Geflüchtete an der serbisch-kroatischen Grenze.

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Wien/Graz – Jetzt ist es höchstgerichtlich bestätigt: Die Zurückweisung des 21-jährigen Marokkaners Ayoub N. von Österreich nach Slowenien im Herbst 2020 durch die steirische Polizei war rechtswidrig. Das hatte das Landesverwaltungsgericht (LVG) Steiermark bereits im Juli 2021 entschieden. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) diese Entscheidung bestätigt, indem er eine von der Landespolizeidirektion Steiermark eingebrachte Revision zurückwies. Im Innenministerium wird der Beschluss "zur Kenntnis genommen". Ob aus ihm auch Konsequenzen gezogen werden, werde noch geprüft.

Ins Rollen gebracht hatte das Verfahren eine Maßnahmenbeschwerde von Ayoub N. Er hatte am 28. September 2020 gemeinsam mit sechs anderen Geflüchteten, drei davon unbegleitete Minderjährige, ohne Dokumente die Grenze von Slowenien nach Österreich überschritten. Nachdem jemand die Polizei verständigte hatte, rückten 37 Beamte mit 14 Fahrzeugen aus und griffen die Gruppe in einem Maisacker auf. Sie wurden zum Grenzübergang Sichelsdorf gebracht, wo sich Ayoub N. in einer Nische am Gang nackt ausziehen musste. Auch das war laut Gerichtsurteil mit höchstgerichtlicher Bestätigung rechtswidrig, weil unverhältnismäßig. Im Anschluss wurde die Gruppe nach Slowenien abgeschoben und zumindest Ayoub N. von dort weiter nach Kroatien und dann nach Bosnien-Herzegowina.

Kein Recht auf Wiedereinreise

In der entscheidenden Frage, nämlich ob das Wort "Asyl" gesagt wurde oder nicht, stand es vor Gericht Aussage gegen Aussage. Ayoub N. behauptete, es mehrmals gesagt zu haben. Die beteiligten Polizisten erinnerten sich nicht daran, es gehört zu haben. Gleichzeitig hatte aber auch niemand gefragt, was die Menschen überhaupt in Österreich wollten. Man sei davon ausgegangen, dass sie durchreisen wollen, sagten einige Polizisten aus. Das sei ein Vorurteil, entschied das Gericht – basierend auf frühere Rechtsprechung des VwGH müsse sich die Polizei außerdem vergewissern, ob ein Asylantrag gestellt wird oder nicht.

"Es ist uns gelungen, den Nachweis für die Verletzung eines absolut geltenden Menschenrechts zu erbringen", sagt Rechtsanwalt Clemens Lahner, der Ayoub N. vertritt. "Es ist aber unbefriedigend, dass mein Mandant trotz der festgestellten Rechtsverletzung nicht automatisch das Recht zur Wiedereinreise nach Österreich hat." Die Initiative Pushback Alarm Austria und die Asylkoordination Österreich fordern nun die Schließung dieser Rechtslücke. Werde gerichtlich ein Pushback festgestellt, sollte den Betroffenen die Wiedereinreise gestattet und ein Schadenersatz zuerkannt werden, fordern sie in einer Presseaussendung.

Ayoub N. befindet sich mittlerweile an der Grenze von Serbien zu Ungarn. Dort sei er aktuell obdachlos, sagt er in einem Videotelefonat mit dem STANDARD. Über die Entscheidung des VwGH zeigt er sich erfreut. "Dieser Albtraum muss aufhören. Ich muss ehrlich sagen, von einem EU-Land auf diese Art zurückgewiesen zu werden war sehr schwierig für mich. Ich hatte damit psychisch schwer zu kämpfen, und ich habe zwei Jahre meines Lebens dadurch verloren." Er wolle weiterhin versuchen, in die EU zu gelangen.

Kritik von den Grünen

In seinem Urteil vom Juli 2021 war das LVG Steiermark auch zu dem Schluss gekommen, "dass 'Push-Backs' (sic) in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden". Im Innenministerium wies man dies damals entschieden zurück. Kaum ein halbes Jahr später wurde dann aber schon ein zweiter, ganz ähnlicher Fall eines 17-Jährigen Somaliers dokumentiert. Auch hier entschied das LVG Steiermark, dass die Zurückweisung illegal gewesen sei, und auch hier ist eine Revision beim VwGH anhängig.

Im Innenministerium gibt man sich zu der aktuellen VwGH-Entscheidung wortkarg. Man nehme sie zur Kenntnis und prüfe weitere interne Schritte, heißt es auf Anfrage. Ob die an dem Pushback beteiligten Polizisten darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass ihr Verhalten rechtswidrig war, wurde nicht beantwortet.

"Pushbacks sind ein No-Go! Menschen sind keine Pakete, sondern haben Rechte", sagt der grüne Asylsprecher Georg Bürstmayr und fordert auch disziplinarrechtliche Maßnahmen für die beteiligten Polizisten: "Damit das in Zukunft nie wieder stattfindet." Vom ÖVP-Parlamentsklub wollte auf Nachfrage niemand etwas zu der Causa sagen.

Für Lukas Gahleitner-Gertz, den Sprecher der Asylkoordination Österreich, hat Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) Erklärungsbedarf, da er im Dezember 2021 dem Parlament versichert habe, dass es in Österreich keine illegalen Pushbacks gebe: "Es stellt sich die Frage, ob der Innenminister das Parlament angelogen hat oder er schlicht keine Ahnung hat, was in seinem Einflussbereich passiert. In beiden Fällen ist er rücktrittsreif." (Johannes Pucher, 9.6.2022)