Im Gastblog blicken Thomas Hofmann, Vera M. F. Hammer und Martin Krenn auf zoologische und geologische Forschungen in Brasilien.

Wer bei Brasilien nur an Samba, Karneval und Fußball denkt, übersieht die natürliche Vielfalt des Landes mit dem großen biologischen Artenreichtum. Brasilien mit einer Fläche von 8.515.770 Quadratkilometer hat mehr zu bieten als den vielfach assoziierten Regenwald des Amazonas. Mit der Baumsteppe Cerrado im Zentrum, Sumpfgebieten im mittleren Westen, der Trockensavanne im Nordosten und der Grassteppe im Süden verfügt das Land über höchst unterschiedliche Biome, sprich Großlebensräume. Im artenreichsten Land unseres Planeten tummeln sich – nach aktuelle Schätzungen – rund 1,8 Millionen Arten, darunter 700 Säugetierspezies, 1.900 Vogelarten, 848 Reptilien-, 1.119 Amphibien- und 3.500 Fischarten. Dazu kommen 100.000 Insekten- und 55.000 Pflanzenspezies.

Seit über 200 Jahren, beginnend mit der großen Brasilienexpedition 1817, an der Johann Natterer (1787–1843) und Emanuel Pohl (1782–1834) teilnahmen, tragen heimische Forscherinnen und Forscher wesentlich zur Erkundung des Landes bei. Seit damals gab es immer wieder Forschungsinitiativen, darunter auch jene des Zoologen Friedrich Schaller (1920–2018), des einstigen Vorstands des ersten Zoologischen Instituts der Universität Wien.

Wer will im Amazonas forschen?

1973 suchte Schaller für ein Forschungsprojekt im Amazonas Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings hielt sich die anfängliche Begeisterung in Grenzen, war doch damals der Amazonas noch als "Grüne Hölle" stigmatisiert, sein Ruf als Hotspot der Biodiversität steckte in den Kinderschuhen. "Schließlich konnten aber doch drei junge, knapp vor ihrem Doktoratsabschluss stehende Zoologiestudenten gewonnen werden, wobei ich nach Abgabe meiner elektrophysiologischen Dissertation im November 1974 als Erster für ein Jahr nach Brasilien aufbrach", erinnert sich der mittlerweile emeritierte Zoologe Walter Hödl, Vorsitzender des Niederösterreichischen Naturschutzbundes, an seine Frühzeit als Brasilienforscher. Hier waren es die Frösche, denen sich der junge Zoologe, der 1978 Assistent bei Schaller wurde, widmete.

Walter Hödl mit Hypsiboas wavrini, dem größten Baumfrosch des Amazonas, Aug in Aug.
Foto: Peter Narins

Sein Forschungsthema: die Kommunikation der Frösche. Hödl fokussierte sich nicht nur auf die Akustik, das Quaken, um es salopp zu formulieren, sondern auch auf sichtbare Signale. Dazu zählen die vibrierende Schallblase oder seitlich weggespreizte Hinterbeine, Stichwort "Winkerfrösche". Heute, nachdem er selber zahlreiche Diplomarbeiten und Dissertationen in Brasilien betreut hat, gehört er zu den Granden unter den Herpetologen. Insgesamt 55-mal war Hödl in Südamerika, als Forscher wie auch als Vortragender und Lehrender an Universitäten. Wen wundert's, dass eine neu entdeckte Pfeilgiftfroschart seinen Namen, Allobates hodli, trägt. Wer den kleinen Frosch im O-Ton hören will, ist HIER richtig.

Ein rufendes erwachsenes Männchen von Sphaenorhynchus lacteus, einem nachtaktiven Bewohner der schwimmenden Wiesen Amazoniens.
Foto: Walter Hödl

Virgil Helmreichens Querung des Landes

Weniger bekannt ist Virgil von Helmreichen zu Brunnfeld, gebürtiger Salzburger des Jahres 1805, ein an der Bergakademie in Schemnitz (heute: Baňská Štiavnica, Slowakei) ausgebildeter Bergmann und Montanist. Nach einschlägigen Arbeiten in Salzburg reiste er 1836 nach Brasilien. Sein erster Auftrag: Entwurf von Betriebsplänen für zwei große Goldbergbaufirmen in der Provinz Minas Gerais im Osten des Landes. Ab 1842 widmete er sich seinem größten Werk, der Durchquerung des südamerikanischen Kontinents samt Erstellung eines geologischen Schnitts (Profil).

