Traum der Arbeitnehmer oder gefährliche Mogelpackung? Die Viertagewoche wird in vielen britischen Unternehmen gerade getestet.

Großbritannien probiert derzeit aus, was sich wohl viele Menschen wünschen: Von Juni bis Dezember testen mehr als 70 britische Unternehmen und Organisationen aus den verschiedensten Branchen mit zusammen über 3.000 Mitarbeitenden die Viertagewoche – und das ganz ohne Lohneinbußen für die Beschäftigten. 80 Prozent Arbeitszeit, 100 Prozent Lohn lautet der Deal, allerdings muss die Produktivität zu 100 Prozent aufrecht erhalten bleiben. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von Forschern der Universitäten Cambridge, Oxford und Boston College.

Sie wollen die Auswirkungen auf die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden messen – ebenso sollen die Effekte auf die Umwelt und die Gleichstellung der Geschlechter erforscht werden. Juliet Schor, Soziologieprofessorin am Boston College und federführende Forscherin des Pilotprojekts, sagte der britischen Zeitung Guardian: "Wir werden analysieren, wie Arbeitnehmer auf einen zusätzlichen freien Tag reagieren, und zwar in Bezug auf Stress und Burnout, Arbeits- und Lebenszufriedenheit, Gesundheit, Schlaf, Energieverbrauch, Reisen und viele andere Aspekte des Lebens."

Ähnliche Tests laufen unter anderem auch in den USA, in Kanada oder in Israel. Auch in Österreich probieren verschiedene Unternehmen ein solches Modell gerade aus, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein und dem Personalmangel entgegen zu wirken. Allerdings räumen hierzulande auch verschiedene kollektivvertragliche Vereinbarungen Viertagewochen bereits ein. Und die jeweiligen Firmen in Österreich haben ihr "Labor" für die neue Arbeitswelt mit der verkürzten Jobwoche jeweils für sich eröffnet, ohne gemeinsame Begleitung oder Evaluierung.

PRO: Traut euch!

von Anika Dang

Dank des Pfingstmontags hatten viele Beschäftigte eine verkürzte Arbeitswoche. Vier Tage Arbeit, drei Tage frei – und das bei vollem Gehalt. Kann das nicht immer so sein? Wovon Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande nur träumen, wird in Großbritannien Realität. 70 Firmen und mehr als 3.300 Arbeitende aus unterschiedlichsten Bereichen nehmen in den nächsten sechs Monaten an dem bislang größten Versuch zur Viertagewoche teil.

Bereits vor einem Jahr sorgte ein ähnliches Experiment aus Island für internationale Schlagzeilen. Das Ergebnis: Das Wohlbefinden der Teilnehmenden hat sich gesteigert, gleichzeitig ist die Produktivität laut Studienbericht gleich geblieben oder gar gestiegen – Erkenntnisse, die auch andere Studien belegen.

Die Debatte um eine Arbeitszeitreduktion ist auch hierzulande nicht neu, die 40-Stunden-plus-Woche hat für viele ausgedient. Doch wie klappt das mit der Produktivität? In Island wurden Einbußen verhindert, indem Arbeitsroutinen verbessert wurden. Die vielfache Forderung, die Arbeitswelt müsse sich an die Menschen anpassen – und nicht umgekehrt –, findet hier deutlichen Zuspruch. Auch in Österreich setzen immer öfter Firmen auf kürzere Arbeitszeiten und konnten einen weiteren positiven Nebeneffekt feststellen: mehr Bewerbungen. Vor dem Hintergrund fehlender Fachkräfte kann man heimischen Unternehmen also nur raten: Traut euch! (Anika Dang, 9.6.2022)

KONTRA: Gefährliche Mogelpackung

von Karin Bauer

Es klingt ganz himmlisch: Die Arbeitswoche hat künftig nur mehr vier Tage bei vollem Lohnausgleich. Die Parameter des nun anlaufenden britischen Großexperiments zur Viertagewoche zeigen aber schon, dass die Arbeitswelt dem Himmel so wohl nicht näherrückt. Vorgabe ist nämlich die gleiche Produktivität während dieser vier Tagen wie zuvor während fünf Tagen. Das kann nur bedeuten, dass dieselbe Arbeitsmenge in weniger Zeit zu bewältigen ist. Mit "Wellbeing" und Entlastung hat das auf Dauer nichts zu tun – nur mit einem letzten Dreh an der Effizienzschraube.

Das bekommen nicht nur die zu spüren, die unmittelbar im Experiment solcher Arbeitsverdichtung stecken, sondern alle in der Arbeitskette. Jetzt sofort muss alles zugeliefert und getan werden, denn morgen bin ich ja nicht da – das sind Dominoeffekte. Welchen Stress, welche enorme Beschleunigung das mit sich bringt, wissen tausende Mütter, die Teilzeit arbeiten, um schnell wieder für die Betreuungsaufgaben zur Verfügung zu stehen. Da müssen viele Pausen ausfallen. Da bleibt eine Mittagsruhe auf der Strecke, da geht sich ein kollegiales Gespräch leider nicht aus. Da heißt es nur mehr: zack, zack, zack!

Ohne Aufteilung der Arbeitsmenge auf mehr Menschen in einem Viertagemodell ist die Gefahr real und groß, dass die – vor allem psychischen – Belastungen schnell zu einem noch größeren Phänomen werden. (Karin Bauer, 9.6.2022)