Vor der Entscheidung des Gerichtshofs für Menschenrechte gab es zivilgesellschaftliche Proteste in der Nähe des Flughafens Heathrow gegen die Abschiebungen nach Ruanda.

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Der Flieger, der die ersten Abschiebungen nach Ruanda hätte durchführen sollen.

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London – Der erste geplante Abschiebeflug von Großbritannien nach Ruanda mit Asylsuchenden verschiedener Nationalitäten ist in letzter Minute gerichtlich gestoppt worden. Die Entscheidung kam, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit einer seltenen Intervention die Pläne der britischen Regierung durchkreuzt hatte. Trotz der folgenreichen Niederlage vor Gericht will die konservative britische Regierung an ihrem umstrittenen Plan festhalten.

Am Dienstagabend berichtete die Charity-Organisation Care4Calais, die sich für die Rechte von Flüchtlinge einsetzt, dass die Abschiebung mehrerer Personen angehalten wurde und nur mehr eine Person abgeschoben werden sollte. Um 23 Uhr (MESZ) schrieb der britischer Journalist Paul Brand schließlich auf Twitter, es sei bestätigt worden, dass es am Dienstag keinen Abschiebeflug nach Ruanda geben werde. Auch die Nachrichtenagentur Reuters berichtete in der Folge und bezog sich dabei auf eine Quelle aus Regierungskreisen.

"Wir lassen uns nicht davon abschrecken, das Richtige zu tun und die Grenzen unserer Nation zu schützen", sagte Innenministerin Priti Patel am Dienstagabend. Man arbeite bereits daran, den nächsten Flug vorzubereiten, ergänzte Patel.

"Ich bin enttäuscht, dass Klagen und Rechtsstreitigkeiten in letzter Minute dafür gesorgt haben, dass der heutige Flug nicht abheben konnte", sagte die Innenministerin. Es sei sehr überraschend, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingeschaltet habe, nachdem britische Gerichte zuvor anders entschieden hätten.

Der EGMR hatte zuvor angeordnet, dass einer der betroffenen Asylbewerber zunächst nicht ausgeflogen werden dürfe. Vielmehr müsse zunächst eine Frist von drei Wochen nach dem Abschluss des Rechtsweges in Großbritannien verstreichen. Stunden zuvor hatte noch der oberste Gerichtshof als letzte britische Instanz grünes Licht für das international umstrittene Vorhaben gegeben.

37 Asylwerber sollten in der Nacht auf Mittwoch mit einem gecharterten Flugzeug ausgeflogen werden. Ursprünglich hatten die britischen Behörden sogar 130 Abschiebungen anvisiert. Laut der Organisation Care4Calais wurden wegen ausstehender juristischer Entscheidungen jedoch die meisten der Tickets storniert. Die Verfügung des Gerichts galt für einen von den Verbliebenen, einen Iraker. "Damit können die anderen sechs ähnliche Einwände erheben", sagte Clare Moseley von der Stiftung Care4Calais der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir sind so erleichtert."

Unmoralisch, gefährlich, kontraproduktiv

London hatte mit Ruanda ein Abkommen geschlossen, um illegal eingewanderte Migranten im Gegenzug für Zahlungen in das ostafrikanische Land auszufliegen. Dies soll Menschen abschrecken, die illegale Einreise nach Großbritannien zu versuchen. Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen sowie die Gewerkschaft PCS, die die britischen Grenzschutzbeamten vertritt, hatten dagegen geklagt, waren vor Gericht jedoch gescheitert.

Die ruandische Regierung verteidigte das Abkommen als "Lösung für eine fehlerhaftes globales Asylsystem". Sie halte es "nicht für unmoralisch, Menschen ein Zuhause zu bieten", sagte Regierungssprecherin Yolande Makolo. Ruanda sei "glücklich darüber", tausende Migranten aufzunehmen. "Wir betrachten es nicht als Strafe, in Ruanda zu leben", ergänzte sie.

Aktivisten kritisieren das britisch-ruandische Abkommen als unmoralisch, gefährlich und kontraproduktiv. Nach Angaben von Beobachtern ist die Menschenrechtslage in dem ostafrikanischen Land alles andere als vorbildlich. Auch die Uno hatte das britische Vorhaben wiederholt kritisiert.

Erzbischof: "Schande für Großbritannien"

Führende Kirchenvertreter, darunter der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, griffen die Regierung für ihre Asylpolitik scharf an. "Unser christliches Erbe sollte uns dazu inspirieren, Asylsuchende mit Mitgefühl, Fairness und Gerechtigkeit zu behandeln", schrieben Welby und 24 weitere Bischöfe in der "Times". "Diese unmoralische Politik ist eine Schande für Großbritannien."

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sieht in den Abschiebungen einen "gefährlichen Präzedenzfall". "Es ist Kern der Genfer Flüchtlingsschutzkonvention, Verantwortung für den Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu übernehmen", erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Großbritannien entziehe sich dieser Verantwortung. "Vom Flüchtlingsschutz ist dann nicht mehr übrig als eine leere Worthülse."

Im vergangenen Sommer hatte bereits das EU-Mitglied Dänemark ähnliche Pläne verkündet. Laut einem dortigen Gesetz sollen Asylbewerber nach ihrer Registrierung an der Grenze in ein Aufnahmezentrum außerhalb der EU gebracht werden. Mit Ruanda unterzeichnete die dänische Regierung eine Absichtserklärung über die Zusammenarbeit im Bereich Asyl und Migration. (APA, Reuters, Red, 14.6.2022)