Gemeinsam mit dem Stablecoin Terra ist Bitcoin im Mai massiv abgestürzt.

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Immer mehr Menschen sehen in Kryptowährungen und Blockchain-Technologien die Zukunft des Finanzmarktes und Internets. Diese soll dezentral sein und vor allem dem "einfachen" Menschen zugutekommen. Die Entstehungsgeschichte von Währungen ist jedoch geprägt von massiven Kurseinbrüchen, Betrugsmaschen und Krypto-Diebstählen in Millionenhöhe. Während Fans unermüdlich betonen, dass man das eigene Portfolio nur halten müsse, gibt es immer mehr Kritikerinnen und Kritiker.

Eine von ihnen ist die US-amerikanische Softwareentwicklerin Molly White. Auf ihrer Website "web3isgoingjustgreat" berichtet sie täglich über die Fehltritte, Betrügereien und falschen Versprechen der größten Szene-Akteure. DER STANDARD hat mit White darüber gesprochen, worin sie die Gefahren des Web3 sieht und warum man ihrer Meinung nach nicht in Kryptowährungen investieren sollte.

STANDARD: Krypto-Befürworter sehen in Blockchain-Technologien eine Revolution zugunsten der Bevölkerung, die so zu neuem Reichtum kommen könne. Sie hingegen halten die Technologien für gefährlich. Warum?

White: Kryptowährungen machen viele attraktive Versprechen. Bisher haben sie aber vor allem dazu geführt, dass der Reichtum aus den Händen des Durchschnittsbürgers in die Hände der bereits Wohlhabenden übergegangen ist. Trotz aller Versprechungen, dass sie neuen Reichtum erlangen können, gibt es zahlreiche Menschen, die Geld in Kryptowährungen investieren – manchmal Geld, das sie sich nicht leisten können zu verlieren – und dann alles verlieren. Was das "Establishment" betrifft, so sehen die neuen großen Akteure in der Kryptowirtschaft und im Web3 sehr ähnlich aus wie diejenigen, die wir aus dem heutigen Web kennen: Andreessen Horowitz, Peter Thiel und Jack Dorsey sind nur einige der Personen und Organisationen, die hier Flagge zeigen.

Molly White veröffentlicht auf ihrem Blog regelmäßig kritische Beiträge über Kryptowährungen und die Blockchain.
Foto: Molly White

STANDARD: Wie kam es dazu, dass Sie angefangen haben, über Krypto zu berichten?

White: Im Jahr 2021 begannen viele Leute, den Begriff Web3 zu verwenden, um zu beschreiben, was ihrer Meinung nach die Zukunft des Internets und sogar der Gesellschaft selbst sein würde – alles auf der Grundlage von Blockchains und Kryptowährungen. Ich war schon lange mit Bitcoin und Kryptowährungen vertraut, sah sie aber im Allgemeinen als spekulative Anlagen, die mich nicht wirklich interessierten. Als ich aber zu hören begann, dass dies die Zukunft des Internets sein würde und dass Menschen sich damit beschäftigen müssten, ob sie wollten oder nicht, begann ich mir Sorgen zu machen. Darüber hinaus sah ich Geschichten von Hacks, Betrügereien und schrecklichen Ideen, die im sogenannten Web3 gediehen sind. Ich hielt es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese "Zukunft des Webs" nicht hält, was sie verspricht.

STANDARD: Auf "web3isgoingjustgreat" finden sich unzählige Beispiele für gescheiterte Kryptoprojekte, für Betrug und Diebstahl. Was haben diese gemeinsam?

White: Alle Einträge haben in irgendeiner Weise mit Kryptowährungen und Blockchains zu tun. Ansonsten ist der Umfang der Website recht breit gefächert. Mein Ziel ist es, anhand von Beispielen aus der Praxis zu zeigen, dass Web3 und Kryptowährungen im Allgemeinen nicht so magisch sind, wie ihre Befürworter sie darstellen. Hoffentlich kann ich die Leute dazu bringen, zweimal darüber nachzudenken, ob das alles eine gute Idee ist.

STANDARD: Was treibt Ihrer Meinung nach Unternehmen wie Twitter oder Paypal dazu, Blockchain-Technologien wie NFTs oder auch Zahlungssysteme anzubieten?

