Das Menü endet mit Canelés und Salzkaramelltartelettes – zwei Klassiker der französischen Küche, traditionell mit viel Butter, Milch und Ei. Im Jola aber kommen sie gänzlich ohne tierische Produkte aus. Wie auch die neun vorherigen Gänge, die Koch Jonathan Wittenbrink und sein Team im Jola servieren.

Veganismus ist längst angekommen in der breiten Bevölkerung: Wursthersteller bringen Fleischersatzprodukte auf den Markt, Discounter werben mit pflanzlichen Aufstrichen, und selbst Traditionslokale führen vegane Schnitzel auf der Karte. Nicht nur in Großstädten wie Wien sprossen vegane Restaurants in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden.

Jungköche Romain Bordier und Enes Irik (l. u. r.), die Restaurantgründer Jonathan Wittenbrink und Larissa Andres (Mi.): Veganes auf Topniveau.
Foto: Larissa Andres

In der Spitzengastronomie aber kann man die Lokale, in denen ausschließlich mit pflanzlichen Produkten gekocht wird, europaweit an einer Hand abzählen. Spitzengastronomie heißt, dass allein der Gruß aus der Küche über zehn Arbeitsschritte umfasst und der Sous-Chef unzählige Küchlein bäckt, bis er sie für gut genug befindet, um sie den Gästen zu servieren. So ein Lokal ist das Jola, das Jonathan Wittenbrink und seine Partnerin Larissa Andres Anfang März am Salzgries im ersten Wiener Bezirk eröffnet haben.

Canelés, goldbraune Küchlein, seien das wohl "unveganste Rezept", sagt der 30-jährige Wittenbrink. "Vor allem Desserts werden in der veganen Küche stiefmütterlich behandelt." Heißt in der Regel: Sorbet und Fruchtkompott. Die Leute hätten keine Lust, sich mit veganen Teigen oder Eis zu befassen. "Das braucht Geduld, man muss sich rantasten."

Statt Kokos, Grundlage vieler pflanzlicher Eissorten, nach Wittenbrinks Meinung aber mit zu kräftigem Eigenaroma, nimmt er Sojamilch und gewässerte Cashews – dadurch verlieren sie ihren Nussgeschmack, und die Masse kann als Basis für verschiedene Sorten genutzt werden. Bei den Canelés haben sie lange mit unterschiedlichen Mehlsorten experimentiert, weil Eier als Bindemittel wegfallen. Wichtig fürs Gelingen des Teiges seien auch Temperaturen und Ruhezeiten. Viele Dinge könne man nicht eins zu eins ersetzten, sagt Wittenbrink. Oft braucht es ganz neue Rezepte.

Wer keinen Fond aus Knochen kochen, keine Geschmacksträger wie Butter verwenden kann, der muss in der Topgastronomie vor allem: experimentieren.
Foto: Larissa Andres

Sous vide gegarter Pilz

Als Einschränkung empfindet er den Verzicht auf tierische Produkte nicht. Er verweist auf die New Nordic Cuisine, jene radikale Rückbesinnung auf nordische Produkte, mit der Noma-Chefkoch René Redzepi von Kopenhagen aus die kulinarische Welt revolutioniert hat. "Durch die Beschränkung ist ganz viel Neues entstanden," meint Wittenbrink.

Er versucht nicht, Produkte zu ersetzen. Vielmehr geht es ihm darum, die geschmackliche Vielfalt aus Gemüse und Co herauszuarbeiten. Die Brotreste zum Beispiel: Fermentiert mit Koji-Pilzen, entsteht ein ganz neuer Geschmack, sagt Wittenbrink. Vollmundig, "wie wenn man Camembertrinde ableckt". Nicht nur Fleisch kann man trocknen, reifen und sous vide garen. "Umso mehr man sich mit Gemüse auseinandersetzt, desto mehr merkt man, wie vielseitig es ist."

Mehr als acht Jahre hat Wittenbrink im vegetarischen Sternerestaurant Tian gekocht, zuletzt war er Küchenchef im Bistro am Spittelberg. Dort traf er Larissa Andres, die parallel zu ihrem Studium (Unternehmensführung und Entrepreneurship) als stellvertretende Restaurantleiterin arbeitete. Sie verliebten sich, träumten vom eigenen Lokal, kündigten wenig später, um dann ein knappes Jahr am Konzept ihres Jola zu tüfteln. Vegan sollte es sein, das war von Anfang an klar. Wittenbrink suchte nach den vegetarischen Jahren im Tian nach neuen Herausforderungen. Andres ernährt sich seit vielen Jahren vegan, anfangs aus gesundheitlichen Gründen, dann aber, nachdem sie sich näher damit befasst hatte, weil es für sie "kein Zurück" mehr gab.

