Ist das eine liebevoll gestaltete Umgebung, liebe "Diablo"-Fans?

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Vor einer Woche hat Kollege Amon an dieser Stelle ausführlich über Blizzards neuen Blockbuster geschimpft. In seinem Beitrag mit dem nicht gerade schmeichelnden Titel "Diablo Immortal soll in der Hölle schmoren" stellt er vor allem das Pay-to-progress-System an den Pranger – also das Geschäftsmodell, bei dem das Spiel per se zwar gratis ist, Gamerinnen und Gamer aber regelmäßig kleine Beträge zahlen sollen, um im Spiel rascher voranzukommen. Das Thema bringt vor allem Nicht-Casual-Spieler auf die Palme, in Teilen Europas wurde das Spiel gar verboten, weil das Modell gegen lokale Glücksspielgesetze verstößt.

In unseren Teammeetings diskutieren wir häufig, gerne und teils auch sehr emotional über Games. Und weil ich Diablo Immortal gleich am Tag eins installiert und entgegen den Kritikpunkten dem Game per se anfangs auch gute Seiten zugesprochen habe, liegt es im Zuge einer ausgewogenen Berichterstattung an mir, in unserer heutigen Ausgabe der "Berufsspieler"-Kolumne auch ein paar positive Worte für das Werk zu finden.

Spielsucht? Pah!

Gehen wir zu Beginn noch einmal kurz auf das Thema Spielsucht ein. Ja, es stimmt alles, was der Kollege da schreibt. Die Mechaniken sind darauf ausgelegt, die Spielerinnen und Spieler möglichst lange bei der Stange zu halten und sie zum regelmäßigen Einloggen zu motivieren. Und sind sie einmal im Spiel, so werden gekonnt Meldungen zum Spielfortschritt mit Aufforderungen zum Kauf virtueller Objekte gemischt.

DER STANDARD

Das ist ein Problem. Und es muss an dieser Stelle explizit gewarnt werden, dass Menschen mit Hang zu suchtartigem Verhalten um Diablo Immortal einen großen Bogen machen sollten. Zu groß ist die Gefahr, mal hier und mal da für Items Geld auszugeben und am Ende des Monats die böse Überraschung auf der Kreditkartenrechnung zu erleben. Wie gesagt: Es gibt schon einen Grund, warum das Spiel in manchen Ländern verboten wurde.

Ich kann aus jahrelanger Erfahrung mit Spielen wie Ingress, The Witcher: Monster Slayer und Pokemon Go ruhigen Gewissens sagen: Dieses Problem ist nicht das meinige. Viele dieser Spiele habe ich stundenlang gespielt und viel Freude damit gehabt, aber keinen Cent dafür ausgegeben. Stattdessen passiert etwas anderes: Ich verliere rasch das Interesse und widme mich anderen Themen, wenn mich Story, Atmosphäre und Gameplay nicht mehr fesseln können.

Die Honeymoon-Phase

Für knapp eine Woche sah es so aus, als würde Diablo Immortal zumindest in dieser Hinsicht viel richtig machen. Denn, Achtung, nun kommt der Abschnitt dieses Beitrags, in dem es um Lob geht. Tatsächlich wurde die Atmosphäre dieses düsteren Fantasy-Franchises relativ gut auf mobile Geräte übertragen. Die Grafik passt, der Sound ist spitze, und die Sprecher der – im Gegensatz zu vielen anderen Titeln – vollständig vertonten Dialoge sind Weltklasse.

Lob – wenn auch eingeschränktes – muss es außerdem für die Fusion zwischen PC und Smartphone geben. Denn Diablo Immortal kann man abends auf dem großen Bildschirm spielen, dann unterbrechen – um am nächsten Tag in der Straßenbahn auf dem Handy dort weiterzuzocken, wo man aufgehört hat. Diese Fusion der verschiedenen Geräte gibt es nur selten – spontan fällt mir die Second-Screen-Funktion in Assassin's Creed: Black Flag ein –, und es ist zu wünschen, dass andere Developer diesem Beispiel folgen.

Dass das Spiel auf dem PC im Endeffekt nicht ganz so schick aussieht wie andere Spiele des Jahres 2022 und sich bei der Portierung auf die Maus-und-Tastatur-Steuerung auch Hoppala-Sätze wie "Tippen, um zu schließen" eingeschlichen haben, ist da ein zu vernachlässigendes kleines Übel.

