Blick vom Pischahorn in Richtung Plattenhorn (2.554 Meter) in den Schweizer Alpen. Die alpinen Regionen oberhalb von 1.700 Meter sind laut Satellitenaufnahmen deutlich ergrünt.

Foto: Sabine Rumpf

Einer vor kurzem veröffentlichten Prognose zufolge wird sich eine langfristige Temperaturerhöhung im Alpenraum nicht verhindern, sondern allenfalls etwas abmildern lassen. Selbst bei Einhaltung des Pariser Klimaabkommens rechnen Forschende bis zur Mitte des Jahrhunderts für diese Region mit einem Anstieg um durchschnittlich 0,5 bis 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Zeitraum 1981 bis 2010. Immerhin könnte es sich möglicherweise auf diesem Niveau langfristig stabilisieren.

Wie sehr die Alpen von der Erwärmung bereits umgestaltet werden, zeigt nun eine Studie von Forschenden der Universitäten Lausanne und Basel: Im Fachjournal "Science" konnten sie anhand von Satellitendaten nachweisen, dass die Vegetation im überwiegenden Teil des Alpenbogens zugenommen hat, während die Schneedecke vor allem über 1.700 Metern Seehöhe allmählich abnimmt.

Hochauflösende Satellitenbilder

Das Team um Sabine Rumpf (Uni Basel), Grégoire Mariéthoz und Antoine Guisan (Uni Lausanne) hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden und Finnland den Wandel auf hochauflösenden Satellitenbildern von 1984 bis 2021 genauer analysiert. In diesem Zeitraum nahm demnach die pflanzliche Biomasse oberhalb der Baumgrenze auf mehr als 77 Prozent der beobachteten Flächen zu. Das Phänomen der "Ergrünung" aufgrund des Klimawandels ist in der Arktis bereits gut dokumentiert.

Auch für Gebirge wie beispielsweise dem Himalaya gab es bereits einige Studien, die den Effekt belegten, eine derart umfassende Analyse der gesamten von Frankreich bis nach Österreich reichenden Alpenregion gab es aber noch nicht. Im Zentrum bisheriger Untersuchungen lagen in unseren Breiten eher die Veränderungen in der Artenzusammensetzung und -vielfalt. Zwar kann durch ein Plus beim Pflanzenwachstum etwas mehr CO2 dort eingelagert werden, was dem Temperaturanstieg ein Stück weit entgegenwirkt. Die insgesamt negativen Effekte der Erwärmung im Alpenraum lassen sich damit aber nicht ausgleichen.

Mäßig konkurrenzfähig

Rumpf, die ursprünglich aus Österreich stammt, und ihre Gruppe waren vor allem vom Ausmaß des Ergrünens überrascht – mit so etwas hätten die Forschenden nicht gerechnet. Sie habe sich zwar gedacht, "dass wir einen Effekt finden, aber dass er so deutlich und großflächig zutage tritt, hat sich, glaube ich, keiner von uns so erwartet", so Rumpf.

"Alpenpflanzen sind an raue Bedingungen angepasst, aber nicht sehr konkurrenzfähig", sagt Rumpf. "Wenn sich die Umweltbedingungen ändern, verlieren diese spezialisierten Arten ihren Vorteil und werden von nachrückenden Spezies verdrängt. Die einzigartige Biodiversität der Alpen steht daher unter erheblichem Druck."

Wie hoch dieser ist, hat die damals noch an der Universität Wien forschende Wissenschafterin im Jahr 2019 in einer Studie im Fachmagazin "Nature Communications" gezeigt. Vor allem in hohen Lagen können sich noch einige Arten halten, obwohl die Bedingungen für sie schon sehr ungünstig sind – sie stehen in der "Aussterbeschuld", konstatierten die Wissenschafter damals.

Auch hier mehr Grün als noch vor einigen Jahren: Der Piz Mingèr (Bildmitte, 3113 Meter) im Schweizerischen Nationalpark.
Foto: Sabine Rumpf

Geringe Veränderungen bei der Schneedecke

Im Unterschied zur Vegetation hat sich die Ausdehnung der Schneebedeckung oberhalb der Baumgrenze seit 1984 nur geringfügig verändert. Für ihre Analyse schlossen die Forscher Regionen unterhalb von 1.700 Metern sowie Gletscher und Wälder aus. In zehn Prozent der untersuchten Regionen nahm die Schneedecke deutlich ab.

Das mag sich nicht nach viel anhören, aber die Forschenden betonen, dass der Trend dennoch besorgniserregend sei. "Frühere Analysen von Satellitendaten hatten keinen solchen Trend festgestellt", erklärt Guisan, einer der beiden Seniorautoren der Studie. "Das kann daran liegen, dass die Auflösung der Satellitenbilder nicht ausreichend war oder dass die betrachteten Zeiträume zu kurz waren."

"Seit Jahren zeigen lokale Bodenmessungen eine Abnahme der Schneehöhe in niedrigen Lagen", ergänzt Mariéthoz. "Dieser Rückgang hat bereits dazu geführt, dass einige Gebiete weitgehend schneefrei geworden sind." Anhand der Satellitendaten kann zwar unterschieden werden, ob ein bestimmtes Gebiet schneebedeckt ist oder nicht, aber es lassen sich keine Rückschlüsse auf die Schneehöhe ziehen.

Teufelskreis

Mit fortschreitender Erderwärmung werden sich die Alpen immer mehr von Weiß zu Grün verfärben, was zu einem Teufelskreis führt: "Grünere Berge reflektieren weniger Sonnenlicht und führen daher zu einer zusätzlichen Erwärmung – was die Schneedecke noch schneller schrumpfen lässt", sagt Rumpf. Hinzu kommt, dass im Zuge der Erwärmung und dem Abschmelzen von Gletschern auch mehr Permafrost auftaut. Die Folgen sind mehr Erdrutsche, Steinschläge und Murenabgänge sowie Einbrüche bei der Trinkwasserversorgung. (tberg, red, 3.6.2022)