Foto: Luisa Operschall.

Wenn Andres und Wittenbrink über Essen reden, fallen Begriffe wie Nachhaltigkeit, faire Produktionsbedingungen, Tierwohl, gesunde Böden und CO2-Bilanz. Sie stehen hinter ihren Überzeugungen, belehren aber wollen sie nicht. Das Essen im Jola soll Spaß machen. Das Wort "vegan" findet sich weder auf der Website noch im Menü. Ihr Anspruch ist nicht: "Für ein veganes Dessert ist das echt gut." Sondern: "Wow, das schmeckt! Ich vermisse an diesem Gericht nichts."

Umami dank Shiitake

Sie haben schon viele Gäste erlebt, die nicht glauben können, dass die Jus, die sie zu mit Morcheln gefüllten Teigtaschen servierten, wirklich keinen Kalbsfond enthielt. So intensiv sei sie. Das Geheimnis: Röstaromen von angebratenem Gemüse und Shiitakepilze. "Die bringen Umami", erklärt Koch Wittenbrink. Außerdem nutzt er verschiedene Weine und Essige. Deren Aroma merke man viel stärker, wenn man keine Knochen verwendet.

Gelernt hat Wittenbrink im deutschen Drei-Sterne-Restaurant Schwarzwaldstube: "Vegetarisches Kochen war damals kein Thema, vegan schon gar nicht." Wittenbrink kritisiert den starken Fleischfokus, der in vielen Gourmetrestaurants vorherrscht. Vor allem die österreichischen Köche seien in ihrem Denken veraltet – "ich sage bewusst Köche, weil Köchinnen meist deutlich aufgeschlossener sind".

Foto: Larissa Andres

Was hat die beiden jungen Köche, die mit Jonathan Wittenbrink in der Küche des Jola stehen, in ein veganes Restaurant verschlagen? "Ich koche einfach lieber mit Gemüse", sagt Romain Bordier, der seine Heimat Le Réunion nach der Schule verlassen hat, um in Frankreich das Kochen zu lernen. Die französischen Techniken seien eine gute Basis, sagt er, um dann Neues auszuprobieren. Wie etwa die veganen Canelés, für die er wochenlang an der Konsistenz getüftelt hat und von denen das Team selbst nicht gedacht hätte, dass sie so gut gelingen werden. Gerade erst hat er einen neuen Schwung gebacken. In der Küche duftet es nach Karamell. Und der Geschmack? Genau so, wie man es von Canelés erwartet: außen knusprig, innen leicht klebrig und weich.

Foto: Larissa Andres

Der dritte im Bunde, Enes Irik, formt gerade die Teigtaschen, die mit besagter Jus auf dem Teller landen. Der 28-Jährigehat schon mit Wittenbrink im Tian gekocht, zuletzt aber in einem Steakhouse gearbeitet. "Das ging bei mir von null auf hundert", sagt er lachend. "Ich hatte ein bisschen die Schnauze voll von Fleisch." Da sei geschmacklich alles rausgeholt.

Foto: Larissa Andres

Statt Steak bereitet er nun Buchweizentartelettes und Hirsesalat zu. Letzteres kam bei den Gästen besonders gut an, sagt Larissa Andres. Selbst als Veganerin sei sie der "faden Hirse" skeptisch gegenübergestanden. "Aber gerade aus simplen Zutaten kannst du so viel rausholen!" Sie schätzt, dass jeder zehnte Tisch mit rein vegan essenden Gästen besetzt ist. Manche wüssten gar nicht, dass im Jola komplett ohne tierische Produkte gekocht wird. Dann gebe es aber auch jene, die schon beim Betreten des Lokals ankündigen, dass sie angesichts der rein pflanzlichen Küche "sehr hohe Erwartungen" haben, erzählt Andres. "Aber selbst die sagten dann: Wir kommen wieder." (Verena Carola Mayer, 11.6.2022)