Im Gastblog gibt Andreas Magerl Einblick in die verschiedenen Formen der Nutzung von Wäldern und die daraus folgende ökologische Bilanz.

Wälder sind wahre ökologische Tausendsassa. Sie dienen als Erholungsraum, verbessern Wasserkreisläufe und reinigen die Luft. Schätzungen gehen davon aus, dass sie rund zwei Drittel der globalen Biodiversität beheimaten. Weiters binden sie atmosphärisches CO2, schwächen somit den Klimawandel ab und sind nicht zuletzt Rohstofflieferanten. Gerade die letztgenannten Punkte sorgen immer wieder für kontroverse Diskussionen: Während manche im Sinne der Bioökonomie auf das Potenzial von Holz als nachwachsender Ressource hinweisen und auf deren verstärkte Nutzung drängen, fordern andere, Wälder lieber unter Schutz zu stellen und Holz entweder gar nicht, weniger oder anders zu nutzen.

Fakt ist, dass sich Wälder global gesehen sehr unterschiedlich entwickeln. Während die Rodung tropischer Regenwälder voranschreitet, nahmen sowohl Flächen als auch Biomassebestände der Wälder in einigen Ländern, wie zum Beispiel in Norwegen, Frankreich, Österreich, den USA oder China innerhalb der letzten zwei Jahrhunderte markant zu. Wachsende Wälder nehmen jährlich ungefähr 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus den Industrie- und Energiesektoren auf und wandeln diese in Biomasse um. Dennoch werden durch die Nutzung fossiler Brennstoffe weiterhin Jahr für Jahr mehr Treibhausgase in die Atmosphäre emittiert als Senken (Systeme, die der Umwelt Schadstoffe entziehen) wie Pflanzen, Böden oder Ozeane aufnehmen können.

Nachhaltige Nutzung des Waldes

Biomasse als Energiequelle wird immer wieder als unvermeidbarer Bestandteil für die zwingend notwendige Dekarbonisierung unseres Wirtschaftssystems genannt. Wird dem Wald nicht mehr Holz entnommen als nachwachsen kann, ist dies nachhaltig, so das altbekannte Prinzip der modernen Forstwirtschaft. Da die Wachstumskurve von Jungbäumen steil verläuft, mit zunehmendem Alter jedoch abflacht, können junge Bäume in einem kürzeren Zeitraum mehr Kohlenstoff speichern als dies in älteren Beständen der Fall ist. Genau diese "Beschleunigung" der Wälder macht verstärkte Holznutzung aus Sicht der Bioökonomie so attraktiv. Da sein Durchschnittsalter also jünger und seine Produktivität höher ist, nimmt ein bewirtschafteter Wald die Emissionen, die bei der Verbrennung von Holz entstehen, schneller auf als ein nicht bewirtschafteter Wald und ist demnach CO2-neutral, so das gängige Argument.

Ein Wald benötigt viele Jahre, um positive Auswirkungen auf das Klima auszuüben.
Foto: Philip Pramer

Werden die fossilen Emissionen, die bei Ernte, Bearbeitung und Transport von Holz anfallen, nicht berücksichtigt, ist diese Rechnung grundsätzlich richtig. Theoretisch kann Holz als klimaneutrale Ressource bei gleichzeitig stabilen oder gar wachsenden Beständen betrachtet werden. Praktisch jedoch stellt die verstärkte Nutzung von Wäldern einen Zielkonflikt mit ihrer Funktion als Kohlenstoffspeicher dar. Es dauert in Europa ungefähr zehn bis zwanzig Jahre, bis die Absorptionsrate junger Bäume das aus Kahlschlagflächen freigesetzte CO2 übersteigt, Jungbestände also zu "Kohlenstoffsenken" werden.