Helmreichen wollte, ausgehend von Rio de Janeiro, über São João del-Rei durch Goiás die Wüstensteppe Sertão erreichen. Von hier sollte es, den Grao Chaco querend, über Bolivien via Chuquisaca und Potosí Lima oder einen anderen Hafen zur Westküste Südamerikas gehen. Von dort wollte er die Rückkehr in seine Heimat, wo er formal immer noch den Posten eines k. k. Montanbeamten bekleidete, antreten. Für dieses ehrgeizige Projekt wurde ihm von heimischer Seite, unterstützt durch wohlwollende Fürsprecher am k. k. Hof-Mineralien Cabinet, wie den Naturforscher Karl Franz Anton von Schreibers und den Mineralogen Wilhelm von Haidinger, mit Allerhöchster Entschließung vom 1. April 1843 die bedeutende Summe von 6.000 Gulden bewilligt. Die erste Tranche war am Beginn, in Rio, auszuzahlen, die zweite an der Westküste, nach Ende der Mission – so weit der Plan.

Die Diamantmonografie aus dem Jahr 1846 hatte Helmreichen bereits im Mai 1843 vollendet.
Foto: GBA

Aufgrund umfangreicher Vorbereitung, die mit der Anschaffung von Messinstrumenten verbunden war, konnte Helmreichen erst im Mai 1846 starten. Im August 1847 erreichte er in Cuiabá (Provinz Mato Grosso) das Zentrum des südamerikanischen Kontinents. Im Februar 1848 kam er nach Asunción, der Hauptstadt Paraguays, von hier aus steuerte er Concepción an der chilenischen Pazifikküste an. Damit war die Mission, die Querung des Kontinents, erfüllt.

Diamantkristalle von Virgil von Helmreichens Brasiliendurchquerung aus den 1840er-Jahren.
Foto: NHMW/Alice Schumacher

Doch die strapaziöse Rückkehr erfolgte durch das Landesinnere an den Atlantik. Am 15. März 1851 traf er in Rio de Janeiro ein, wo er an Blattern erkrankte. Trotz anfänglicher Besserung erlitt er im Dezember 1851 einen Rückfall und verstarb am 6. Jänner 1852. Seine Heimat sah er nicht wieder. Die Früchte seiner Arbeiten hatten schon vorher die alte Welt erreicht. Alleine 1.281 Objekte, darunter zahlreiche Diamanten verschiedener brasilianischer Fundorte, befinden sich heute in den Sammlungen des Naturhistorischen Museums in Wien. Seine Monografie über Diamanten mit einem Vorwort seines Mentors Haidinger war schon 1846 erschienen.

Die Brasilienexpedition Steindachners 1903

"Wir haben 150 volle Kisten mitgebracht, abgesehen von unzähligen Paketen und einer ethnographischen Sammlung von alten Bogen, Pfeilen, Stoffen und vier Stück steinernen Beilen, besonders wertvoll, da sie in Europa kaum zu finden sind. Ich zahlte für das Stück hunderttausend – erschrecken Sie nicht! – Reis, also sechzig Gulden" (Die Zeit, 11. November 1903). Das war die Bilanz der zehnmonatigen Brasilienexpedition unter der Leitung von Franz Steindachner (1834–1919).

Ölgemälde von Josef Engelhart mit Franz Steindachner, dem Intendanten des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums, umgeben von Fischpräparaten.
Foto: NHMW/Alice Schumacher

Er war am 15. Februar 1898 Intendant des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums und damit auch wirklicher Hofrat geworden. Freilich, für Steindachner selbst zählten in erster Linie Fische, gilt er doch als der Ichthyologe des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Unglaubliche 400.000 Fische hat er im Lauf seiner fast sechzigjährigen Dienstzeit am Museum zusammengetragen, gesammelt, gekauft und getauscht. Um diese Daten einzuordnen: Heute zählt die Fischsammlung des Museums knapp eine Million Exemplare, somit gehen rund 40 Prozent auf ihn zurück. Über 1.000 Arten beschrieb der schrullige Junggeselle neu. Dass er bei Insidern "Fischhofrat" genannt wird, ist nur allzu verständlich.

