Abwägen, taktieren, tricksen. Die politische Realität in "Borgen" hat viel Ähnlichkeit mit der österreichischen Politik. Bild: Sidse Babett Knudsen als Außenministerin Birgitte Nyborg.

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Medien- und Kommunikationsberaterin Heidi Glück sah alle Folgen von "Borgen".

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Noch nie war Politik in der dänischen Serie "Borgen" ein so schmutziges Geschäft wie in der neuen vierten Staffel. Die jetzige Außenministerin Birgitte Nyborg kämpfte einst für ihre Ideale, Umwelt und Chancengleichheit. Jetzt geht sie auf Tricks und Deals ein, nur um des eigenen Machterhalts willen.

Heidi Glück hat die vierte Staffel von "Borgen" verschlungen. "Spannend von der ersten Minute", erlebte die Kommunikationsberaterin die Politserie. Vor allem, weil Glück einen Einblick hat, wie es in der Politik hinter den Kulissen läuft. Glück war elf Jahre in politischen Kabinetten tätig, unter anderem als Sprecherin von Wolfgang Schüssel (ÖVP).

Grund genug, die Expertin für strategische Kommunikation zu fragen:

STANDARD: Man sagt, "Borgen" sei nahe an der Realität politischer Willensbildung. Können Sie das bestätigen?

Glück: Manches ist verkürzt. Die Serie erzählt, Frau Nyborg überlegt sich etwas, bespricht es mit zwei, drei Leuten, und dann zieht sie das durch. So einfach ist es natürlich nicht. Aber an anderen Stellen ist die Serie sehr nah an der Realität, wenn es zum Beispiel um unerwartete Schwierigkeiten geht, wie man reagiert. Der internationale Konflikt mit den Botschaftern und deren Interessen und wie man diese Dinge angeht – da ist es sehr wohl realistisch.

STANDARD: Welche Politikerin in Österreich hat für Sie die größte Ähnlichkeit mit Birgitte Nyborg?

Glück: Schwierige Frage.

STANDARD: Die Justizministerin Alma Zadić?

Glück: Ich denke an die grüne Klubchefin Sigi Maurer. Wenn es darum geht, Idealismus mit Pragmatik zu verbinden, den Ausgleich von Interessen auch in der eigenen Fraktion zu schaffen und in diesem Dilemma einen Weg zu finden, der gerade noch ausreichend ist, damit die ganze Geschichte nicht kippt – das ist für mich Sigi Maurer. Wie Nyborg kommuniziert Maurer sehr gut, sie schafft es, ihre Botschaften zu platzieren. Sie manövriert professionell und pragmatisch, erweckt aber trotzdem nicht den Eindruck, dass sie die Ideale der Partei verrät, nur um in der Regierung zu bleiben.

STANDARD: In der Anfangsszene gibt Nyborg eine Pressekonferenz, zu der keine Journalistinnen kommen, weil die Premierministerin ihrerseits kurzfristig eine angesetzt hat und die Rivalin aussticht. Das ist ein großer Ärger.

Glück: Das ist ein ganz großer Ärger, weil das wäre natürlich vorab zu klären.

STANDARD: Es geschah ja mit Absicht. Haben Sie eine ähnliche Situation jemals erlebt?

Glück: Wenn ich nicht absichtlich einen Konflikt auf Regierungsebene provozieren will, dann mache ich das nicht. Ich kann ausschließen, dass das in der Zeit meiner Rolle als Koordinatorin stattgefunden hat. Wo es sehr wohl stattfindet, ist, wenn die Opposition eine Pressekonferenz ansetzt. Da kann ich mich an eine Situation sehr gut erinnern. Das war im Wahlkampf 2006, als der SPÖ-Spitzenkandidat Alfred Gusenbauer eine ORF-"Pressestunde" hatte und wir uns überlegten, wie wir diese "Pressestunde" eine Woche vor der Nationalratswahl konterkarieren könnten. Ich war damals Pressesprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, und die beiden waren die Kontrahenten. Und so habe ich eine Pressekonferenz zeitgleich zur Ausstrahlung der "Pressestunde" mit Gusenbauer angesetzt, in der Wolfgang Schüssel mit Karl-Heinz Grasser die Finanzpolitik der nächsten vier Jahre präsentierte. Es geht ja letztlich um die "ZiB 1". Welche Botschaft kommt am Abend in der "ZiB 1", mit damals um die eineinhalb Millionen Zuschauern? Innerhalb einer Regierung macht man so etwas in der Regel allerdings nicht.