White: Bestehende Technologieunternehmen stehen unter großem Druck, mithalten zu können. Ich denke, einige von ihnen haben Blockchain-Funktionen in ihre Produkte integriert, weil sie Angst haben, abgehängt zu werden. Aber ich glaube auch, dass viele der Verantwortlichen hinter den großen Web2-Firmen Krypto auf eine sehr ideologische Art und Weise angenommen haben. Jack Dorsey ist ein Bitcoin-Maximalist, und Peter Thiel sieht Bitcoin als eine Art Gegenkultur, die sich gegen "woke" Tech-Unternehmen wehren kann. Krypto ist aus denselben technolibertären Denkschulen entstanden, die in der Tech-Elite weitverbreitet sind. Es überrascht mich nicht, dass sie auf den Zug aufspringen – meiner Meinung nach in der Hoffnung, die gleiche Macht, die sie im heutigen Web haben, auch im Krypto-Raum zu festigen. Dieser streckt seine Ranken auch in die Finanzwelt, die Politik und andere Teile der Gesellschaft aus, so wie es Technologie in den letzten Jahrzehnten getan hat.

STANDARD: In Kryptowährungen investieren unzählige Menschen. Wen kritisieren Sie konkret?

White: Ich versuche, meine schärfste Kritik den mächtigen Akteuren hinter diesen Krypto-Projekten und -Unternehmen vorzubehalten. Ich bin kritisch, wenn ein durchschnittlicher Krypto-Enthusiast ebenfalls in die Werbung, den Hype und die Abzocke einsteigt. Diese werden in der Kryptowirtschaft in einem Maße gefördert, das anderswo nicht üblich ist. Aber ich versuche auch, Verständnis für die Beweggründe der Menschen zu haben. Es gibt einige, die aus Gier dabei sind oder in der Hoffnung, auf Kosten anderer Geld zu verdienen. Es gibt aber auch Leute, denen die Lüge verkauft wurde, dass Krypto ihre Eintrittskarte in die finanzielle Freiheit ist.

El Salvador machte es vor, andere Länder zogen nach. Bitcoin wurde neben der eigenen Landeswährung als offizielle Währung eingeführt. Wäre das in Österreich denkbar?
DER STANDARD

STANDARD: Sie warnen auch, dass das Web3 eine Bedrohung für die Privatsphäre darstellt. Warum?

White: Die zentrale Technologie des Web3 sind öffentliche Blockchains, die eine öffentlich sichtbare, unveränderliche Aufzeichnung von Transaktionen und verschiedenen anderen Daten speichern. Die Menschen interagieren mit diesen Blockchains über Krypto-Wallets. Obwohl diese pseudonym sind – also nur mit einer zufälligen Zeichenfolge identifiziert werden –, riskieren die Menschen eine Menge Daten, wenn sie mit ihnen interagieren. Wenn die Brieftasche einer Person öffentlich mit ihrer Identität verknüpft wird, kann man sehen, mit wem sie Transaktionen getätigt hat. Wenn man davon spricht, dass Kryptowährungen zu einem Teil des täglichen Lebens werden und für alltägliche Transaktionen genutzt werden, dann macht mir das wirklich Sorgen.

Wir beobachten auch, dass verschiedene Web3-Projekte beginnen, mehr Daten als nur Transaktionsdetails auf Blockchains zu speichern. Das ist äußerst besorgniserregend. Jedes Mal, wenn ein Projekt von Nutzern übermittelte Daten speichert, müssen sie die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass missbräuchliche Nutzer Dinge wie Doxing, Hassrede, Rache-Pornos, Material des sexuellen Kindesmissbrauchs oder eine Reihe anderer abscheulicher Dinge hochladen. Unveränderliche Datensätze sind für diese Art von Dingen wirklich nicht geeignet. Plattformen, die versuchen, um sie herum zu bauen, scheinen dieses Risiko zu ignorieren.

STANDARD: Haben Sie seit dem Start Ihres Projekts mit Kritik oder sogar Hass zu kämpfen?

White: Ja, absolut. Die Menschen sind sehr persönlich in Kryptowährungen investiert, binden oft in gewisser Weise ihre Identität daran und sind häufig extrem feindselig gegenüber Menschen, die sie infrage stellen oder kritisieren. Das ist, gelinde gesagt, unangenehm. Aber ich denke, es ist wichtig, dass die Menschen weiterhin Fragen stellen und Druck auf Systeme ausüben, die den Menschen wirklich schaden.

STANDARD: Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt nützliche Anwendungen für Blockchain-Technologien?

White: Einige der Technologien, die Blockchains zugrunde liegen, sind recht nützlich – die Kryptografie zum Beispiel. Und ich denke, dass viele der technologischen Forschungsarbeiten, die im Zusammenhang mit Blockchains durchgeführt werden, interessant sind. Aber im Großen und Ganzen gibt es nur wenige Probleme, die meiner Meinung nach durch den Einsatz von Blockchains gut gelöst werden können. (Mickey Manakas, 13.6.2022)