Was, wenn Arbeitskräfte aus der Slowakei, aus Ungarn, Polen, der Ukraine nicht mehr nach Österreich kommen, um hier zu arbeiten – etwa im Pflegebereich? Dann würden wir uns um Arbeitskräfte aus Afrika und dem Nahen Osten bemühen müssen, sagt Personalberater Buttinger.

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Buttinger rät: "Man muss schon auch das Potenzial in Menschen sehen, bereit sein, in sie zu investieren."

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Man werde in "neuen Teichen fischen" müssen, um den Arbeitskräftemangel zu beheben, sagte Josef Buttinger, Geschäftsführer der Personalberatung Hill International, beim Medienmittelpunkt Aussee. In Österreich sehe man das Potenzial an Arbeitskräften viel zu stromlinienförmig, sagt Buttinger. Er meint das nicht nur geografisch, auch, was Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten potenzieller Arbeitnehmer betreffe, dächten viele Unternehmen zu eng.

STANDARD: Was verstehen Sie unter "in neuen Teichen fischen"?

Buttinger: Einerseits sehe ich es geografisch. Dass wir unseren Arbeitskräftemangel über Osteuropa lösen – das ist vorbei. Die Arbeitslosenraten dort sind sehr niedrig, das Lohnniveau nähert sich dem unseren in etwa an, auch steuerlich haben die neuen EU-Länder viel gemacht. Andererseits sehe ich es inhaltlich: Wenn wir immer nur die fix-fertigen Top-Leute suchen, die Wunderwuzzis, werden wir scheitern. Man muss schon auch das Potenzial in Menschen sehen, bereit sein, in sie zu investieren.

STANDARD: Betrifft das auch ältere Arbeitnehmer, die oft einfach nur aufgrund ihres Alters als nicht vermittelbar gelten?

Buttinger: Diese ganz besonders, und auch Menschen mit Beeinträchtigung. Hier herrscht in den meisten österreichischen Unternehmen immer noch ein sehr konservatives Denken. Nach dem Motto: "Wenn ich jemanden mit Beeinträchtigung nehme, muss ich mich dauernd um ihn kümmern, und ich kann ihn oder sie nicht mehr kündigen." Das stimmt so nicht. Wenn jemand schlecht sieht, braucht er oder sie vielleicht einfach einen anderen Bildschirm. Dass jemand mit Seh- Beeinträchtigung vielleicht genau deshalb viel genauer arbeitet, sehen viele Chefs nicht. Es geht darum, auf die Potenziale zu schauen – nicht auf die Beeinträchtigung.

STANDARD: Auch was Frauen in Führungspositionen betrifft, scheint man in Österreich vielerorts immer noch sehr traditionell zu denken. Erleben Sie das in Ihrer Arbeit auch so?

Buttinger: Hier ganz besonders. Frauen wird von Firmenchefs oft weniger zugetraut. Weil sie nicht genau hinschauen. Ein Mann wirft beim Einstellungsgespräch mit Zahlen um sich. Eine Frau spricht von Loyalität, Belastbarkeit und Zuverlässigkeit. Und der Chef entscheidet sich für den Mann, weil das die Sprache ist, die er selbst versteht. Frauen müssen da auch besser ihre Stärken präsentieren – und die Entscheidungsträger müssen aus ihren männlichen Denkmustern herausfinden.

STANDARD: Dennoch: Was, wenn Arbeitskräfte aus der Slowakei, aus Ungarn, Polen, der Ukraine, nicht mehr nach Österreich kommen, um hier zu arbeiten – etwa in der Gastronomie, aber auch im Pflegebereich?

Buttinger: Dann werden wir uns um Arbeitskräfte aus Afrika und aus dem Nahen Osten bemühen müssen.

STANDARD: Das ist schwer vorstellbar. Europa baut seit Jahren an einer Mittelmeer-Festung gegenüber Menschen aus diesen Ländern.

Buttinger: Ich bin sicher, das wird sich in einigen Jahren radikal verändern. Einerseits, weil wir diese Arbeitskräfte wirklich dringend brauchen werden, andererseits, weil wir die Menschen auf Dauer dort nicht halten werden können. Wer einigermaßen aufmerksam die Weltpolitik verfolgt, sieht, dass es riesige Migrationsströme innerhalb von Afrika gibt. Millionen Menschen machen sich seit Jahren in Richtung Norden auf. Das hat mit der globalen Erhitzung zu tun, politische Gründe und hängt auch mit der wirtschaftlichen Ausbeutung dieser Länder zusammen.

STANDARD: Wie soll das funktionieren? Es gibt große Vorbehalte in Europa gegenüber Geflüchteten aus Afrika.

Buttinger: Es wird passieren, ob uns das recht ist oder nicht. Natürlich birgt das kulturelle Herausforderungen in sich, aber es ist auch eine riesige Chance. Wir sollten das Potenzial dieser Menschen nutzen. Und, hier sprechen wir wieder von einem Vorurteil: Das Ausbildungsniveau in vielen afrikanischen Ländern ist mittlerweile top. Ärzte aus Nigeria etwa stehen europäischen Ärzten in nichts nach. Das Mindset in Europa muss sich ändern.(Petra Stuiber, 6.6.2022)