Kryptowährungen und die klassische Finanzbranche, das ist – gelinde gesagt – nicht immer ein einfaches Verhältnis. Umso mehr sorgte die Börse Stuttgart für Aufsehen, als man 2019 mit einer App namens Bison den Handel mit Bitcoin und anderen Kryptoassets ermöglichte. Dabei fiel immer wieder ein Name: Ulli Spankowski, Chief Digital Officer der Börse Stuttgart. Knapp drei Jahre nach dem Start des Projekts erzählt er dem STANDARD nun im Interview, wie sich Bison im Markt behauptet hat – und wie er auf die gängigen Kritikpunkte gegenüber Kryptowährungen reagiert.


STANDARD: Die Börse Stuttgart war 2019 eines der ersten klassischen Finanzinstitute, die Handel mit Kryptowährungen angeboten haben. Warum haben Sie sich dazu entschieden?

Spankowski: Wir haben das gemacht, weil wir in den Jahren davor gesehen haben, dass Kryptozertifikate immer mehr Handelsvolumen bei uns generiert haben und das Interesse von Privatanlegern entsprechend vorhanden war. Gleichzeitig wiederum hatten wir als Börse aber keinen direkten Kundenzugang. Wir waren als Börse darauf angewiesen, dass die Bank die Orders zu uns schickt. Ich habe damals die Digitalstrategie entworfen und festgestellt, dass die Krypto-Handelsmöglichkeit mit der Bison-App uns als Börse den direkten Zugang zum Kunden ermöglicht.

STANDARD: Damit stehen Sie auch in Konkurrenz zu klassischen Online- und Mobile-Brokern, oder?

Spankowski: Wir sind nicht in direktem Wettbewerb, denn wir bieten Kryptowährungen an – was sie wiederum nicht tun. Im Gegenteil: Wir haben zuletzt eine Partnerschaft mit Flatex verkündet. Die wollen mit uns zusammenarbeiten, um ihr Angebot zu komplementieren.

STANDARD: Wie stark wird Ihr Angebot mittlerweile genutzt?

Spankowski: Wir haben knapp drei Jahre nach dem Start mittlerweile über 650.000 aktive Nutzer auf der App. Das Interesse an der Assetklasse Kryptowährungen ist enorm, und das sehen wir auch über diese rapiden Wachstumszahlen.

"Unsere Kunden sind keine Zocker, keine 20-jährigen Kryptokiddies – sie wollen investieren, und dafür bieten wir ihnen die Plattform."
Foto: Bison

STANDARD: Globale Studien besagen, dass Krypto-Investoren eher junge, gebildete, weiße Männer mit höherem Einkommen sind. Wie sieht der typische Krypto-Investor bei Ihnen aus?

Spankowski: Unsere Kundschaft ist hauptsächlich männlich. Das ist auch bei klassischen Anlageklassen nicht untypisch. Das Finanzthema ist in Europa eher ein Männerthema. Allerdings gibt es bei Bison eine interessante Beobachtung: Wir haben die App eigentlich für Millennials zwischen 25 und 35 Jahren entwickelt, die App ist sehr jung, wir duzen. Die Idee war, eine neue Anlegerschaft zu gewinnen, die dann mit uns wächst. Fakt ist aber, dass der Großteil unserer Kunden zwischen 35 und 65 Jahre alt und eher wohlhabend bis sehr wohlhabend ist sowie eher große Investmentpositionen bei uns fährt.

STANDARD: Warum ist das so?

Spankowski: Wir erklären uns das über das Vertrauen in die traditionelle Marke der Börse Stuttgart, die hinter der App steht. Sie nimmt dem Kunden die Angst vor der Assetklasse und vor Bedenken, wie dass Bitcoin illegal ist beziehungsweise nur für Geldwäsche und Drogen eingesetzt wird. Diese Vorurteile stimmen ohnehin nicht, denn die Blockchain ist für Strafverfolgungsbehörden wesentlich transparenter nachzuverfolgen als Bargeld. Im Jahr 2020 machten die illegalen Transaktionen 0,15 Prozent der Krypto-Transaktionen aus, im Vergleich zu drei bis sechs Prozent im Bargeldbereich. Abgesehen davon haben wir die Lösung für den Endkunden technisch so einfach wie möglich gestaltet.