Der Faktor Zeit

Ein wichtiger Punkt, der in dieser Diskussion oft übersehen wird, ist die vergangene Nutzung von Wäldern. Vor allem intensiv genutzte Wirtschaftswälder in Europa und anderen Teilen des globalen Nordens entstanden oft durch die Rodung von Primärwäldern vor hunderten Jahren, um Platz für Siedlungen und Ackerland zu schaffen und Baumaterial sowie Brennholz zu ernten. Dadurch wurden große Mengen an Kohlenstoff freigesetzt, die über Brandrodung, natürliche Zersetzung von Totholz oder Verbrennung von Feuerholz in die Atmosphäre gelangten.

Mit dem Beginn der verstärkten Nutzung fossiler Energieträger im Zuge der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts verlor Holz als Energiequelle zunehmend an Bedeutung, und die Waldnutzung konzentrierte sich auf die effiziente Holzproduktion. Dies ermöglichte den Wäldern einerseits, sich zu regenerieren und somit wieder mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufzunehmen, andererseits konnten durch die Intensivierung der Landwirtschaft Flächen eingespart werden, die wiederum zu Wald werden konnten.

Allerdings führten wachsender Wohlstand und technologische Entwicklungen im Zuge der industriellen Revolution auch zu einem nie dagewesenen Hunger nach Energie und Materialen, was wiederum mehr Emissionen verursachte, als Kohlenstoffsenken wie nachwachsende Wälder kompensieren konnten. Dies führte schlussendlich zur Veränderung des globalen Klimas. Durch das langsame Wachstum von Bäumen muss hier also ein Verzögerungseffekt berücksichtigt werden, um langfristigen Klimaveränderungen entgegenzuwirken. Im Moment gleichen Länder, die ihre Primärwälder in der Vergangenheit gerodet haben, damals verursachte Emissionen mit dem aktuellen Bestandszuwachs aus. Gleichzeitig emittieren sie aber weiter neue Treibhausgase, zum Beispiel durch Verbrennen fossiler Energieträger.

Beschränktes Potenzial

Die langjährige Zunahme der Biomassebestände in europäischen Wäldern trotz gleichzeitig steigender Holzentnahmen spräche eigentlich auch in Österreich für eine verstärkte Nutzung. Hierzulande sind derzeit um die 49 Prozent der Landesfläche bewaldet, die Waldfläche hat somit innerhalb der letzten rund 150 Jahre um beinahe 20 Prozent zugenommen. Das Potenzial einer weiteren Expansion der Waldfläche als billiger und effektiver Klimaschutzmaßnahme ist jedoch begrenzt, in Österreich entstehen dadurch Zielkonflikte mit anderen Landnutzungen (zum Beispiel Almwirtschaft).

Global gesehen werden derzeit circa drei Viertel aller potenziell verfügbaren Flächen durch den Menschen in Form von Landwirtschaft, Infrastruktur, Nutzwäldern, und anderen Landnutzungsformen verwendet. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Anzahl der Bäume pro Hektar in heimischen Wäldern fast verdoppelt. Der Wald wurde dichter, womit mehr Holz entnommen werden konnte. Allerdings werden bereits jetzt 88 Prozent des jährlichen Zuwachses forstwirtschaftlich genutzt. Viel Spielraum besteht hier also nicht (mehr).

Auf lange Sicht geht eine Entnahme, die den jährlichen Zuwachs überschreitet, zulasten der Bestände, was die Wälder von einer Kohlenstoffsenke zu einer -quelle machen würde. Zusätzlich bekommen heimische Bäume die negativen Auswirkungen der Klimakrise in Form von beispielsweise Trockenheit, Borkenkäferbefall, Windwurf und Waldbränden bereits jetzt stark zu spüren. Viele der Baumarten, die hierzulande üblicherweise gesetzt wurden, sind besonders anfällig für Klimaveränderungen, allen voran die Fichte. Zu erwartende negative Veränderungen bei einer Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur auf über zwei Grad Celsius, auf die wir momentan zusteuern, könnten diesen Druck noch weiter erhöhen. Hier erscheint es sinnvoll, resiliente Waldbestände zu schützen und anfällige Monokulturen durch klimaresiliente Arten zu ersetzen.

Schützen oder nützen?

