Ob der Oberste Gerichtshof bei anderen Lockdowns ähnlich entscheidet, bleibt abzuwarten.

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Als die Bundesregierung im März 2020 den ersten landesweiten Lockdown verkündete, ging alles schnell. Österreich machte von einem Tag auf den anderen zu. Geschäfte, Sportanlagen und öffentliche Plätze durften nur noch in wenigen Ausnahmen betreten werden.

Wenige Monate später hob der Verfassungsgerichtshof die Lockdown-Verordnung jedoch auf. Laut dem Höchstgericht waren die Ausgangssperren zwar inhaltlich vertretbar, aber aus formalen Gründen rechtswidrig. Der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hatte es verabsäumt, die Gründe für die Maßnahme ausreichend zu dokumentieren.

Trotz dieses Fehlers haben Menschen, die aufgrund des Lockdowns Gehaltseinbußen erlitten, aber keinen Anspruch auf Schadenersatz. Das hat nun ein weiteres Höchstgericht – der Oberste Gerichtshof (OGH) – in einer aktuellen Entscheidung bestätigt. Die Verordnung sei zwar rechtswidrig, die Rechtsauffassung der Regierung aufgrund des großen Zeitdrucks aber "vertretbar" gewesen (OGH 18.5.2022, 1 Ob 75/22v).

Unternehmen zog vor Höchstgericht

Ins Rollen gebracht hatte das Verfahren ein Unternehmen, das mehrere Gaststätten und Bekleidungsgeschäfte betreibt. Es klagte die Republik auf Amtshaftung und verlangte 35.000 Euro für den Verdienstentgang während des ersten Lockdowns. Dass das Gesundheitsministerium im Verordnungsakt jegliche Begründung unterließ – was letztlich zur Aufhebung der Verordnung führte –, sei "zweifelsfrei schuldhaft" gewesen.

Schon das Landesgericht Wien wies die Klage aber ab. Das Vorgehen des Gesundheitsministers sei trotz rechtswidriger Verordnung "vertretbar" gewesen. Die Verordnungen seien unter einer "noch nie dagewesenen Krisensituation unter großem Zeitdruck erlassen worden". Eine "einhergehende Auseinandersetzung mit formalen Dokumentationspflichten" habe nicht verlangt werden können.

"Schwer durchschaubare Situation"

Der Oberste Gerichtshof hat diese Entscheidung nun in letzter Instanz bestätigt. Wenn Behörden "rasche Entschlüsse in einer nur schwer durchschaubaren Situation" fassen müssen, könne auch rechtswidriges Verhalten nicht automatisch als schuldhaft beurteilt werden. Dabei komme dem "Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu".

Zudem habe der Verfassungsgerichtshof erst im Juli 2020 festgelegt, wie ausführlich die Regierung die Covid-19-Verordnungen begründen muss – zu einem Zeitpunkt, als der erste Lockdown gar nicht mehr in Kraft war.

Allerdings hat der VfGH auch danach weitere Corona-Maßnahmen aus demselben Grund aufgehoben. Ob der Oberste Gerichtshof hier ähnlich entscheiden würde, bleibt abzuwarten.

Strenge Voraussetzungen

Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem Amtshaftungsgesetz sind im Allgemeinen relativ streng. Dass eine Behörde rechtswidrig gehandelt hat, reicht allein nicht aus. Das Vorgehen muss zudem rechtlich "unvertretbar" gewesen sein.

Oft gibt es in ein und demselben Fall nämlich unterschiedliche Rechtsauffassungen. Die Republik soll laut Gesetz keinen Schadenersatz zahlen müssen, wenn sie eine andere Rechtsauffassung als der Verfassungsgerichtshof vertritt, solange diese Auffassung juristisch begründet werden kann.

Dass die Republik einen Großteil der Umsatzeinbußen letztlich über freiwillige Corona-Hilfen übernahm, spielte im aktuellen Verfahren keine Rolle. (Jakob Pflügl, 16.6.2022)