Es ist nicht mehr so wie früher ... äh ... gestern

Doch nach den ersten Wow-Effekten machte sich bei mir Ernüchterung breit – und damit meine ich nicht, dass das – wie bei Pokemon Go – nach ein paar Monaten geschehen ist, sondern schon nach ein paar Tagen. Denn hinter seiner augenscheinlich schönen Fassade ist Diablo Immortal nicht nur ein Geldgrab, es ist auch ziemlich herzlos.

Das beginnt schon allein bei der Weiterentwicklung des Charakters. Wie jeder RPG-Fan liebe auch ich es, meine Spielfigur hochzuleveln und mit lustiger Kleidung auszustatten, in der Hochphase meiner Wild Hunt-Phase bin ich als realer Mensch nicht mehr zum Frisör gegangen – aber Hauptsache, Geralt hatte eine schicke Rüstung an. Wer dieses Faible mit mir teilt, der wird bei Diablo Immortal nicht glücklich: Skilltrees gibt es keine, und die Rüstungen und Waffen sehen sich – sofern man kein Geld für kosmetische Items ausgibt – alle ziemlich ähnlich.

Das ist fad.

Und dann die Story ... Diese wurde zwar von so manchem Gaming-Journalisten gelobt und dürfte – ja, liebe Fanboys, ihr könnt mich für diese Aussage gerne in den Kommentaren beschimpfen – für Diablo-Fans mit ihren geringen Ansprüchen ausreichen, mit zeitgenössischem Storytelling eines Quantic-Dream- oder Naughty-Dog-Titels kann sie aber nicht einmal annähernd mithalten.

Fad. Fad, fad, fad. Genauso wie das Spielkonzept per se, dass auch in seinen Nicht-Bezahl-Ecken hauptsächlich aus Looten und Grinden – also vollkommen überflüssiger Zeitverschwendung – besteht.

Und dann wäre da noch die Sache mit der Darstellung per se. Ja, Diablo Immortal sieht auf einem Handyscreen schon cool aus – aber auch nur, wenn man sonst nicht viel kennt. So bietet das Setting im Jahr 2022 eigentlich keine innovativen Elemente, an cineastischen Cutscenes mangelt es fast zur Gänze.

Wer ein visuell ansprechendes Handyspiel sehen will, der sollte lieber zu Werken wie Fantasian greifen: Bei dem 2021 erschienen JRPG wurden die Charaktere in über 150 liebevoll per Hand gebaute Dioramen hineinanimiert – das ist innovativ, da waren Leute mit Herz bei der Sache, und das merkt man auch.

Ciao mit au

Ist es mir hier also gelungen, eine Lanze für Diablo Immortal zu brechen, so wie ich es dem Kollegen eigentlich angedroht hatte? Nein, ist es nicht. Leider. Denn abschließend muss wirklich gesagt werden, dass das Spiel vor allem beim Sounddesign und in der Crossplay- beziehungsweise Crosssave-Funktion viel richtig macht. Davon sollte Blizzard ebenso wie seine Konkurrenten lernen. Aber das Spiel ist in seinem Kern kaputt – und damit meine ich nicht nur das Monetarisierungskonzept, sondern die generelle Herzlosigkeit, wie mit einem einst hochgeschätzten Franchise umgegangen wird.

Blizzard freute sich erst am vergangenen Freitag über zehn Millionen Downloads, was Diablo Immortal zum erfolgreichsten Launch des Franchises macht – wie viele dieser Spieler aber länger bleiben werden, ist eine andere Frage: Ein User-Metacritic-Score von 0,5 (von zehn möglichen) Punkten spricht auch irgendwie Bände.

Es ist zu wünschen, dass die Publisher aus ihren Fehlern lernen. Und dass die Politik eingreift, um dem Irrsinn des versteckten Glücksspiels endlich ein Ende zu bereiten. Ob das wirklich passieren wird, bleibt offen. Für mich jedenfalls ist klar: Nach rund acht Stunden Spielzeit werde ich die Haupthandlung noch durchboxen, um dabei gewesen zu sein – aber erwartet bitte nicht, dass ich zum Endgame bleibe. (Stefan Mey, 12.6.2022)