Wer weiß, vielleicht hätte es nie einen Watergate-Skandal gegeben, vielleicht wäre alles unter dem Teppich geblieben, unter dem es hervorgekehrt wurde, hätte Frank Wills nicht aufgepasst. Wills, Wachmann im Watergate, einem Gebäudekomplex mit auffallend kurvenreicher Fassade, nicht weit vom Potomac River in Washington, ist vom 16. auf den 17. Juni 1972 zur Nachtschicht eingeteilt. Als er zum ersten Mal seine Runden dreht, fällt ihm auf, dass sich jemand an Türschlössern der Tiefgarage zu schaffen gemacht hatte. Klebeband verhindert, dass Türen ins Schloss fallen können. Wills entfernt das Band, nur um beim nächsten Rundgang zu sehen, dass erneut an einem Schloss manipuliert wurde. Diesmal, um 1:47 Uhr, alarmiert er die Polizei.

Nachdem die herbeigerufenen Beamten auch in der sechsten Etage eine verklebte Tür entdeckt haben, bemerken sie dort ein zum Balkon hin geöffnetes Bürofenster. Mitten in der Nacht. Es endet damit, dass sich fünf Männer, die Hände erhoben, den Polizisten ergeben. Sie waren in die Zentrale der Demokratischen Partei eingedrungen, sechste Etage im Watergate Office Building, um eine defekte, drei Wochen zuvor installierte Telefonwanze auszutauschen. Zwei ihrer Kumpanen haben sich gegenüber in einem Motel einquartiert, von wo sie die Büroräume beobachten, um in brenzligen Situationen Alarm zu schlagen. Wobei letzteres offenkundig schiefgeht.

Der Watergate-Komplex im Jahr 1972 – die Aufnahme wurde während des Strafprozess gezeigt, um die Nähe des Howard Johnson Hotel zum Watergate-Gebäude zu zeigen.
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Scheck für Howard Hunt

Bob Woodward und Carl Bernstein, beide Lokaljournalisten der Washington Post, berichten über den Fall, der im ersten Moment eher wenig Aufsehen erregt. Politisch brisant wird es, als sie herausbekommen, dass mindestens einer der Einbrecher in Diensten des von Richard Nixon gegründeten Komitees zur Wiederwahl des Präsidenten steht. In einem Zimmer des Watergate-Hotels, in dem das aus Miami angereiste kriminelle Quintett nächtigte, findet ein Polizeireporter einen Scheck, der von einem gewissen Howard Hunt ausgestellt wurde.

In Adressbüchern der Überführten steht Hunts Name neben "W House" beziehungsweise "WH". Der frühere CIA-Agent, 1961 einer der Organisatoren der gescheiterten Invasion in der kubanischen Schweinebucht, hat eine Weile für Charles Colson gearbeitet, einen Rechtsberater des Weißen Hauses. Als Woodward das herausfindet, hat er einen Faden in der Hand, mit dem sich, was er zu dem Zeitpunkt nicht wissen kann, das ganze Knäuel aufdröseln lässt.

Sichergestellte Beweismittel im Zusammenhang mit dem Einbruch in die Zentrale der Demokratischen Partei.
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Sinnlose Aktion

Was zunächst wie eine x-beliebige Straftat aussieht, bei der Polizei glaubt man nach einer Serie ähnlicher Fälle an den Diebstahl von Schreibmaschinen, wächst sich nach und nach zur Watergate-Affäre aus. Das Paradoxe daran, schreibt der Buchautor Michael Dobbs, dessen Titel ("King Richard") auf den altmonarchistisch anmutenden Größenwahn Nixons anspielt, war die Sinnlosigkeit der Aktion. Im November 1972 ging Nixon aus dem Wahlduell mit George McGovern, einem demokratischen Senator aus South Dakota, als strahlender Sieger hervor. Er hätte wahrscheinlich auch so klar gewonnen, ohne sich schmutziger Tricks bedienen zu müssen, schreibt der Chronist. Getrieben habe ihn die Paranoia, die er im Laufe seiner Karriere entwickelte, verbunden mit Ressentiments, die ihn den politischen Gegner regelrecht hassen ließen.

Auf der Suche nach Ursachen stellt Dobbs die Erfahrungen des Jahres 1960 heraus. Damals verlor Nixon das Rennen ums Weiße Haus, allerdings relativ knapp. Sein Rivale John F. Kennedy war einerseits der charismatische Hoffnungsträger der Demokraten, andererseits Spross einer steinreichen Ostküstenfamilie, deren Patriarch brennend vor Ehrgeiz davon träumte, einen seiner Söhne am Schreibtisch des Oval Office sitzen zu sehen. Nixon, so Dobbs, hätte 1960 durchaus Grund gehabt, das Ergebnis anzufechten. Beispielsweise hätte er sich auf Unregelmäßigkeiten in Chicago berufen können. Er habe darauf verzichtet, sei aber fortan bereit gewesen, sich skrupellos schmutziger Tricks zu bedienen, um nie wieder eine Wahl zu verlieren.

