Kaiser-Franz-Joseph-Statue bei Bad Ischl, übrigens Kulturhauptstadt 2024: "Natürlich wollen die anderen hier im Inneren Salzkammergut nur Urlaub machen.Wer erträgt diesen Lebensraum auf Dauer? Der praktisch das halbe Jahr im Schatten liegt", schreibt Magdalena Stammler.

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Nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt: Jetzt liegt schon wieder ein totes Tier vor der Tür. Ich mag keine toten Tiere. Und vor allem keine toten Vögel. Vergangene Woche waren es schon zwei, plus eine Maus. Er könnte sich doch zumindest die Mühe machen und die Tiere fressen! Aber so: ein Tod nach dem anderen, völlig umsonst. Ein trost- und sinnloses Sterben ist das, in der Natur. Einen halben Fischkörper habe ich auch schon einmal gefunden, eine zerstückelte Kröte und sogar eine Fledermaus mit sauber durchtrenntem Hals. Das bedeutet, der Kater ist ein gutes Jagdtier, sagt mein Mann.

Mein Mann sagt auch – und er lacht dabei, was ich unerhört finde! –, ich solle die Leichen, die das "gute Jagdtier" uns vor die Türe legt, als Geschenk sehen. Ein Liebesbeweis sei das. Ein Zeichen besonderer Zuneigung eben, dass er seine Beute mit uns teilen würde. Ich weiß nicht so recht, aber ich finde Leichen einen eher ungeeigneten Ausdruck von Liebe.

Ein weiches Fell streicheln

Ein Haustier haben, habe ich mir ursprünglich gedacht, ist etwas Schönes. Ein zusätzliches Familienmitglied. Ein weiches Fell streicheln im Sonnenschein. Ein Stück Natur in meinem Leben. Der Natur derartig nahe sein, dass ich Totengräberin spielen muss? Nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt.

Aber es hilft nix, das tote Tier muss weg, ich kann doch nicht das Vogelblut auf den Terrassendielen eintrocknen lassen bis übermorgen. Ich schlüpfe also in die Gartengummistiefel. Über das Amsel-Gemetzel muss ich einen großen Schritt hinweg machen, um die Schaufel zu holen. Im Vorbeigehen seufze ich den Kater, der sich auf der Terrassenliege sehr überzeugend schlafend stellt, vorwurfsvoll an.

Die Schaufel lehnt neben den Hochbeeten an der Hausmauer. Die Hochbeete hat mein Mann selbst gebaut. Ganz nach meinem Wunsch. Er hat sie auch befüllt, ganz nach meinem Wunsch. Jetzt wachsen Dinge darin. Letztes Jahr habe ich Bücher gelesen darüber, wie man Dinge in einem Hochbeet macht. Also, Pflanzen dort beherbergt, um ihnen in weiterer Folge essbare Früchte abzuringen.

Ich habe mir gedacht: Ich werde jetzt Pflanzen beherbergen. Ich habe mir Handschuhe gekauft. Eine kleine Schaufel auch. Ein paar Tomaten pflanzen, ein Basilikum. Zucchini und Fenchel. Obwohl ich beides nicht mag, aber ich habe mir vor gestellt: Ursprünglicher als aus dem eigenen Garten kann es nicht sein, und da muss es doch gut schmecken!

Die Tomaten sind eingegangen. Alle vier Pflanzen, binnen einer Woche. Mein Mann hat mir erklärt, man darf sie nicht so wild von oben gießen. Das Basilikum ist von den Schnecken gefressen worden. Die Zucchinipflanzen sind zuerst recht brav gewachsen. Wie ich sie ernten wollte, musste ich feststellen, dass sie von innen heraus faulig geworden sind. Und was mit dem Fenchel passiert ist, weiß ich schon nicht mehr – obwohl, vielleicht sind der Fenchel und die Tomaten "schlechte Nachbarn" und haben sich gegenseitig umgebracht.

Kraut oder Unkraut

Heuer hat mein Mann das mit dem Hochbeet übernommen. Er hat mir genau gesagt, was ich tun soll. Aber ich hab es vergessen. Wie ist das jetzt, wann soll man den Deckel vom Hochbeet aufmachen? Ist es um die Mittagszeit jetzt schon zu heiß drin, oder wird es dann zu trocken?

Gegossen habe ich auch noch nicht, weil ich mich fürchte, dass es zu wenig ist – oder zu viel! Und dann stirbt wieder alles. Diese scheiß Natur! Ich soll das Unkraut gleich rausreißen, wenn ich etwas sehe.

Aber was sind das für kleine grüne Blätter, die da aus der Erde kommen, ist das ein Unkraut oder ein Kraut? Ich habe mir gedacht, ich stehe mit glücklich-verschwitztem Gesicht am Rande eines Beets mit den Händen in der Erde und freue mich über die Ernte. Nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt: dass ein Garten eine ewige Bühne des Scheiterns und Verreckens ist!

