Julian Trummer spürt beim Rennfahren "keine Aggression".

Foto: Julian Trummer

21 Siege bei der Isle of Man TT: der Brite Michael Dunlop.

Foto: IMAGO/PRiME Media Images

Gerade zur Entspannung: Auf der Isle of Man bewegen sich Rennfahrer zwischen Steinwänden und Böschungen. Sechs runden à 60 Kilometer sind zu bewältigen.

Foto: IMAGO/PRiME Media Images

Die Isle of Man TT ist nichts für schwache Nerven. Seit 1907 rasen bei der Tourist Trophy jährlich Motorradrennfahrer über die Insel in der Irischen See. Wer auf dem 60 Kilometer langen Straßenkurs die Ideallinie verlässt, hat gute Chancen, jenseits von 200 km/h gegen eine Hausmauer zu fahren.

Warum sich Piloten trotzdem auf ihr Bike schwingen, erklärt der 31-jährige Steirer Julian Trummer. Am Freitag wurde er auf seiner Yamaha 22. unter 54 Teilnehmern.

STANDARD: Sieht man die Bilder von der Tourist Trophy, liegt eine Frage auf der Hand: Warum?

Trummer: Als ich ein Bub war, haben meine Eltern über diese Insel gesprochen. Ich habe nur gehört, es sei das gefährlichste Rennen der Welt. Obwohl ich keine Bilder kannte, haben mich die Geschichten in den Bann gezogen.

STANDARD: Ein einfacher Rundkurs mit Sturzräumen tut es nicht?

Trummer: Das sind zwei verschiedene Sportarten. Auf einem Rundkurs sind die Bedingungen perfekt, die Kurven sind einsichtig. Auf der Straße habe ich unterschiedliche Beläge, Sprünge, Bodenwellen. Zwei Drittel der Kurven sind blind.

STANDARD: Meine Frage, ob Sie auf Sicht fahren, erübrigt sich damit.

Trummer: Man fährt mit Gefühl und geht nicht über das Limit. Auf einem Rundkurs wird man dazu verleitet, etwas schneller in eine Kurve zu ziehen. Man hofft, dass es gutgeht. Das sollte man bei der Isle of Man besser bleiben lassen. Das ist nicht der Platz für Spielchen, es ist ein Balanceakt auf des Messers Schneide.

STANDARD: Die Legende besagt, dass man sich all die Kurven kaum merken könne. Ist das Wahrheit oder Unsinn?

Trummer: Das ist Blödsinn. Jeder Fahrer kennt jede Kurve in- und auswendig. Es ist nicht so, dass man sich anmeldet und aufs Gas steigt. Bevor man teilnimmt, hat man zig Runden mit dem Auto absolviert. Das ist unsere einzige Lebensversicherung.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, immer Herr der Lage zu sein?

Trummer: Ich habe dazugelernt. Als Rookie habe ich hart angedrückt, koste es, was es wolle. Da hatte ich heftige Schrecksekunden, das hätte schiefgehen können.

Bei der Isle of Man geht es häufig schief. Rund 260 Todesfälle sind seit dem ersten Rennen dokumentiert. Der österreichische Olympiasieger Manfred Stengl verunglückte 1992 tödlich, er hatte 1964 in Innsbruck Gold im Doppelsitzer der Rodler gewonnen. Heuer kamen fünf Sportler ums Leben. Business as usual sozusagen. Nicht ganz gewöhnlich: Im Seitenwagenrennen starben am Freitag die Briten Roger (56) und Bradley Stockton (21) – Vater und Sohn, Fahrer und Beifahrer.

STANDARD: In einer TV-Dokumentation von 2019 sind Sie mit dem tödlichen Unfall eines Kollegen konfrontiert. Es wirkt, als würden Sie dessen Tod rasch beiseiteschieben. Kann man das so einfach ausblenden?

Trummer: Ausblenden ist nicht das richtige Wort. Jeder Todesfall trifft mich. Aber die Fahrer sterben bei ihrer größten Leidenschaft. Vielleicht habe ich kalt gewirkt. Aber ich muss mich konzentrieren.

STANDARD: Wie kann sich so ein Sportereignis trotz der vielen Todesfälle am Leben halten?

Trummer: Aus der Distanz glaubt man vielleicht, dass über dem Event eine schwarze Wolke schwebt. Wer ist als Nächster dran? Vor Ort ist es aber ein großes Fest. Es wird von allen Seiten genossen.

STANDARD: Wie groß kann der Genuss bei all der Anspannung sein?

Trummer: Die Anspannung ist vor dem Rennen größer als währenddessen. Ich kenne nichts Vergleichbares. Sobald es losgeht, wenn man auf dem Motorrad sitzt, stellt sich absoluter Frieden ein. Man springt über eine Kuppe und fühlt sich dabei geborgen und sicher.

STANDARD: Trügt der Schein?

Trummer: Ich spüre jedenfalls keine Panik, ich spüre keine Aggression. Nach vier, fünf Runden schweift der Kopf ab. Dann muss ich mich wirklich zusammenreißen.

Julian Trummer fährt mit österreichischer Lizenz für das WH Racing Team. Bike, Reifen und Benzin finanziert der Rennstall. Ein Nullsummenspiel ist der Spaß trotzdem nicht. Alle Teilnehmer müssen eine spezielle, kostspielige Versicherung abschließen. Gängige Sportversicherungen winken dankend ab.

STANDARD: Ist das Risiko überhaupt irgendwie zu berechnen?

Trummer: Ich denke, man kann den Rennverlauf zu 99 Prozent kalkulieren. Aber ich lebe nicht in der Illusion, dass nichts passieren kann. Alles, was ich gelernt habe, arbeite ich wie eine Liste Punkt für Punkt ab. Ich bin in diesem Sport kein Geistesgestörter, kein Junkie.

STANDARD: Trotzdem haben Sie gesagt, Ihr Sport sei wie eine Droge.

Trummer: Es sind Glücksgefühle, die schwer zu beschreiben sind. Läuft es nicht rund, fahre ich nicht auf Teufel komm raus.

STANDARD: Sie lassen sich also eine Sicherheitsmarge?

Trummer: Wenn ich im Flow bin, pushe ich zu hundert Prozent.

STANDARD: Ihre Eltern und Freunde sind auch vor Ort. Können sie die Rennen genießen?

Trummer: Sie sind den Weg immer mitgegangen. Die Sorge ist aber vorhanden. Sie sind erleichtert, wenn es wieder vorbei ist. (Philip Bauer, 11.6.2022)