"Ich finde nicht, dass Regulierung verhindert und schadet."

STANDARD: Wenn ein so großes, etabliertes Finanzinstitut auf eine so unregulierte Assetklasse trifft ... in a nutshell: Welche Regularien mussten Sie einhalten, damit Sie das anbieten können?

Spankowski: Alle. Und das ist der Riesenvorteil: Wir sind mit mehreren Partnerfirmen an dem Angebot dran, und wir stecken zu 100 Prozent in der Regulierung, die es damals gab und die es jetzt gibt. Und wir wollten auch explizit alle Lizenzen und alles, was zum Einhalten des Produktangebots notwendig ist, haben. Denn nur so kann man das seriös und massenmarkttauglich anbieten. Ich finde nicht, dass Regulierung verhindert und schadet: Regulierung ist der Schlüssel, dass Kunden kommen, weil sie ein vertrauenswürdiges Angebot wollen, und das kriegen sie über Regulierung. Ich finde auch, dass auch alle anderen Anbieter sich daran halten sollten.

STANDARD: Das Konzept von Bison erinnert aber schon stark an Trading-Apps wie Robin Hood – die in der Kritik stehen, weil sie durch die Gamifizierung von Finanzthemen zum leichtsinnigen Zocken verleiten. Wie schützen Sie die Menschen vor sich selbst?

Spankowski: Wir haben uns ganz bewusst beim Set-up von Bison entschieden, kein Gaming und keine Spiele zu machen. Wir haben lediglich eine Demoversion der App, die mit Nicht-Echtgeldhandel funktioniert: Da bekommen Sie 50.000 virtuelle Euro und können die ganze App damit ausprobieren. Der Kunde soll bei uns aber bewusste Entscheidungen treffen. Das beginnt schon damit, dass man laut Gesetzesvorgabe bei Krypto – im Gegensatz zu klassischen Investments – keine Risikohinweise braucht. Wir haben uns aber entschieden, trotzdem Risikohinweise zu machen: Es gibt genaue Erklärungen zu jeder Assetklasse, und die sollte man sich auch durchlesen – denn das Risiko bei Kryptowährungen kann bis zum Totalverlust führen. Dessen muss sich jeder Anleger bewusst sein, und uns ist es wichtig, dass die Menschen das verstehen. Sie sollen keine Kredite für Krypto-Investments aufnehmen, sondern ihr Portfolio diversifizieren. Das passt auch zu Ihrer Frage mit der Zielgruppe: Unsere Kunden sind keine Zocker, keine 20-jährigen Kryptokiddies – sie wollen investieren, und dafür bieten wir ihnen die Plattform.

Die App adressierte ursprünglich Millennials, nun ist die Community deutlich älter.
Foto: Bison

STANDARD: Ein paar Fragen zum Markt per se. Nehmen wir mal an, der Markt wird nicht stärker reguliert. Kann man annehmen, dass nach dem Desaster um Terra/Luna Altcoins tot sind und die Krypto-Zukunft dem Bitcoin alleine gehört?

Spankowski: Das glaube ich nicht. Natürlich ist diese Situation für die "True-Bitcoin-Believer" das gefundene Fressen. Vor sechs Monaten hat man aber genau das Gegenteil gesagt: Damals haben die Altcoiner gesagt, dass Bitcoin ein Auslaufmodell ist, bei dem kaum noch Weiterentwicklung passiert. Ich glaube, dass beide Bereiche ihren Anwendungssinn haben. Als ich ein Kind war, waren "Knight Rider" und "Raumschiff Enterprise" meine Lieblingsserien. Heute haben wir Apple Watches und Teslas, und jeder hält ein Handy in der Hand – was früher Science-Fiction war, ist heute Standard. Und das gilt auch für die Blockchain: Jeder glaubt, wir wären am Ende, aber wir sind erst am Anfang. Wir werden neue Geschäftsmodelle sehen, das Aufkommen des Metaverse, Play-to-earn für Tokens. Das alles wird mit Tokens laufen, die man auch tauschen kann, und das wird auf der Blockchain passieren. Und da haben die Altcoins ihre Daseinsberechtigung.

