptisch-orthodoxe Kirche.

Schritte zur Entweihung

Ziel der Strukturreform sei jedenfalls nicht, Kirchen an andere Religionsgemeinschaften abzutreten, betont Schimmerl. Im Gegenteil: "Wir versuchen, Kirchen und das Gemeindeleben zu erhalten."

Wie das Beispiel Schöpfwerk zeigt, ergibt manchmal aber doch das eine das andere. Im konkreten Fall sei aufgrund der guten Beziehungen zwischen Erzdiözese und serbisch-orthodoxer Kirche bekannt gewesen, dass Letztere Räumlichkeiten gesucht hatte. Diese Glaubensgemeinschaft sei am Schöpfwerk – im Unterschied zur katholischen Kirche – im Kommen, erklärt Schimmerl. Ein Faktor, der hineinspiele: die Öffnung der Gemeindebauten für Nicht-EU-Bürger im Jahr 2006.

Die Übergabe findet voraussichtlich im November statt. Bis dahin muss die Kirche profanisiert, also entweiht werden. Das erfolgt in mehreren Schritten. Reliquien wie Knochenteilchen, die unter dem Altar aufbewahrt sind, werden entfernt, die Hostien aus dem Tabernakel genommen.

Ein Schritt bei der Entweihung der Kirche ist, den Kreuzweg zu entfernen. Allerdings müssen dem die Denkmalschützer zustimmen.
Foto: Christian Fischer

Sofern es das Denkmalamt erlaubt, werden auch die goldenen Apostelkreuze und die Kreuzwegbilder an den Wänden abmontiert. "Dann ist die Kirche am Schöpfwerk keine Gottesdienststätte mehr", sagt Schimmerl.

Die Pfarre wird in die Gemeinde Altmannsdorf eingegliedert, für Wildam und die anderen katholischen Gläubigen ist die Kirche zum Heiligen Oswald dann die nächstgelegene. Wildam will diese zwar besuchen – aber nicht nur. Wenn "ihre" Kirche endgültig Geschichte ist, wird sie das zum Anlass nehmen, viele verschiedene Gotteshäuser in ganz Wien auszuprobieren.

Dreiervorstand

Auch in der Diözese Linz haben die veränderten Rahmenbedingungen ein Umdenken notwendig gemacht. In den 486 Pfarren sind von den rund 500 Priestern der Diözese Linz nur noch 265 amtlich eingesetzt, da die Priester bereits ein Durchschnittsalter von 68 Jahren haben. Hinzu kommen gut 500 theologisch qualifizierte Laien mit einem ein Durchschnittsalter von 44 Jahren. Neben den 138 meist ehrenamtlich tätigen Ständigen Diakonen gibt es in der Diözese Linz inzwischen 1600 ehrenamtliche Wortgottesdienstleiter.

Vor diesem Hintergrund entschied sich die Diözesanleitung 2019 dazu, einen "Zukunftsweg" einzuschlagen. Statt wie bisher 486 Pfarren in 39 Dekanaten soll es am Ende 39 Pfarren geben, die neu organisiert werden. Der wesentliche Unterschied zum Wiener Modell ist, dass Pfarrgemeinden zwar zusammengeführt werden, aber eine gewisse Eigenständigkeit behalten. Das Umsetzungskonzept der Strukturreform in der Diözese Linz sieht 39 "Pfarren" vor, die aus mehreren Teilgemeinden mit ihren historischen lokalen Rechtsträgern "Pfarrkirche" und "Pfarrpfründe" bestehen.

Unter dem Altar sind in katholischen Kirchen Reliquien wie Knochensplitter aufbewahrt – so auch am Schöpfwerk.
Foto: Christian Fischer

An der Spitze jeder der künftigen Pfarren soll es ein Dreierteam aus Pfarrer, Pastoral- und Verwaltungsvorstand stehen – wobei der Geistliche die Gesamtleitung hat.

Individuelle Zugänge

"Wir haben gemerkt, dass Menschen heute unterschiedlich an Kirche anknüpfen. Einerseits direkt in der Pfarre, in der Gemeinde und andererseits auch überregional. An verschiedenen Punkten in der Region. Das wollten wir verbinden", erläutert Pastoralamtsdirektorin Gabriele Eder-Cakl. Nachsatz: "Das Personalproblem war im Rahmen der Reform nicht der erste Gedanke. Der erste Gedanke war: 'Wie schaut heute Christsein aus?' und 'Wie sind die Menschen mit Kirche verbunden?'"

Dies habe sich in den vergangenen Jahren in Österreich, aber auch Deutschland stark verändert. "Jeder hat seinen persönlichen Zugang. Die Messlatte ist heute nicht mehr, wie viele Gläubige in der Messe sitzen." Aber natürlich gehe es auch darum, die personellen und finanziellen Ressourcen gut einzusetzen.

Einer, der unmittelbar von der Strukturreform betroffen und deshalb "heilfroh" über den innerkirchlichen Veränderungsprozess ist, ist Klaus Dopler. Seit 20 Jahren ist Dopler in Gallneukirchen, der größten Pfarre Oberösterreichs, der Hirte für rund 14.000 Schäfchen. Und Dopler steht vor einem beruflichen Neuanfang: Mit Herbst übernimmt der Geistliche im Zuge der Strukturreform die Pionierpfarre Eferding.

Baustelle Seelsorge

60 bis 80 Wochenstunden arbeitet der 65-jährige Pfarrer. "Ich habe Wochen, in denen ich keinen Abend frei habe." Die Tätigkeit des Pfarrers gehe heute stark in den Managementbereich hinein. Dopler: "Es kommen immer mehr verwaltungstechnische Dinge dazu. Ich habe die Renovierung unserer Kirche geleitet, die Renovierung des Pfarrzentrums. Zwei Megabaustellen."

Bleibt dann eigentlich überhaupt noch genug Zeit für die Seelsorge? "Unter dem leiden viele Kollegen, die für vier, fünf Pfarren zuständig sind. Die fahren hin zum Gottesdienst und müssen nachher sofort weiter. Diese nachgehende Seelsorge bleibt sicher oft auf der Strecke." Ob es nicht auch Momente gibt, an denen man am liebsten den Talar final an den Nagel hängen möchte? Dopler: "Nein. Für mich ist es ein wunderschöner Beruf. Ich mag die Vielfalt. Aber ja, es gibt auch Teile, die mühsam sind."

Er hoffe auf eine "deutliche Entlastung" durch die Strukturreform: "Es ist der Versuch einer Antwort auf die Situation, in der wir stehen. Mit einer gerechteren Verteilung. Denn bis jetzt war es ein Dahinwurschteln. Motto: Na ja, dann nimmt halt einer die vierte, fünfte, sechste Pfarre dazu. 'Zusätzlich' ist für mich das Unwort der Diözese. Ich kann es nicht mehr hören." (3.6.2022, Stefanie Rachbauer, Markus Rohrhofer)