Meine erste Leiche

Meine erste Leiche habe ich versucht mit einem Sackerl aufzuheben; es war eine unvorstellbar riesige Ratte, geteilt in Körper und Kopf. Man weiß ja auf die Schnelle gar nicht, wohin mit so einer toten Katerbeute! Also Kurzschlussreaktion, Sackerl her, und dann: so ähnlich wie in "Nimm ein Sackerl für dein Gackerl".

Aber durch das Sackerl hindurch habe ich den Rattenkörper gespürt, der zwar eindeutig leblos, aber noch nicht starr gewesen ist. Und mir hat in der Sekunde so gegraust, dass ich die Leiche wieder fallen lassen musste. Dabei habe ich ziemlich laut gekreischt, was mir gleich im nächsten Augenblick äußerst peinlich gewesen ist. Seitdem habe ich mich für die Gartenbestattung der "Liebesbeweise" entschieden.

Die halbzerlegte Amsel versuche ich also auf die Schaufel zu manövrieren. Sie bleibt auf den Terrassendielen kleben, und ich muss sie regelrecht herunterkratzen; der Mord ist also sicher schon einige Stunden her, und die Sonne hat den toten Körper samt Blut hier antrocknen lassen.

Naturnahe Verzweiflung: "Ich werde das alles meinem Mann sagen müssen, er wird die Hochbeete zubetonieren müssen."
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Aber ich werde Gutes tun und die Verstorbene unter dem Zwetschgenbaum verscharren, sie ihm schenken. Ich lege die Amselleiche im Zwetschgenbaumschatten ab und schaufle neben dem Stamm ein circa amselgroßes Loch in die Erde. Dann bugsiere ich das Mordopfer wieder hinauf auf die Schaufel und hinein in das Erdloch.

Mystische Energie

Zum Schluss Erde drauf und schön festklopfen. Feierlich sage ich nun dem Zwetschgenbaum, er solle dieses Geschenk dankbar annehmen und die Nährstoffe des verwesenden Körpers über seine Wurzeln aufsaugen. Keine Ahnung, ob er mich verstanden hat. Es ist das erste Mal, dass ich mit einem Baum spreche.

Und ich hätte mir zumindest irgendeine Art der mystischen Energie erwartet. Aber es ist einfach nur: nichts. Nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Wenn man mit einem Baum spricht, ihm ein Opfer darbringt, sollte man doch zumindest eine Gänsehaut kriegen. Oder ein Schwarm Vögel sollte plötzlich auffliegen. Oder ein unerwarteter Windhauch durch die Blätter wehen. So irgendwas.

Aber einfach nur nichts? Enttäuscht lehne ich die Schaufel zurück an die Hausmauer und mich daneben und frage mich, was ich hier überhaupt soll. Ich versuche, in die Weite zu schauen, aber da liegen überall diese riesigen Steine im Weg. Als wir nur im Urlaub hier waren, haben mir die Berge imponiert. Der Gedanke, hinaufzugehen schien mir so erhaben. Die Vorstellung davon war es, die mir so gefiel. Wie es halt manchmal so ist: Die Vorstellung ist schöner als in echt.

Tief ein- und ausatmen

Dann sind wir hierhergezogen und irgendwann auch hinaufgegangen, auf so einen Berg. Den Namen habe ich vergessen. Die Sonne hat geblendet. Das Vogelgezwitscher war grell. Der Rucksack hat gedrückt. Mein Mann hat tief ein- und ausgeatmet und die Natur genossen. Ich habe sein Lächeln abwesend erwidert und fest darauf gewartet, dass sich bei mir eine Art Verbundenheit einstellt, mit dieser Landschaft hier, mit der Pflanzen- und meinetwegen auch mit der Tierwelt.

Mit jedem Schritt vorwärts habe ich gewartet, dass auch ich so schön tief ein- und ausatmen kann und endlich die Natur genieße. Aber soviel ich auch geschnauft habe, dieses erhabene Gefühl wollte sich einfach nicht einstellen – meine Kehle war so zugeschnürt wie die Wanderschuhe. Das Licht hat in den Augen gestochen, die Luft in den Lungen und das Vogelgezwitscher in den Ohren. Nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt.

Oben angekommen, hat nur die Sonne noch mehr geblendet, von den nackten Felsspitzen unbarmherzig reflektiert, von den noch schneebedeckten Gipfeln in der Grellheit bis aufs Äußerste verstärkt – und an diesem Punkt musste ich feststellen, dass ich Berge furchtbar finde.

Hinabschauen auf die Tragödie

Aber das ist etwas, das darfst du den Leuten hier nicht sagen: dass du ihre Berge nicht magst. Dass du den einen nicht vom andern unterscheiden kannst. Dass du nicht hinaufgehen willst und dich das Hinunterschauen nicht interessiert. Mir ist es völlig gleich, welches Wasweisichhörndl, welcher Dingsbumskogel oder XY-Stein das ist, weil ich ihn eh nicht wiedererkenne, eins ums andere Mal. Weil ich finde, sie schauen alle gleich aus. Alle. Völlig gleich.