"Ich würde ehrlich gesagt eher auf NFTs als auf Sparbücher setzen."

STANDARD: Man muss aber auch sagen: Es gibt noch keine in der Masse genutzten Token-Anwendungen, und die NFT-Blase platzt gerade.

Spankowski: Es gibt weniger Nutzer von NFTs in Europa, als es Besitzer von Sparbüchern gibt – aber ich würde ehrlich gesagt eher auf NFTs als auf Sparbücher setzen. Bei NFTs habe ich zwar ein viel höheres Risiko, aber beim Sparbuch habe ich Gewissheit, dass mit der aktuellen Geldpolitik mein Geld weniger wert wird.

STANDARD: Aber was uns immer versprochen wurde – etwa Carsharing-Services über Smart Contracts auf der Blockchain – sehe ich einfach noch nicht im österreichischen Massenmarkt.

Spankowski: Das ist in Deutschland auch nicht anders. Ich bin im Advisory Board eines Unternehmens, das genau das macht: Mobility Services auf der Blockchain. Das ist aber alles erst am Anfang. Und wir unterschätzen, dass solchen technischen Prozesse länger brauchen, bis sie in den Geschäftsprozessen und in den Köpfen der Menschen ankommen. Ich habe 2017 gesagt, dass wir bald Autos und Wohnungen tokenisieren werden. Aber das war vor 2021 in Deutschland allein aus rechtlichen Gründen nicht möglich, dafür musste sich zuerst die Gesetzeslage ändern. Die technologische Entwicklung ist viel schneller als die prozessuale und sozioökonomische, die damit einhergeht.

"Viele sagen, dass Bitcoin dazu führen kann, dass mehr erneuerbare Energien produziert werden."

STANDARD: Noch mal zum Thema Altcoins. Der größte Kritikpunkt am Bitcoin ist der hohe Energieverbrauch durch Proof-of-Work. Es gibt aber auch Coins, die auf Proof-of-Stake setzen. Spricht das nicht im Endeffekt für die Altcoins?

Spankowski: Ich glaube, dass das Energiethema in Zukunft für die Investoren wichtiger wird, weil es auch politisch getrieben ist. Gerade in Bezug auf Bitcoin muss man auch sagen, dass Energieverbrauch und CO2-Ausstoß zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Insbesondere in Europa haben wir eine 50-prozentige Mining-Kapazität, die auf regenerativen Energien basiert. Warum? Weil die Kilowattstunde irgendwo unter sechs Cent liegen muss, um sinnvoll minen zu können. In Deutschland kostet eine Kilowattstunde vom Energielieferanten rund zehn Cent – es ist also nicht logisch, mit Strom aus der Steckdose zu minen. Daher geht man auf günstigere Energiequellen. Und das sind Energien, die produziert werden, wenn sie weniger gebraucht werden, und für die es dann einen Überschusspreis gibt: Wind weht nachts, Wasser fließt nachts – die meisten von uns schlafen aber nachts. Während also Energie produziert, aber nicht verbraucht wird, müssen die Leistungsspitzen entweder teuer gespeichert werden. Oder sie werden genutzt, um zu minen. Viele sagen also, dass Bitcoin dazu führen kann, dass mehr erneuerbare Energien produziert werden: Nachts wird damit gemined, tagsüber wird die Energie anderweitig genutzt.

STANDARD: Aber es gibt auch Länder, die erneuerbare Energien nicht so stark fördern wie wir in Europa. Und dort wird auch gemined.

Spankowski: Absolut. Aber als zweiten Punkt muss man sagen, dass es auch das Lightning Network gibt, das mittlerweile über 80 Millionen Nodes hat und sich immer mehr ausbreitet. Bei diesem kann man die Transkationen mit extrem geringem Energieaufwand fahren. Außerdem ist die Frage, ob man Bitcoin irgendwann (auf Proof-of-Work, Anm.) umstellen kann. (Stefan Mey, 18.6.2022)