Es gebe beim EU-Ratstreffen der Innenminister in Luxemburg eine "historische Einigung", jubelte Frankreichs Vertreter Gérald Darmanin bereits Freitagmittag per Twitter. Als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender war es dem Minister aus Paris ganz besonders wichtig, im Rahmen des Treffens eine Erfolgsmeldung zu dem seit Jahren in Verhandlung stehenden "großen Asyl- und Migrationspaket" zu verkünden. Am Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Parlamentswahlen statt, und es sieht laut Umfragen nicht ganz so gut aus für die liberale Partei von Präsident Emmanuel Macron.

Karner stimmte gegen eine Verteilung von Flüchtlingen.
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Eine Lösung bei den zwischen den Staaten notorisch sehr umstrittenen Fragen wie solidarische und flexible Flüchtlingsverteilung, bessere Sicherung der EU-Außengrenzen oder strikte Maßnahmen gegen Schlepperei und irreguläre Migration hatte die französische Regierung zu Jahresbeginn zu einem der Hauptziele des EU-Vorsitzes erklärt.

Zwar wurden die von der EU-Kommission 2020 vorgelegten Rechtsvorschläge deutlich verwässert. Aber Darmanin konnte in Luxemburg zumindest in Teilen Mehrheiten unter den Ministern finden.

Flexible Solidarität

So werde es einen "wesentlichen Fortschritt" bei der Verteilung von Asylwerbern geben, wie er sagte. Nicht ganz die Hälfte der EU-Staaten will mit Frankreich und Deutschland ein System der "freiwilligen Solidarität" zur Umverteilung starten, das in einem Jahr evaluiert werden soll. Staaten müssen Flüchtlinge nicht physisch aufnehmen, können aber "Druck auf die Einreisemitgliedstaaten, die sich nach wie vor dem Zustrom einer erheblichen Zahl von Menschen gegenübersehen", durch andere Formen der Hilfe verringern.

Das Ganze basiert nicht auf einer EU-Rechtsgrundlage, sondern als "politische Erklärung" der Teilnehmerstaaten. Österreich beteiligt sich nicht, wie Innenminister Gerhard Karner bestätigte, genauso wenig wie etwa die drei baltischen Staaten, Polen, Ungarn, die Slowakei. Sie argumentieren das mit der hohen Zahl an ukrainischen Vertriebenen im Land.

Daneben wurden Verschärfungen im Asylbereich beschlossen. So sollen Staaten an EU-Außengrenzen für eine lückenlose Registrierung sorgen, die Abnahme von Fingerabdrücken von Asylwerbern wird verbessert. Zwei wichtige EU-Verordnungen (Eurodac und Screening) werden reformiert. Und die Grenzschutzbehörde Frontex soll mehr Möglichkeiten zum Schutz der EU-Außengrenzen bekommen.

Im Inneren der EU wird es durch eine von Paris forcierte Reform der Schengen-Regeln weiter möglich sein, Binnengrenzkontrollen durchzuführen, wie das in Deutschland und Österreich seit der Migrationswelle 2015 geschieht. Die Staaten können aus Gründen der nationalen Sicherheit solche Kontrollen in Zukunft nicht nur für sechs Monate, sondern für zweieinhalb Jahre bei der EU-Kommission beantragen. (Thomas Mayer, 10.6.2022)