Ein paar Teenager allein im Wald – was kann dabei schon schiefgehen?

Foto: Supermassive Games

Hach, es hätte alles so romantisch werden können. Das Sommercamp ist zu Ende, die Betreuerinnen und Betreuer sitzen noch ein letztes Mal am Lagerfeuer, ein erotisches Knistern herrscht zwischen den einzelnen Personen, letzte Chancen für unvergessliche Sommerromanzen tun sich auf – bis die Stimmung von schaurigen Ereignissen durchbrochen wird, der Horror in das Tal einzieht und schnell deutlich wird: Nicht alle werden diese Nacht überleben.

Das ist "The Quarry", das neue Spiel von Supermassive Games, die vor allem für das Horrorspiel "Until Dawn" bekannt sind. "The Quarry" ist keine Fortsetzung von "Until Dawn", schlägt aber in eine ähnliche Kerbe: Es gibt keine wilden Actionsequenzen aus der Ich-Perspektive, stattdessen steuert man mehrere unterschiedliche Charaktere durch einen interaktiven Film und bestimmt durch die eigenen Entscheidungen, wie die Handlung schließlich endet.

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Ich habe im Test auf dem PC für einen Durchlauf des Spiels knapp sechs Stunden gebraucht – da die einzelnen Entscheidungen aber entsprechend verschiedene Handlungsstränge aktivieren, lässt sich das Game wohl auch mehrmals spielen. Möglich ist dies alleine im Singleplayermodus oder auch gemeinsam im Couch-Koop – in dem Fall steuern die jeweiligen Spielerinnen und Spieler unterschiedliche Figuren.

Wie im Film

Als dritte Option ist es schließlich noch möglich, gar nicht selbst zu Maus oder Controller zu greifen, sondern den "Filmmodus" zu aktivieren, bei dem die Handlung von selbst voranschreitet. Vor Start dieses Modus kann man noch im virtuellen Regiesessel Platz nehmen und entscheiden, welche Charaktereigenschaften die einzelnen Figuren mitbringen – und dann beobachten, wie dies die Handlung beeinflusst.

Ein kleiner Wermutstropfen in diesem Modus: Vorspulen kann man nicht, man muss die Handlung also jedes Mal von Anfang bis Ende verfolgen, was dann aber doch vor allem in den sich immer gleich wiederholenden Anfangsszenen etwas ermüdend sein kann.

Küssen sie sich? Oder beißen sie gleich ins Gras?
Foto: Supermassive Games

Dafür muss das Werk auf technischer Ebene den Vergleich zum Filmgenre nicht scheuen. Auf grafischer Ebene liegt "The Quarry" zumindest bei den Schnittszenen auf dem gleichen Level wie zeitgenössische Animationsfilme, auch die Soundeffekte und die Musik bewegen sich auf Hollywoodniveau.

Und schließlich hat man auch bei den Schauspielern auf viele bekannte Gesichter der Traumfabrik zurückgegriffen – darunter David Arquette ("Scream"), Ariel Winter ("Modern Family"), Justice Smith ("Jurassic World"), Brenda Song ("Dollface"), Lance Henriksen ("Aliens"), Lin Shaye ("Insidious") und Ted Raimi ("Creepshow"). Das merkt man an der Qualität, auch wenn sich die Profischauspieler nicht selbst zeigen, sondern hinter ihren digitalen Avataren verstecken.

Die Sprachausgabe weiß auch in der deutschen Fassung zu überzeugen und ist kein einziges Mal peinlich – was auch alles andere als selbstverständlich ist.

Handlung mit vielen Enden

"The Quarry" lebt sehr stark von den Wendungen in der Handlung und einer Geschichte, deren Bedeutung sich erst im Verlauf des Spiels entpuppt – daher soll aus Spoiler-Gründen an dieser Stelle nicht zu viel verraten werden. Erwähnt wurden in diesem Text bereits das Sommercamp und die Betreuer, unter denen sich Romanzen entwickeln, sowie das Aufkommen des Bösen. Über den Rest soll an dieser Stelle sicherheitshalber geschwiegen werden.

Will Byles, Director von "The Quarry", ist ein Fan klassischer Teen-Horrorfilme.
Foto: Supermassive Games

Gesagt werden darf aber auch, dass es etliche unterschiedliche Enden gibt – und dass eine Spielrunde mit einem Abspann endet, in dem man sieht, welche Schicksale die einzelnen Charaktere ereilt haben.

Gegenüber dem STANDARD erläutert Will Byles, Director von "The Quarry", wie man ein Skript mit so vielen unterschiedlichen Enden schreibt: Strukturell habe man die Handlung des Spiels wie ein Rad mit etlichen Speichen aufgebaut, jeder Charakter repräsentiert eine Speiche – somit kann die Handlung auch fortgesetzt werden, wenn einzelne Protagonisten sterben. Das jeweilige Ende der Geschichte hängt dann davon ab, wer überlebt und wie gewisse andere wegweisende Entscheidungen getroffen werden.