Unten waldig, oben steinig, manchmal oben ein Schnee, immer irgendwo ein Kreuz, irgendwo eine Hütte. Wenn ich stehe und in die Ferne schauen will, machen sie mir den Blick eng – immerzu sind sie mir im Weg. Eine einzige Begrenzung rundherum. Wer schaut denn schon gern auf Wände? Da kann einem doch nur das Auge stumpf werden.

Aber sag das einmal den Leuten hier! Dass du keinen Sinn darin siehst, auch keinen höheren, und schon überhaupt gar keinen spirituellen, stundenlang bergauf zu gehen, um schließlich, oben angekommen, nichts anderes zu tun, als hinabzuschauen.

Hinabzuschauen wie die Kühe auf ihren Almen, wiederzukäuen ein Schwarzbrot und eine Hartwurst, wie die Kühe auf ihren Almen ihr Heu wiederkäuen. Und hinabzuschauen worauf? Auf die Tragödie dieser von Bergen beschränkten Landschaft. Und auf Seen, die als dumpfe Löcher zwischen den Steinen liegen, dass man meint, es ziehe einen hinab und hin ein, wie in eine Todessehnsucht, in dieses Wasser, das viel zu kalt ist für jeden vernünftigen Menschen.

In dunklen Höhlen

Wir wohnen jetzt da, wo andere Urlaub machen, sagt mein Mann. Ja, denke ich mir, natürlich wollen die anderen hier im Inneren Salzkammergut nur Urlaub machen. Wer erträgt denn schon diesen Lebensraum auf Dauer? Der praktisch das halbe Jahr im Schatten liegt. Im Schatten dieser riesigen Steine, um die du rundherumfahren musst, wenn du auf die andere Seite willst, oder oben drüber oder gar hindurch: durch einen der Tunnel, die sie hier gebaut haben, weil die Leute es gewöhnt sind, dass sie hineingehen in die Berge, in finstere Schächte, in dunkle Höhlen.

Seit Jahrhunderten sind die Leute hier daran gewöhnt, Löcher hineinzuschlagen in die Steine, kleine Gänge und riesige Hallen hineinzuhauen, und dann hineinzukraxeln in diese solcherart ausgehöhlten Berge, um herauszuholen, was die ganze Gegend hier reich und berühmt macht. Vielleicht nehmen die Leute deshalb dieses Ungemach in Kauf, dass ihnen ständig etwas im Weg liegt und die Sicht nimmt.

Weil es ist ja so, dass diese Berge ja nicht einmal halten, was sie versprechen, keine Ewigkeit und nichts: Ja, sie zerbröseln den Leuten hier vor ihren Augen, oder noch viel schlimmer: unter ihren Tritten, auf ihre Köpfe. Ständig lassen sie Stücke von sich fallen, ganze Steinklötze liegen dann im Weg. Spätestens da müsste man ja eigentlich begreifen, dass das Leben an diesem Ort schlichtweg unmöglich ist.

Die Natur aushalten

Wie man diese Natur überall überhaupt aushalten soll, frage ich mich. Da taucht wie aus dem Nichts der Mörderkater auf und reißt mich aus meinen Gedanken, wie ich da an der Hausmauer lehne, neben der Schaufel in der Sonne, und die Berge – denen das wahrscheinlich herzlich wurscht ist – mit meiner Verachtung strafe.

Er streicht mir um die Beine, schmiegt sich an mich, als ob überhaupt gar nie etwas gewesen wäre! Als hätte er nicht heute schon wieder einen umgebracht! Unsanft schiebe ich ihn mit dem gummibestiefelten Fuß zur Seite und stoße dabei versehentlich die Schaufel um. Es macht einen ordentlichen Krach, den die Berge von allen Seiten zurückschallen lassen – es klingt, als würden sie mich auslachen.

Die Berge erschlagen mich

Nein, so habe ich mir das nicht vorgestellt. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich in einem Hochbeet alle Pflanzen verrecken lasse. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich eine Amselleiche unter einem Zwetschgenbaum begrabe und dabei nichts fühle. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass ich dem davoneilenden Kater die Schaufel auch noch nachschmeiße. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass die Berge mich erschlagen mit ihrem bloßen Anblick auf Dauer.

Ich werde das alles meinem Mann sagen müssen. Ich kann hier nicht leben. Ich habe mir das so nicht vorgestellt. Er wird die Berge einstampfen müssen. Er wird den Kater wegbringen, den Zwetschgenbaum umschneiden, die Hochbeete zubetonieren und den Garten asphaltieren müssen. Er wird mir eine Stadt bauen müssen. (Magdalena Stammler, ALBUM, 18.6.2022)