Whistleblower Daniel Ellsberg spielte der New York Times vertrauliche Akten über den Vietnamkrieg zu.
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Pentagon Papers

Dann war da noch der 13. Juni 1971, der Tag, an dem die New York Times begann, aus vertraulichen Dokumenten über den Krieg in Vietnam zu zitieren. Aus Akten, die ihr der Whistleblower Daniel Ellsberg zugespielt hatte. Die Pentagon Papers machten deutlich, wie gründlich amerikanische Regierungen die Öffentlichkeit über Art und Verlauf des Militäreinsatzes täuschten. Daraufhin beauftragt Nixon eine aus Veteranen des FBI und der CIA gebildete, klandestine Spezialtruppe, die "Plumbers", ähnliche Informationslecks – um im Installateurbild zu bleiben – abzudichten. Abhöraktionen, Verletzungen des Briefgeheimnisses, alles ist recht. Einer der "Installateure", ein früherer FBI-Agent namens Gordon Liddy, wechselt später ins Committee for the Re-election of the President.

Während das Duo "Woodstein", Woodward und Bernstein, seinen Recherchen nachgeht, hilft eine Quelle, die legendär werden wird. Ein hoher Beamter der Bundespolizei schildert die Systematik illegaler Handlungen, mit denen Nixon die politische Konkurrenz ebenso wie Kritiker des Vietnamkriegs ausspioniert beziehungsweise erpresst. Die Reporter nennen ihn Deep Throat. Erst 2005, im Alter von 91 Jahren, legt er seine Tarnung ab. Es handelt sich um Mark Felt, die Nummer zwei des FBI.

Mark Felt wurde zur wichtigen Quelle in der investigativen Recherche von "Woodstein".
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Kein Präsident steht über dem Recht

James McCord, einer der Einbrecher, beginnt irgendwann aus dem Nähkästchen des Klandestinen zu plaudern, offenkundig in der Hoffnung auf richterliche Milde. Die Mühlen des Systems der "checks and balances" beginnen zu mahlen, und als Fazit bleibt: Das System funktioniert. Auch ein Präsident, der sich mit dem Hinweis auf Amtsprivilegien zu retten versucht, steht nicht über dem Recht. Im Februar 1973 gründet der US-Senat einen Sonderausschuss, um die Affäre zu untersuchen. Dort vorgeladen, erzählt Nixons ehemaliger Rechtsberater John Dean praktisch alles, was er weiß. Dean, tief in die Kampagne der "dirty tricks" verwickelt, wird zum Hauptbelastungszeugen. Kurz nach seinem Auftritt stellt Howard Baker, ein republikanischer Senator, der seinen Parteifreund Nixon lange verteidigt hatte, eine Frage für die Geschichtsbücher: "Was wusste der Präsident, und wann wusste er es?"

Die endgültige Wende kommt im Juli 1973, als Nixons Mitarbeiter Alexander Butterfield offenlegt, dass sämtliche im Oval Office geführten Gespräche aufgezeichnet werden. Daraufhin verlangt der Sonderermittler, der Harvard-Professor Archibald Cox, die Herausgabe der Tonbänder. Nixon weigert sich und fordert Justizminister Elliot Richardson auf, Cox zu entlassen. Statt sich zu fügen, tritt der Minister zurück. Nun weist Nixon dessen Stellvertreter an, den Ermittler zu feuern. Doch auch der will sich nicht in ein kriminelles Manöver hineinziehen lassen und nimmt seinen Hut. Da dies alles an einem Samstagabend geschieht, geht das Drama als "Saturday Night Massacre" in die Annalen ein.

Am 8. August 1974 trat Richard Nixon als US-Präsident zurück.
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Behinderung der Behörden

Schließlich entscheidet der Oberste Gerichtshof, dass Nixon ausnahmslos alle Tonbänder freigeben muss. Die wiederum belegen, dass der Präsident von Anfang an Bescheid wusste, als es um die Vertuschung der Hintergründe des Watergate-Einbruchs ging. Den Einbruch als solchen hat er zwar nicht angeordnet. Was jedoch sein Schicksal besiegelte, war der Versuch, die Wahrheit zu verschleiern.

Bereits am 23. Juni 1972 hatte Nixon Order gegeben, die Nachforschungen des FBI im Interesse der nationalen Sicherheit durch die CIA zu behindern. Damit begann jenes "cover-up", das ihn schließlich am 8. August 1974 zwang, seinen Rücktritt anzukündigen. Wäre er nicht freiwillig gegangen, hätte ihn ein Amtsenthebungsverfahren mit ziemlicher Sicherheit zum Abschied gezwungen. (Frank Herrmann, 17.6.2022)