Gummistiefel waren zuletzt in ganz Ostösterreich Mangelware. Das Nova Rock war schuld.

Foto: APA/Wieser

Evanescence schmetterten ihre Powerballaden. ESC-Windmaschine war keine notwendig.

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In Spiellaune an seinem Geburtstag: Matthew Bellamy von Muse.

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Schwarze Löcher tun sich dieser Tage aufgrund der schweren Regenfälle nicht nur auf dem Rasen des Wiener Ernst-Happel-Stadions auf. Schwarze Löcher besang am Donnerstagabend zur Eröffnung des ersten vollumfänglichen Nova-Rock-Festivals nach zwei Jahren Pandemiepause auch die Art-Rock-Band Muse.

Das passte ins Bild. Denn zu diesem Zeitpunkt waren die "Pannonia Fields" Nickelsdorf, die sonst eher einem Filmset aus Mad Max ähneln, längst zu einem Minenfeld aus schwarzen oder vielmehr schlammbraunen Löchern geworden. Man hätte als letzter Ausweg gut und gerne in einem solchen versinken wollen. Vorausgesetzt, man hatte es überhaupt aufs Festival geschafft.

Die erste Hürde nämlich: das passende Schuhwerk. Gummistiefel sollten es sein, empfahlen die Organisatoren. Und wer diesen Mittwoch noch verzweifelt versucht hatte, auf den letzten Drücker welche zu erstehen, der blickte in ganz Ostösterreich in mitleidige bis schadenfrohe Verkäufergesichter: Gummistiefel? Nova Rock, stimmt's? Gut, aber aus, hihi.

Wer das Glück hatte, doch noch ein paar signalgelbe Straßenmeisterei-Stampfer, die normalerweise natürlich kein Mensch kauft, ergattert zu haben, der wurde, noch bevor er diese gebührend einsauen konnte, selbst zum Stinkstiefel. Hürde Nummer zwei nämlich: die Anfahrt.

Besser an die Adria

Eigentlich muss man sich das 2005 unter ganz ähnlichen Bedingungen wie heuer gestartete Nova Rock als gut gemanagtes Festival vorstellen. Gründer Ewald Tatar gilt als Organisations- und Improvisationsgenie, erst kürzlich stellte er im Handumdrehen ein Ukraine-Benefiz im Ernst-Happel-Stadion (ohne schwarze Löcher) auf die Beine. Beim Nova Rock dürften nach zwei Jahren Pause aber doch ein paar Handgriffe eingerostet sein: Wie man nämlich von Wien bis aufs Festivalgelände fünf Stunden, vier (!) davon im Stau rund ums beschauliche Nickelsdorf, brauchen kann, bleibt schleierhaft.

Das Nova-Rock-Festival versinkt nach seiner pandemiebedingten Pause aktuell im Morast.
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Spät am Abend entschuldigte sich das Festival bei den tausenden Anreisenden damit, dass man Chaos auf den morastigen Parkplätzen habe verhindern wollen. Vielleicht mag auch mitgespielt haben, dass an einem Verkehrsknotenpunkt Security postiert war, die das Reißverschlusssystem, wenn überhaupt, nur vom eigenen Hosentürl kannte. Ein Kaffee an der Adria wäre bei fünf Stunden Anfahrt jedenfalls die angenehmere Option gewesen.

Statt zu Bush ins Gebüsch

Trösten konnte man sich im Auto mit der Lektüre diverser anderer Beschwerden auf Social Media: Dazu zählen beispielsweise zum Aquarium umfunktionierte Toiletten, Duschen ohne Warmwasser oder die Absage mehrere Konzerte, weil der Festivalbeginn um Stunden nach hinten verschoben wurde. Statt der Grunge-Band Bush, die dann tatsächlich spielte, hatten im Stau Stehende ihren Spaß mit burgenländischem Steppengebüsch, um der leiblichen Notentwässerung nachzukommen. Man soll aber eh nicht mehr Auto fahren. Danke zumindest dafür, Nova Rock!

Hatte man es dann irgendwann doch geschafft, fühlte man sich immerhin bei der Sängerin von Evanescence, einer Art Anna Netrebko des Metal, mental gut aufgehoben: "These wounds won't seem to heal, this pain is just too real", heißt es in ihrem Nullerjahrehit My Immortal. Geholfen hätte vielleicht auch die diesjährige Neuerung einer – kein Witz! – Festivalseelsorge, die rund um die Uhr katholischen und evangelischen Beistand gibt.

Muse und der Wille des Volkes

Zumindest ein bisschen versöhnen konnten einen noch die Klangkünstler von Muse, die den ersten Abend als Headliner gestalteten. Neben Hits wie Starlight, Madness oder – wie gesagt – Supermassive Black Hole aus den Nuller- und frühen Zehnerjahren stellten Falsett-Rocker Matthew Bellamy und sein Begleittrio auch ihr kommendes Album Will of the People mit der funkigen Single Compliance vor.

Muse

Als Bühnenbild diente ein riesiges Kapuzenmännchen mit Kristallgesicht, das seinen Kopf schüttelte. Als Zugabe gab's Spiel mir das Lied vom Tod, gefolgt von der Westernhommage Knights of Cydonia. Im Galopp ging's dann auch zurück nach Wien. Zum Ausparken waren keine Traktoren notwendig. Man muss die kleinen Siege feiern. (Stefan Weiss, 10.6.2022)