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Der Absatz von Rindfleisch ist in den vergangenen Wochen um mehr als ein Drittel gesunken. Bauern bleiben auf teureren Rindern sitzen.

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Wien – Die hohe Inflation verteuert das tägliche Leben der Österreicher. Das zwingt viele dazu, ihre Einkaufsgewohnheiten zu ändern. Am einfachsten sparen lässt sich bei Lebensmitteln. Supermärkte heften sich angesichts der wachsenden Aufregung um steigende Preise günstige Eigenmarken auf die Fahnen. Bio, das in der Pandemie einen nie da gewesenen Boom erlebte, ist im Sinkflug. Der Fleischkonsum bricht ein.

Werner Habermann, Chef der Rinderbörse, spricht von Absatzeinbußen von 30 bis 40 Prozent innerhalb der vergangenen drei Wochen. Von der zu Beginn des Ukraine-Krieges befürchteten Fleischknappheit ist keine Rede mehr. "Viele Betriebe wissen nicht, wohin mit den Rindern und ihrem Biofleisch."

Deutschland als wichtigster Exportmarkt vor allem für Bio-Rindfleisch lässt aus. Schlachthöfe kämpfen dort angesichts des zunehmenden Fleischverzichts mit Überkapazitäten. Zuvor rasant gestiegene Erzeugerpreise rasseln wieder im Eiltempo bergab. In der Folge stellen auch zahlreiche Landwirte in Österreich keine Kälber mehr ein.

Aderlass am Fleischmarkt

Europaweit gehe der Fleischbedarf um zehn bis 15 Prozent zurück, während der Absatz von günstigeren Grundnahrungsmitteln wie Nudeln und Reis im gleichen Ausmaß steige, sag Hans Schlederer, Chef der Schweinebörse. Er rechnet damit, dass Österreich in den kommenden zwei, drei Jahren ein Viertel seiner Schweinemäster verliert. "Wer sein Getreide zu hohen Preisen verkauft, hat ein sicheres Geld in der Tasche und muss sich nicht länger vorwerfen lassen, ein Tierquäler und Umweltverschmutzer zu sein."

Schweinefleisch war lange Zeit zu Schleuderpreisen im Handel zu haben. Bis nach Ostern schlagartig um gut zwei Euro mehr fürs Kilo zu bezahlen waren, was die Fleischeslust der Österreicher bremste. Weg wie die warmen Semmeln geht nur noch Aktionsware. "Sinkt der Wohlstand, sinkt der Fleischkonsum. Diese Formel gilt weltweit", sagt Schlederer.

Das bekommen auch Bioanbieter zu spüren. Wie gewonnen, so zerronnen seien Umsätze im Lebensmittelhandel, zieht Manfred Huber, Eigentümer des Biofleischspezialisten Sonnberg, Bilanz. Wobei es vielen Konsumenten nicht zwangsläufig an Geld für nachhaltigeren Einkauf fehle, gibt er mit Blick auf ihre Urlaubspläne zu bedenken. "Sie setzen ihre Prioritäten nur anders."

Dank stark wachsender Geschäfte mit der Gastronomie will Huber dennoch nicht klagen. Seine Kunden hätten während der Lockdowns daheim bio gekocht. Das forderten sie jetzt auch bei Wirten ein.

Billigimporte aus Übersee

Nicht gut auf die Gastronomie zu sprechen ist allerdings Habermann. Der Großhandel kaufe für sie im großen Stil wieder Billigfleisch aus Südamerika ein, ärgert sich der Rindervermarkter. "Von wegen Bekenntnis zu österreichischer Landwirtschaft. Dabei lebt unser Tourismus davon, dass sie Grünland bewirtschaftet."

Keinen Grund, sich zu beschweren, haben die Rinderbauern freilich aus Sicht des Großhändlers Christof Kastner: Diese verkauften in der Regel dort, wo sie am meisten verdienten, "und versorgen das Ausland oft lieber als die Österreicher".

Auch Kastner sieht es hierzulande nicht per se an Geld für Bio mangeln, "denn während der Corona-Krise wurde viel gespart". Statt auf Gesundheit legten viele Konsumenten den Fokus aber nun auf Sicherheit. "Hier spielt viel Psychologie mit."

Krisenresistenter

Seit 2019 haben die Österreicher den Anteil ihrer Ausgaben für Bio im Lebensmittelhandel von 9,3 auf 12,5 Prozent erhöht. Otto Gasselich, Vizeobmann des Verbands Bio Austria, hat in der Branche nie zuvor ein derart sprunghaftes Wachstum erlebt. Von einer strukturellen Krise infolge der jüngsten Einbußen sei man daher weit entfernt. Zu befürchten sei jedoch, dass sich der Marktanteil von Bio im Handel wieder auf zehn bis elf Prozent reduziere.

Bioprodukte hätten sich weniger stark verteuert als konventionelle Nahrungsmittel, da diese nicht von synthetischen importierten Düngemitteln abhängen, deren Preise explodierten, erläutert Gasselich. "Sie sind krisenfester." Allerdings kostet Fleisch, anders als Milch, wo Preisunterschiede gering sind, in Bioqualität das Zwei- bis Dreifache. Diese Differenz sei vielen Haushalten in unruhigen Zeiten einfach zu hoch.

Was Biobetriebe zusätzlich spüren: Die Österreicher tragen ihr Geld wieder vermehrt in die Gastronomie und in den Tourismus. Bio ist in beiden großen Märkten traditionell nur schwach vertreten.

Mangel an Mut?

Der langjährige Bioexperte Wilfried Oschischnig hält "Wehleidigkeit" dennoch nicht für angebracht. Österreich habe den Konsumenten erfolgreich Regionalität als neuen Wert verkauft. "Und der Biobranche fehlte der Mut, die Differenz zu konventioneller Landwirtschaft aufzuzeigen." Würden Probleme wie massiver Pestizideinsatz in der österreichischen Landwirtschaft nicht thematisiert, weil alle am Markt an Fördertöpfen hängen, dürfe man auch von den Konsumenten nicht verlangen, zwischen biologisch und regional unterscheiden zu können.

In den Köpfen vieler Österreicher "ist regional das neue Bio", ist auch der Marktforscher Andreas Kreutzer überzeugt. Der Handel lasse Bio zusehends unter den Tisch fallen. Der Zusammenhang zwischen Bio und Österreich gehe überdies durch starke Bioimporte verloren.

Regional als neues Bio

"Herkunft hat Bio als übergeordnetes Qualitätsmerkmal außer Kraft gesetzt." Dabei sei das, was unter regional verstanden werde, sehr heterogen, betont Kreutzer, der den politisch propagierten "Ernährungsprotektionismus" als Rückschritt sieht.

Für die einen sei alles innerhalb eines Radius von 300 Kilometern regional, für die anderen setze es voraus, den Produzenten persönlich zu kennen. "Ist für Wiener der Vorarlberger Bergkäse regionaler als Paprika aus Ungarn?" Die vielzitierte Erfolgsstory von Bio in Österreich bildet sich für ihn in Zahlen nicht ab. Österreich habe mehr als 20 Jahre lang massiv in den Markt investiert – "dafür, dass letztlich nur ein Fünftel aller Lebensmittel bio ist? Beim Rest wird immer noch darauf gepfiffen." (Verena Kainrath, 6.6.2022)