Ab Herbst sind homosexuelle Männer nicht mehr vom Blutspenden ausgeschlossen.

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Alle 90 Sekunden wird in Österreich eine Blutkonserve benötigt – etwa bei Geburten, nach Unfällen, bei Operationen oder bei der Behandlung schwerer Krankheiten. Insgesamt sind das etwa 1.000 Blutkonserven pro Tag. Aber aktuell seien die Lagerstände "besorgniserregend niedrig", heißt es vonseiten des Roten Kreuzes.

Das liegt an mehreren Faktoren: Zum einen hat die Corona-Pandemie viele Menschen erst krankheitsbedingt vom Blutspenden abgehalten, jetzt holen viele ihre geplanten Urlaube und Freizeitaktivitäten nach und gehen deshalb nicht spenden. Zum anderen haben die Krankenhäuser aktuell einen vermehrten Bedarf an Blutkonserven, da Corona-bedingt verschobene, nicht zeitkritische Operationen nachgeholt werden.

Blutkonserven können rund um die Uhr von Spitälern angefordert werden. Rund 70 Prozent davon werden – etwa für Operationen – langfristig vorbestellt, 30 Prozent werden akut verabreicht. "Sind die Lagerstände, so wie jetzt gerade, sehr niedrig, kann es dazu kommen, dass geplante Routineeingriffe abgesagt und verschoben werden müssen", warnt Ursula Kreil, Leiterin der Abnahme in der Blutspendezentrale für Wien, Niederösterreich, Burgenland.

Blutspenden bleiben bis auf weiteres unersetzlich

Bisher kann Blut nur durch den Körper selbst hergestellt werden. Für das Blutspendewesen wäre es ein riesiger Fortschritt, wenn Blut künstlich hergestellt werden könnte, meint Kreil. Blutkörperchen werden vor allem im Knochenmark gebildet, dort reifen sie aus sogenannten Mutter- oder Stammzellen heran.

Diesen Prozess nachstellen? Eine Herausforderung für die Wissenschaft: "Es gibt dazu unterschiedlichste Denkansätze, jedoch wird es in absehbarer Zeit nicht möglich sein, Blut künstlich herzustellen. Es ist zwar schon möglich, rote Blutkörperchen aus Stammzellen zu züchten, der zeitliche Aufwand und die Kosten dafür sind aber enorm", sagt Kreil und spricht dabei vom letzten großen Durchbruch in der Forschung zu Blutersatz.

Forscherinnen und Forscher versuchen schon seit langem, zumindest die für den Sauerstofftransport wichtigen roten Blutkörperchen synthetisch herzustellen. Vor zwei Jahren gab es dabei erste Erfolge: Erstmals konnten künstliche rote Blutkörperchen entwickelt werden, die ihren natürlichen Vorbildern in entscheidenden Merkmalen ähnlich sind. Die aus Polymeren mit einem Membranüberzug bestehenden Zellen haben die gleiche Form, bewegen sich ähnlich flexibel durch Kapillaren und können Sauerstoff oder andere Stoffe durch den Körper transportieren, zeigten erste Tests. Auch in Tierversuchen mit Küken und Mäusen zeigten sich die synthetischen Zellen als verträglich: Sie zirkulierten mehr als 48 Stunden lang im Körper der Tiere, ohne dass die Forscher Verklumpungen oder andere schädliche Nebenwirkungen beobachteten. Wie sich diese synthetischen Zellen im medizinischen Einsatz bewähren, müssen jedoch erst weitere Studien zeigen.

"Die Anforderungen an 'künstliches Blut' beziehungsweise den Ersatzstoff sind extrem hoch – er muss vom Körper angenommen werden, darf keine Nebenwirkungen für den Menschen haben und muss den Sauerstoff im Organismus richtig transportieren. Die freiwillige Blutspende und ihre aufwendige Verarbeitung bleiben daher bis auf weiteres unersetzlich", betont Kreil.