Atmosphäre wie in den Klassikern

Die Handlungsorte und Figuren sind dabei geradezu klischeehaft: Die hübsche Instagram-Queen trifft auf das melancholische Mauerblümchen, der ethnische Mix beinhaltet kaukasische ebenso wie einen afroamerikanischen Charakter und eine Figur mit asiatischen Wurzeln. Und einen homosexuellen Campradio-Moderator. Die Handlungsorte wiederum bestehen aus einem Bootshaus, einem See, einem düsteren Wald, einem Schrottplatz, diversen Kellern – und überhaupt allem, was man aus Filmen dieser Art kennt.

Das Spiel ist voller Klischees – und das ist durchaus beabsichtigt.
Foto: Supermassive Games

Das ist Absicht, wie Byles sagt: "'The Quarry' ist in vielerlei Hinsicht ein Liebesbrief an die klassischen Teen-Horrorfilme der 1980er und 1990er. Jeder Horrorfan wird viele der Archetypen und Klischees erkennen, wegen denen diese Filme so viel Spaß gemacht haben." Als konkrete Inspiration nennt er Filme wie "Cabin in the Woods", "Friday the 13th", "Sleepaway Camp", "Evil Dead", "Deliverance" und "I Know What You Did Last Summer".

Computerspiele seien ein unterhaltsames Medium, das sich mit fortschreitender Technologie immer mehr dem Fotorealismus nähere, sagt Byles: Das Filmgenre werde dadurch aber trotzdem nie ersetzt werden, zumal die beiden Medienformen sehr unterschiedliche Erfahrungen böten.

Wie spielt sich "The Quarry"?

"The Quarry" ist kein Actionshooter, sondern eher ein interaktiver Film, in welchem ein oder mehrere Spieler abwechselnd unterschiedliche Charaktere spielen. Dabei geht es meistens darum, verschiedene Entscheidungen zu treffen, und das meist unter Zeitdruck: Helfe ich meinem Freund, der in Not ist, oder rette ich mich selbst? Renne ich davon oder verstecke ich mich? Klaue ich einem Cop seine lose hängende Waffe und versuche ihn zu überlisten oder baue ich lieber langfristig Vertrauen auf? Bei vielen dieser Entscheidungen geht es um das nackte Überleben, bei anderen um die Beziehungen der Charaktere zueinander.

Nebenschauplatz: Im Spiel werden Tarotkarten gesammelt, die eine Hexe anschließend nutzt, um die Zukunft vorherzusagen.
Foto: Screenshot

Ergänzend dazu gibt es weitere Spielelemente. Etwa müssen bei einer hektischen Flucht durch den Wald bestimmte Tasten im richtigen Moment gedrückt werden, um rechtzeitig zu springen oder sich zu ducken. Oder es muss durch Drücken der Maustaste die Luft angehalten werden, um nicht durch lautes Atmen vom Verfolger entdeckt zu werden.

Und es gibt Rätsel, die es zu lösen gilt – die aber allesamt nicht sonderlich schwer sind. In Summe gibt es also immer etwas zu tun, und die Handlung wird fast immer automatisch vorangetrieben.

Was ist weniger gelungen?

"Fast" schreibe ich, weil das Spiel auch Elemente enthält, die man sich hätte sparen können. Dazu gehört vor allem das freie Bewegen durch die Open World mit Hilfe der WASD-Tasten. Denn hier offenbart "The Quarry" seine Schwäche, dass es eben kein rasanter Actionshooter ist: Die Figuren bewegen sich eher langsam fort, durch stetige Kamerawechsel verliert man oft die Orientierung – und meist geht es in diesen Spielabschnitten ohnehin bloß darum, den richtigen Gegensand in den – oft sehr dunklen – Räumen zu entdecken, damit die Handlung fortgesetzt wird. Ich war jedes Mal froh, wenn ich diese eher öden Abschnitte hinter mir hatte.

Die Steuerung in der Open World mittels WASD-Tasten ist ein wenig hölzern.
Foto: Screenshot

Weiters fiel im Test ein kleiner technischer Schluckauf auf: Gelegentlich kam es vor, dass Sätze oder Satzteile von den Charakteren zweimal gesprochen wurden – das ist kein Drama, aber es trübt natürlich ein wenig die Atmosphäre. Selbiges gilt für die Ladezeiten zwischen den einzelnen Szenen: Ich bin mir nicht sicher, ob nicht manche Schockeffekte besser kämen, wenn die Ladezeiten in die Schnittszenen integriert und somit versteckt wären – ähnlich, wie man es aus "God of War" kennt.

Fazit: Horror-Festschmaus mit Wermutstropfen

"The Quarry" ist ein Spiel, das sich explizit an Fans von Teen-Horrorfilmen der 1980er und 1990er richtet. Wer schon mit "In drei Tagen bist du tot" Spaß hatte und diese Settings auch mal in einem interaktiven Medium erleben will, der wird dieses Spiel lieben – egal, ob alleine oder zu zweit.

Die Grafik ist schick, die Atmosphäre düster, die Schauspieler auf Hollywoodniveau. Einzig an einzelnen technischen Schrauben hätte man noch drehen können, um das Erlebnis noch etwas besser zu gestalten. Aber das sind Kleinigkeiten, die durchaus verkraftbar sind. (Stefan Mey, 18.6.2022)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: "The Quarry" ist für Playstation 5, Playstation 4, Xbox One, Xbox Series X/S und PC erschienen. Ein Rezensionsexemplar für PC wurde dem STANDARD von 2K zur Verfügung gestellt. (Stefan Mey, 18.6.2022)