Vor rund 20 Jahren rief eine Gruppe rund um die amerikanische Soziologin Susan Leigh Star die Society for People Interested in Boring Things ins Leben, eine halb ernst gemeinte, halb ironische Gesellschaft für Menschen, die sich brennend für selbsterklärt langweilige Dinge wie Standardisierung, bürokratische Abläufe oder Infrastrukturen interessieren. Der Verein hat keine Webseite und keine Anmeldeformulare, keine Gebühren und keine Kontaktadresse; er existiert heute als reine Form und gelegentlich als Anekdote. Schade, denn meine Forschung zu digitalen Infrastrukturen im Alpenraum wäre dort sicherlich in guter Gesellschaft.

Digitale Infrastrukturen und die Metapher der Cloud

Ich interessiere mich für die Maschinen, Rechner, Kabel und Antennen, die unser Leben im digitalen Zeitalter ermöglichen. Genauer gesagt faszinieren mich die Sprachbilder und Vorstellungen, die rund um sie entstehen: Digitale Infrastrukturen sind Architekturen, die sich gerne in Metaphern wie etwa früher dem Cyberspace oder heute der Cloud auflösen. Auch ihre Bauweise verfolgt in vielen Fällen eine Politik des Vergessens; die meisten Datenzentren sind graue, fensterlose Lagerhallen, Antennen werden in Tarnfarbe gestrichen, und Beschilderungen sucht man oft vergeblich. Vergleicht man moderne Digitalinfrastrukturen mit ihren Vorgängern – prunkvolle Bahnhöfe, aufwendig verzierte Straßenlaternen, imposante Aquädukte – erscheinen sie mitunter tatsächlich, nun ja, langweilig.

Ein ständiges Abwägen zwischen guter Reichweite und unauffälligem Verschwinden in die Landschaft: mobile Sendemasten im oberösterreichischen Salzkammergut (links, in Tarnfarbe) und im Süden von Salzburg (rechts).
Foto: Vanessa Graf

Wo eine Infrastruktur in Erscheinung tritt (und wo nicht), ist sorgfältig gewählt und damit höchst politisch, wie der Anthropologe Brian Larkin schreibt. Das gilt auch für die Cloud: Wo sich ihre Architektur zurücknimmt, wirkt die Idee von immer und überall zugänglicher Information, ressourcenfreiem Arbeiten und körperloser, unmittelbarer Verbindung umso stärker. Dieses Bild der immateriellen Digitalität ist ein Beispiel für eine soziotechnische Vorstellung, wie sie die Wissenschaftshistorikerin Sheila Sen Jasanoff und der Historiker Sang-Hyun Kim beschreiben – ein kollektiv verankertes Bild, eine gemeinsam vertretene soziale und technologische Norm, die im Design einer bestimmten Technologie zum Ausdruck kommt.

Digitale Infrastrukturen sind nicht unsichtbar, aber meistens zumindest unauffällig: Hier zwei Deckel zu Telekom-Schächten der Firma Colt auf einem Gehweg in Berlin (links) und auf meinem Weg zur Arbeit in Basel (rechts). Colt betreibt eines der größten Glasfasernetzwerke in Europa.
Foto: Vanessa Graf

Die Bildmacht der Alpen: Wasserkraft und Sicherheit

Soziotechnische Vorstellungen sind vielzählig, teilweise überlappend und höchst spezifisch; so zeigt sich in Österreich und der Schweiz ein je eigenes Bild. Während digitale Infrastrukturen auch hier eine gewisse architektonische Unauffälligkeit verfolgen, kommt ihre geografische Lage trotzdem unverhältnismäßig oft zur Sprache. Dabei wird gerne das Bild von unberührter Alpennatur im Sinne einer nachhaltigen digitalen Wirtschaft mobil gemacht, Wasserkraft und die Berge als unermüdlicher Energieversorger stehen im Mittelpunkt. Besonders in der Schweiz wird außerdem mit ehemaligen Bunkern unter Bergmassiven und Felswänden geworben, um die Idee von sicherer Datenaufbewahrung zu transportieren. Daten werden hier zu Gold, die Alpen zum mächtigen Schutzort.

Zu den digitalen Infrastrukturen der Alpen zählen etwa Rechenzentren, Glasfaser- und Kupferkabelnetze sowie Antennen wie hier: verschneite Sendemasten auf dem Gipfel des Schneebergs in Niederösterreich.
Foto: Vanessa Graf

Diese lokalen Versionen der Cloud beschwören das Bild von emissionsfreien und sicheren Infrastrukturen in einer ländlichen Alpenidylle. Das ist beachtlich, vor allem vor dem Hintergrund, dass die globale Cloud, wäre sie ein Land, den fünftgrößten Energieverbrauch der Welt aufweist, wie Greenpeace berichtet. In der Schweiz hat unter anderem das Bild vom sicheren, energieneutralen Standort zum intensiven Ausbau digitaler Infrastrukturen geführt, das Land hat heute die fünftmeisten Datenzentren in Europa. Österreich ist als digitaler Wirtschaftsstandort hingegen weitaus weniger etabliert, vielleicht auch deshalb, weil die spezifisch österreichische Vorstellung von Technologien historisch gesehen oft eine kritische war. Zurückhaltung im Infrastrukturausbau kann aber auch eine Strategie sein: in den Alpen, einem der artenreichsten Lebensräume Europas, vielleicht nicht einmal die schlechteste. (Vanessa Graf, 10.6.2022)