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Wien – 873 Millionen Menschen leiden weltweit an Hunger. Der Klimawandel sorgt für Missernten. Preise für Agrarrohstoffe steigen seit Jahren. Der Krieg in der Ukraine verschärft die globale Versorgungslage mit Nahrungsmitteln. Getreide hat sich seither um 32 Prozent, Weizen allein um 41 Prozent verteuert.

Die EU versorgt sich mit genügend Rohstoffen selbst und ist in der Lage, kostspielige Importe zu finanzieren. Entwicklungsländer in Afrika, Asien und im Nahen Osten geraten durch den Ausfall an Lieferungen an Getreide und Ölsaaten jedoch in die Bredouille. Eine aktuelle Studie des Agrarökonomen Sebastian Lakner von der Uni Rostock im Auftrag der Grünen im EU-Parlament zeigt nun Handlungsoptionen auf.

Lakner macht den stärksten Hebel in offenen Märkten aus. Je mehr Volkswirtschaften freien Handel ermöglichten, desto besser ließen sich fehlende Rohstoffe ausgleichen.

Die Studie empfiehlt ein Aussetzen der Pflicht zur Beimischung von Biokraftstoffen. Das würde die Versorgungslage bei Futtergetreide verbessern. Bisher würden in der EU elf Millionen Tonnen Getreide zu Bioethanol und fünf Millionen Tonnen Rapsöl zu Biodiesel verarbeitet.

Abgaben für Tierwohl

62 Prozent des Getreides inklusive Mais in der EU werden verfüttert. Aufgrund der höheren Futterkosten halten Landwirte weniger Nutztiere – einer EU-Prognose zufolge soll die Schweinefleischproduktion um drei Prozent sinken. Das allein werde jedoch nicht reichen, um mehr Getreide freizusetzen. Auch droht ein Ausbau der Mast in Drittländern.

Lakner rät daher dazu, beim Konsum anzusetzen. Von höheren Umsatzsteuern auf Fleisch hält er angesichts der starken Inflation wenig. Sinnvoller seien Tierwohlabgaben. Kritik übt der Ökonom an der geplanten Bewirtschaftung von Brachflächen, die der Biodiversität hätten dienen sollen. Das Potenzial an Getreide, das sich daraus gewinnen ließe, sei gering und stehe in keiner Relation zu den drohenden ökologischen Schäden eines solchen Umbruchs, geht aus der Studie hervor. Österreich könne damit lediglich 0,1 Prozent der fehlenden Weizenmenge aus der Ukraine kompensieren.

Als kurzfristige Notfallmaßnahme sei es klüger, die Fruchtwechselvorschriften auszusetzen. Langfristig gehöre die Eigenversorgung in Entwicklungsländern gestärkt.

"Wir dürfen aktuelle Krisen nicht gegen die Klimakrise ausspielen", sagt die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener dem STANDARD. Sie ortet konzertierte Aktionen der Industrie, nachhaltige Ziele in der Landwirtschaft im Namen der Versorgungssicherheit zu untergraben. "Das ist brandgefährlich." (Verena Kainrath, 15.6.2022)