Blutkonserven sind nicht lange haltbar

"Wir sind daher auf die Unterstützung jeder und jedes Einzelnen angewiesen und rufen Menschen aller Blutgruppen auf, zur Blutspende zu kommen und uns zu helfen, unsere Lagerstände vor dem Sommer auf ein sicheres Niveau zu bringen", appelliert auch Gerald Schöpfer, der Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, in einer Aussendung.

Grundsätzlich können alle gesunden Menschen im Alter von 18 und 70 Jahren Blut spenden. Bis zu viermal jährlich kann gespendet werden, zwischen zwei Blutspenden müssen mindestens acht Wochen liegen. Dabei werden 460 Milliliter abgenommen, die im Anschluss zentrifugiert werden. Dabei wird das Plasma abgehoben. Eine kleine Probe davon kommt dann ins Labor, wo das Blut auf 20 Parameter untersucht wird. Sind alle Tests negativ, wird der entsprechende Blutbeutel gekühlt gelagert – aber nicht lange: Eine Blutkonserve ist nur 42 Tage lang haltbar.

Am häufigsten benötigen Menschen mit schweren Erkrankungen oder Verletzte mit Blutverlust die Spenden. Die seltensten Blutgruppen sind B und AB negativ sowie 0 negativ – letztere ist gleichzeitig die begehrteste, weil sie bei jedem und jeder transfundiert werden kann.

Bedarf an Blutkonserven wächst

Die Spendenbereitschaft sei laut Kreil nach über zwei Jahren Corona-Pandemie nicht nur in Österreich gering – auch andere europäische Länder stehen vor dieser Herausforderung. Im Jahr 2021 haben laut Angaben des Roten Kreuzes in Österreich insgesamt 222.295 Personen Blut gespendet, das sind 3,56 Prozent der Bevölkerung im spendenfähigen Alter – zu wenige, vor allem mit Blick in die Zukunft, warnt Kreil: "Eine weitere große Herausforderung ist unter anderem der demografische Wandel. Die Bevölkerung wird immer älter und braucht daher auch immer mehr Blutspenden. Um den Bedarf auszugleichen, benötigen wir wiederum auch mehr junge Blutspenderinnen und Blutspender."

Erste Schritte wurden dahingehend kürzlich gesetzt: In Österreich sollen homosexuelle Männer schon bald nicht mehr vom Blutspenden ausgeschlossen sein. Die dafür erforderliche Novelle zur Blutspenderverordnung des Gesundheitsministeriums wurde vergangenen Freitag kundgemacht. Die neue Regelung, die nicht mehr zwischen hetero-, bi- und homosexuellen Menschen unterscheidet, tritt am 31. August in Kraft. Die Details der Umsetzbarkeit, Risikobewertung oder Haftungsfragen werde man laut Kreil so rasch wie möglich erarbeiten, um weiterhin die größtmögliche Sicherheit bei der Blutversorgung für die Bevölkerung in Verbindung mit der breitestmöglichen Zulassung zur Blutspende gewährleisten zu können.

Blutspendetag zu Ehren des Entdeckers der Blutgruppen

Der alljährliche Blutspendetag am 14. Juni soll weltweit daran erinnern, wie wichtig die Blutspende ist. Der Tag findet am Geburtstag des Naturwissenschafters Karl Landsteiner statt. Im Jahr 1939 hat er für seine Entdeckung der Blutgruppen A, B, 0 und AB den Nobelpreis für Medizin erhalten – ein Meilenstein in der modernen Medizin. Seine Forschungserkenntnisse machen Bluttransfusionen nicht mehr lebensbedrohlich, sondern -erhaltend, weil die Blutgruppen vorab bestimmt und so mit der passenden Spende transfundiert werden können. Seit dem Jahr 2004 wird daher jährlich am 14. Juni der internationale Weltblutspendetag gefeiert. (poem, 14.6.2022)