Die Juristin Theresa Kamp erklärt im Gastblog, dass Untreue im Scheidungsverfahr nicht vorteilhaft ist, aber dennoch eine Verschuldensabwägung vom Gericht stattzufinden hat.

Fremdgehen, also Untreue, ist in Österreich – vielen Missverständnissen zum Trotz – immer noch eine schwere Eheverfehlung. Seit dem Eherechtsänderungsgesetz 1999 ist Fremdgehen aber kein absoluter Scheidungsgrund mehr. Gerichtlich strafbar ist Ehebruch natürlich auch nicht mehr. Kann eine Seite nachweisen, dass die andere Person während aufrechter Ehe fremdgegangen ist, sind das oft keine rosigen Aussichten für den Ehebrecher oder die Ehebrecherin in einem Scheidungsverfahren. Eine Niederlage im Scheidungsverfahren kann sich wiederum unangenehm auf die eigenen Finanzen auswirken – unabhängig davon, ob man die Person ist, die vielleicht Unterhalt bezahlen muss aufgrund eines Seitensprungs, oder ob man die Person ist, die vielleicht keinen Unterhalt mehr erhält aufgrund einer Liebschaft.

Wer ist schuld am Scheitern der Ehe?
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Aber auch wenn eine dokumentierte außereheliche Beziehung selbstverständlich alles andere als einen Vorteil in einem streitigen Scheidungsverfahren darstellt, hat eine Verschuldensabwägung vom Gericht stattzufinden. Es sind Einzelfallentscheidungen, die die Gerichte hier treffen, und auch ein Ehebruch muss nicht immer zum überwiegenden Verschulden des ehebrechenden Teils führen. Im besten Fall werden vom zuständigen Gericht die generellen Lebensumstände der Eheleute in die Betrachtung einbezogen.

Schuld am Scheitern der Ehe

Vor kurzem hatte sich der Oberste Gerichtshof mit einem Fall auseinanderzusetzen (OGH 20.10.2021, 6 Ob 55/21p), in dem die Unterinstanzen die Meinung vertraten, dass die Ehefrau schuld war am Scheitern der Ehe. Sie hatte eine außereheliche Beziehung. Der Oberste Gerichtshof war allerdings nicht der Ansicht, dass die Ehefrau das überwiegende Verschulden am Eheaus traf.

Im konkreten Fall heiratete das Paar 2013 und hatte zwei gemeinsame Kinder. Im Jahr 2016 verunfallte der Ehemann im Anschluss an ein Feuerwehrfest alkoholisiert auf regennasser Fahrbahn mit seinem Moped. Er verletzte sich dabei schwer im Bereich der Wirbelsäule und des Beckens. Er litt in weiterer Folge unter anderem an einer dauerhaften Stuhl- und Harninkontinenz sowie an langfristiger Impotenz und war in seiner Mobilität eingeschränkt. Die Ehefrau unterstützte ihn in dieser Zeit seines Unfalls, besuchte ihn täglich und kümmerte sich in weiterer Folge überwiegend um die gemeinsamen Kinder. Zusätzlich hatte sie schwerkranke Angehörige zu pflegen und musste deshalb ihre Berufstätigkeit aufgeben.

Als mehrere nahe Angehörige in den darauffolgenden Jahren verstarben, war die Ehefrau physisch und psychisch belastet. Trotzdem leistete der Ehemann ihr keinen Beistand, sondern forderte auch noch die Mithilfe der Ehefrau im Haushalt seiner Herkunftsfamilie ein, dies etwa am Tag nach dem Begräbnis ihrer Mutter. Im Jahr 2017 kam es im Rahmen einer Weihnachtsfeier alkoholisiert zu außerehelichen Zuwendungen der Ehefrau. Im Jahr 2018 wollte die Ehefrau erstmalig aus der Ehewohnung ausziehen, nahm jedoch nach Selbstmorddrohungen des Ehemanns vorläufig davon Abstand. Seit 2019 unterhielt die Ehefrau eine außereheliche Beziehung und zog aus der Ehewohnung aus.

Im Rahmen des Scheidungsverfahrens wurde auch thematisiert, inwieweit das verantwortungslose Verhalten des Ehemanns im Zuge seiner alkoholisierten Mopedfahrt, die schließlich zum Ende der Geschlechtsgemeinschaft führte, eine Eheverfehlung dargestellt hat. Die Gerichte entschieden zunächst, dass selbst eine grob fahrlässige Selbstschädigung eines Ehepartners bei der Scheidung nicht als Verschulden zu werten sei und die Frau aufgrund der Seitensprünge für das Eheaus verantwortlich war.

Schicksalsschläge fließen in Entscheidung mit ein

Der OGH bezog die schweren Schicksalsschläge, die sowohl der Ehemann als auch die Ehefrau erleiden mussten, in die Entscheidung ein. Ebenso wurde bewertet, dass die Schicksalsschläge der Ehefrau, wie die Todesfälle ihrer nahen Angehörigen, nicht von ihr verursacht oder verschuldet waren, die schweren Verletzungen des Ehemanns aber schon auf sein grob schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten zurückzuführen waren. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass vor dem Hintergrund der gehäuften Todesfälle ihrer Vertrauenspersonen und der fehlenden emotionalen Stütze in ihrer Ehe die Zärtlichkeiten mit einem anderen Mann und die außereheliche Beziehung der Ehefrau deutlich weniger schwer wogen. Der Oberste Gerichtshof entschied allerdings auch gegen ein überwiegendes Verschulden des Ehemanns.

Lebensrealitäten sind nicht schwarz oder weiß. Eheverfehlungen lassen sich oft nicht mit Checklisten abhaken. Beiderseitige Eheverfehlungen müssen in ihrem Zusammenhang gesehen werden. Es reicht nicht aus, dass eine Person einen Fehler in Form einer Eheverfehlung begangen hat, diese Verfehlung muss auch zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe geführt haben. Maßgeblich ist überdies, wer den ersten Anlass zur Zerrüttung der Ehe gegeben hat. (Theresa Kamp, 7.6.2022)