Caroline Wohlgemuths Prachtband über das Design des Mid-Century Modern.

Foto: Birkhäuser Stephanie Weinhappel

STANDARD: Bei Mid-Century-Modern-Design denken viele an Bilder aus der Serie "Mad Men" oder legendäre Entwürfe von Charles und Ray Eames oder Arne Jacobsen. Wie definieren Sie Mid-Century Modern?

Caroline Wohlgemuth: Es handelt sich um einen weiten Begriff, den die amerikanische Journalistin Cara Greenberg 1984 für Möbel der 1950er-Jahre geprägt hat. Mittlerweile hat er sich auch auf Design und Architektur der 1930er- bis 1960er-Jahre ausgeweitet. Im Möbeldesign geht es um typische Formen, die zu jener Zeit entstanden sind. Es handelt sich um besondere, oft organische Formen, Leuchten in Tulpenform, nierenförmige Tische und vieles mehr. Die Menschen, die hinter diesem Design stecken, waren oft sehr experimentell unterwegs.

"Die Wiener Szene in den 1920er- und 1930er-Jahren war eine ganz eigene", sagt Autorin Caroline Wohlgemuth.
Foto: Ela Angerer

STANDARD: Sie sprechen in Ihrem Buch im Zusammenhang mit dieser Stilrichtung von visionärem Möbeldesign aus Wien. Was war denn das Visionäre?

Wohlgemuth: Die Wiener Szene in den 1920er- und 1930er-Jahren war eine ganz eigene. Man kannte natürlich das Bauhaus und die neue Sachlichkeit, das Funktionelle. Die Wiener setzten aber lieber weiterhin auf Holz, Stoffe und Farbenfreude. Denken Sie an Josef Frank, der den Bauhaus-Style, insbesondere Möbel aus Stahlrohr, abgelehnt hat. Wien bevorzugte eher den Wohlfühlfaktor und auch die Gemütlichkeit. Außerdem wurden die Möbel kleiner und klappbar. Es ging zu dieser Zeit weniger um den repräsentativen Charakter einer Wohnung, sondern vielmehr um den sozialen Anspruch, das Leben der Menschen zu verbessern.

STANDARD: Ihr Buch ist kein klassisches Coffee-Table-Book, wie es sie zu diesem Thema zuhauf gibt. Sie gehen die Geschichte weitaus politischer an, thematisieren auch die Schicksale einiger nach dem Anschluss. Was war Ihre Initialzündung? Dass Sie neben Kunstmanagement auch Rechtswissenschaften studiert haben?

Wohlgemuth: Mich haben die 1920er- und 1930er-Jahre in Wien schon immer ganz besonders interessiert. Es herrschte in vielen Bereichen, auch im Möbeldesign, eine Hochblüte, und österreichische Entwerfer waren auf allen wichtigen internationalen Ausstellungen vertreten. Die Wiener wurden von der Presse hochgejubelt, zum Beispiel 1925 bei der "Exposition des Arts Décoratifs et Industriels Modernes" in Paris. 1938 kam der Bruch, eine Zäsur, die bis heute spürbar bleibt. In den Museen in Wien, aber auch international ist dieser Blick auf die "unbelastete" Zeit extrem präsent, die Wiener Werkstätte, Josef Hoffmann, Adolf Loos und einige mehr. Mir ging es vor allem um die nächste Generation, die weitgehend vergessen wurde, weil sie fliehen musste oder rechtzeitig das Land verlassen hatte. Oder auch umgebracht wurde. Mir geht es darum, diese Lücke zu schließen.

STANDARD: Warum sind die österreichischen Entwürfe im Gegensatz zu jenen von Eames, Saarinnen, Aalto oder Frank Lloyd Wright viel unbekannter?

Wohlgemuth: Weil es eben diesen Bruch gab. Josef Frank zum Beispiel ging nach Schweden, wo seine Stoffe und Möbel bis heute weiterproduziert werden. Seine Entwürfe stehen für schwedisches Mid-Century Design. Ähnliches gilt für Martin Eisler, der in Südamerika zu den anerkanntesten Möbeldesignern zählte. Er studierte unter anderem bei Oskar Strnad an der Kunstgewerbeschule. Friedrich Kiesler emigrierte schon 1926 nach New York. Zurückgekommen sind nur ganz wenige. Geblieben ist etwa Oswald Haerdtl, der auch nach dem Krieg als Möbeldesigner noch einmal sehr erfolgreich war.

STANDARD: Die Entwürfe jener Jahrzehnte sind in unserer Zeit besonders en vogue. Manche Originale erzielen bei Auktionen Rekordpreise. Was ist der Grund dafür?

Wohlgemuth: Vor kurzem ging eine Kommode von Josef Frank um 345.000 Euro über einen Auktionstisch, ein Multi-Use-Chair von Friedrich Kiesler erzielte vor einigen Jahren einen Rekordpreis von 200.000 US-Dollar, und es gibt Re-Editionen en masse. Ich denke, es liegt daran, dass vor allem die Jahre nach dem Krieg mit einer Aufbruchstimmung und den Formen jener Zeit in Verbindung gebracht werden. Selbst bei Ikea findet man bei vielen Möbeln die Formensprache der 1950er- und 1960er-Jahre.

STANDARD: Sie beschreiben unter anderem die Biografien von 24 Designerinnen und Entwerfern. Ein Anliegen waren Ihnen auch die Geschichten zahlreicher Frauen in der Szene. Wer hat es Ihnen besonders angetan?

Wohlgemuth: Friedl Dicker. Sie studierte zum Beispiel an der Kunstgewerbeschule in Wien, ging ans Bauhaus, wo Walter Gropius von ihrem Talent geschwärmt hat. 1932 wurde sie wegen kommunistischer Aktivitäten in Wien verhaftet, 1933 emigrierte sie nach Franzensbad, später nach Prag. 1942 wurde sie mit ihrem Mann Pavel Brandeis, der auch ihr Cousin war, in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort hat sie geheime Zeichenkurse für hunderte Kinder organisiert und Theateraufführungen gestaltet. 1944 wurde Friedl Dicker von den Nazis in Auschwitz ermordet. Ihre traurige Geschichte beschert mir heute noch immer wieder eine Gänsehaut. Die Kinderzeichnungen gibt es übrigens noch im Jüdischen Museum in Prag, und sie wurden in Ausstellungen in aller Welt gezeigt.

STANDARD: Trotz großer Namen wie Hella Jongerius, Patricia Urquiola oder Inga Sempé ist die Welt des Designs, auch die der Architektur, noch immer weitgehend eine Männerdomäne. Warum ist das so?

Wohlgemuth: Eine gute Frage, aber ich habe schon das Gefühl, dass sich viel getan hat und tut, siehe allein schon die Namen, die sie genannt haben. Einfach war und ist es nicht. Gerade deshalb war es mir auch ein Anliegen, die Vorreiterinnen in diesem Metier in meinem Buch besonders herauszuheben. Sie waren für viele nachkommende Generationen Vorbilder.

STANDARD: Eine Frage, die kommen muss: Welches Stück ist Ihr Lieblingsmöbel?

Wohlgemuth: Eine Kommode von Josef Frank aus dem Jahr 1940, auf deren Schubladen Entwürfe von Pflanzen zu sehen sind.

STANDARD: Und wie viele Sessel besitzen Sie?

Wohlgemuth: Unzählige, so viele Gäste kann ich gar nicht einladen. Ich sammle schon sehr lange. Einmal war ein Handwerker bei uns, der die Wohnung ausmalte. Als er all die Sessel sah, war er ganz schön verwundert. (Michael Hausenblas, RONDO, 7.7.2022)