Im Vordergrund ein Fang Steindachners, Curimatus (Psectrogaster) rhomboides, zahnlose Süßwasserfische aus der Familie der Breitlingssalmler.
Foto: NHMW/Alice Schumacher

Die Brasilienexpedition des Jahres 1903 erfolgte im Auftrag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, deren damaliger Präsident der Geologe Eduard Suess (1831–1914) war. Suess und Steindachner waren seit Studienzeiten eng befreundet. Suess hatte dem jungen Steindachner geraten, sich den Fischen zu widmen, folglich dissertierte Steindachner 1859 über fossile Fische Österreichs. Später zog er allerdings rezente Fische als Forschungsobjekte vor. Zeit seines Lebens war der rastlose Zoologe unterwegs für "seine" Fische. Die Brasilienexpedition, die seine letzte Forschungsreise sein sollte, unternahm er mit den Kustoden Franz Penther und Otmar Reiser sowie zwei Präparatoren.

Am 16. Februar 1903 betraten sie in Recife erstmals brasilianischen Boden. Ziel war es, die Nordostprovinzen des Landes zu erkunden. Die Gruppe bewegte sich mit der Bahn, mit Maultieren, auf einem Floß und per Dampfer durch das Land. Steindachners Schwester Anna gab ihrem Bruder eine Kiste mit zehn Paar neuen Schuhen mit, doch als er sie im Dschungel auspackte, stellte sich heraus, dass sie alle zu klein waren. "Hier hörte jede Kultur auf, jetzt kam die Wildnis."

Unermüdliche Sammeltätigkeit, aufmerksames Beobachten

Die Männer scheuten keine Mühen, wurden krank ("böses Fieber") und nutzten trotzdem jede Gelegenheit zum Sammeln. Einige der damaligen Praktiken sind heute ein No-Go. "Am Panagoasee hatten wir durch die Fischerei mit Sprengstoff enorme Ausbeute. Meterhoch wird das Wasser vom Grunde aus in die Höhe geschleudert, und was an Fischen in der Nähe ist, kommt betäubt an die Oberfläche." Am Rio Grande und Rio Preta begegneten ihnen "die ersten Krokodile in Massen". Doch trotz einer "Unmenge von Schüssen" erlegten sie nur drei Stück.

Folgen wir Steindachners Schilderungen, war es nicht immer derart martialisch. "Tag und Nacht war unser Hotel von Eingebornen umlagert, die uns lebende Straußvögel, Tigerkatzen, Schlangen, Eidechsen und Frösche in Unmassen zum Kauf anboten. Wir haben sehr viel gekauft und sofort präpariert." Natürlich kamen auch die Fische nicht zu kurz. "Auch hatte ich eine sehr gute ichthyologische Ausbeute in den toten Armen des Flusses San Francisco. Es waren meist Fische von der Gattung der Characnien und Ziehliden." Neben Sammeln hatten die Wiener Forscher auch ein Auge für die Flora – "Die Ufervegetation ist paradiesisch schön" – und Fauna: "An den Palmenblättern klebten Leguane, mit ihrem scheußlichen ungetümähnlichen Aeußeren, dem dicken Kopf und dem noch größeren Kropf, meterlange und furchtbar faule Eidechsen. Die Schiffer streiften einige der Gesellschaft ganz einfach mit der Stange vom Blatt ins Boot. Bei Nacht quacken diese Tiere wie die Frösche."

Schade, dass Steindacher und seine Begleiter kein Mikrofon mit sich führten, denn neben tierischen Lauten hätten sie wohl auch die Klänge des menschlichen Alltags im O-Ton eingefangen. Nicht weniger als 59-mal saßen die Männer mit ihren Booten bei niedrigem Wasserstand auf und waren derart erbost, dass sie vor Wut schwarze "G'stanz'ln" gesungen haben, so Steindachner im Rückblick. (Thomas Hofmann, Vera M. F. Hammer, Martin Krenn, 9.6.2022)