Die Klimakrise erfordert nicht, Wälder komplett aus der Nutzung zu nehmen. Vielmehr geht es darum, welche Wälder genutzt werden, wie viel Holz geerntet wird und wie es verwendet wird. Holzprodukte spielen eine zunehmend wichtige Rolle als Kohlenstoffspeicher. Auch hier ist wieder Zeit ein entscheidender Faktor. Während Nutzwälder eine durchschnittliche Lebenserwartung von 70 Jahren aufweisen, können nicht bewirtschaftete Wälder bis zu 250 Jahre alt, in manchen Fällen sogar deutlich älter werden. Langlebige Holzprodukte, zum Beispiel in Gebäuden oder Möbeln, weisen eine durchschnittliche Lebensspanne von ungefähr 20 bis 50 Jahren auf. Das Gros der Produktion entfällt jedoch auf kurzlebige Produkte, die durchschnittlich nicht länger als ein Jahr genutzt werden, wie beispielsweise Papier.

Holz ist ein hochwertiger Werkstoff, weshalb dessen energetische Nutzung einen Verlust einer vielfältig nutzbaren Ressource bedeutet. Jene Teile eines Baumes, die nicht als langlebige Produkte genutzt werden, bieten sich für die Energiegewinnung an, werden aber auch von der Platten- und Papierindustrie verwertet. Hinzu kommt, dass Holz einen geringeren Brennwert als beispielsweise Erdgas aufweist. Um dieselbe Menge Energie aus Holz für Strom und Wärme zu erhalten wie durch den aktuellen Energiemix Österreichs, müsste fast doppelt so viel CO2 emittiert werden. Da ein Großteil des jährlichen Bestandszuwachses bereits geerntet wird und die dabei anfallenden "Restflüsse" ebenfalls stofflich oder energetisch genutzt werden, müsste folglich auch mehr Holz geerntet werden, um Biomasse vermehrt als Energiequelle an Stelle von fossilen Brennstoffen einzusetzen.

Je nach Bezugspunkt könnte die Nutzung von Brennholz also entweder theoretisch CO2-neutral sein, oder zusätzliche Emissionen verursachen und die Kohlenstoffspeicherfunktion des Waldes verringern. Da im Kampf gegen die Klimakrise jedoch Eile geboten ist, sollte der Reduktion von Emissionen, z. B. durch verringerten Energiebedarf und Effizienzsteigerungen absoluter Vorrang gegeben werden, gleichzeitig muss der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. Zur Erreichung der Pariser Klimaziele sowie einer langfristigen Stabilisierung des globalen Klimas wird dies allein jedoch nicht ausreichen. Zusätzlich muss bereits emittiertes CO2 der Atmosphäre entnommen werden. Mit den momentan umgesetzten Maßnahmen steuern wir auf eine Erwärmung jenseits der 2 Grad Celsius mit unabsehbaren Folgen zu.

Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS, Carbon Capture and Storage) befinden sich seit Jahrzehnten in der Entwicklung und haben nach wie vor keine Marktreife erreicht. Umso dringender sollten wir Kohlenstoffsenken in Wäldern schützen und ausbauen – diese "Technologie" ist bereits vorhanden, erprobt und bringt einige Vorteile mit sich. Eine Studie im Auftrag der österreichischen Bundesforste zeigt etwa, dass bei einer Intensivierung des Naturschutzes kulturelle Ökosystemdienstleistungen wie Erholung und Biodiversität die monetären Verluste reduzierter Forstwirtschaft mehr als ausgleichen würden. Der Holzvorrat (stehendes Holz pro Waldfläche) heimischer Nutzwälder liegt derzeit im Schnitt 46 Prozent unter dem Niveau europäischer Natur- und Urwälder. Wälder, die nicht oder weniger intensiv bewirtschaftet werden, haben also großes Potenzial, uns als "Brückentechnologie" die dringend benötigte Zeit bei der Umstellung unseres Energie- und Wirtschaftssystems zu verschaffen. (Andreas Magerl, 22.6.2022)