STANDARD: In "Borgen" geht es dieses Mal noch mehr als früher um Taktik, Strategie und Parteikalkül, letztlich ist es ein beinharter Machtkampf. Wie viel Prozent nimmt der Machtkampf im Alltag eines österreichischen Spitzenpolitikers ein im Vergleich zur Sachpolitik?

Glück: Es ist die Frage, ob man darüber öffentlich reden soll. Ich würde sagen, dass dieser Anteil nicht zu unterschätzen ist. Blenden wir vielleicht ein bisschen zurück. Von der Regierung mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner weiß man heute sehr genau, dass Sebastian Kurz als Außenminister (beide ÖVP) sehr stark Druck gemacht hat. Das war ein Machtkampf. Es gehört aber auch zu den Leadership-Qualitäten eines Regierungschefs, gewisse Dinge mitzubedenken. Er ist ja Teamchef. Eine Regierung ist ein Team, auch wenn in einer Koalition zwei unterschiedliche Parteien vertreten sind. Trotzdem muss die Regierung öffentlich als Einheit auftreten. Da musst du schauen, dass alle ihre Rolle auch ausleben können, und dazu braucht es hinter den Kulissen eine gewisse Fähigkeit, das zu dirigieren. Es gibt immer wieder Konflikte, auch innerhalb derselben Partei. Ob das jetzt Eifersüchteleien sind oder fachliche Abgrenzungen. Das zeigt die Serie sehr gut.

STANDARD: Einer der Schlüsselmomente dieser Staffel ist die Szene, in der der Senderchef des nationalen Broadcasters die Nachrichtenchefin drängt, eine negative Story über die Premierministerin nicht zu bringen. Der Grund dafür: Die Verteilung der Medienförderung steht an. Wie realistisch ist das?

Glück: Ich weiß es nicht. Dass interveniert wird, dass versucht wird, Einfluss zu nehmen vonseiten der Politik, wird wahrscheinlich in jedem Land ähnlich sein. Da geht es letztlich um die Frage: Wer gibt nach? Wer bleibt bei seinen Prinzipien?

STANDARD: Beruf und Privatleben sind für die Politikerin Nyborg praktisch unvereinbar. Ist das etwas, das Sie auch beobachten?

Glück: Ja, ich glaube, das betrifft Frauen mehr, aber auch Männer.

STANDARD: Vordergründig stellt sich das so gar nicht dar. Es wimmelt von strahlenden Staatsmännern und -frauen mit glücklickem Familienleben Gibt es dann im Hintergrund nur unglückliche Beziehungen unter Politikerinnen und Politikern?

Glück: Man müsste sich die Statistik anschauen. Wie viele Ehen halten das aus? Ich glaube, dass der Beruf eine enorme Belastung ist. Und dass es sehr viel Verständnis vom jeweiligen Partner oder der jeweiligen Partnerin für diese Funktion braucht.

STANDARD: Wir sehen in "Borgen" eine Außenministerin in den Wechseljahren. Reden Politikerinnen darüber?

Glück: Das ist sicher ein Tabu. Vielleicht spricht die Ministerin mit ihrer Kabinettschefin darüber oder mit ihrer Pressesprecherin. Und das hängt sehr davon ab, wie eng das Vertrauensverhältnis ist. In der Serie ist es gut dargestellt, weil es ist ein Thema, da es genau die Zeit ist, in der die meisten Frauen in der Spitzenpolitik sind. Was machst du, wenn du plötzlich einen Schweißausbruch mitten in einer Livesendung kriegst? Es ist das Menschliche, das dazugehört und das Ganze sicher nicht leichter macht.

STANDARD: Angenommen, Sie dürften ein Drehbuch für eine Serie über die österreichische Politik schreiben. Wie würde das aussehen?

Glück: Ich würde einfach "Borgen" abschreiben und andere Namen einsetzen. (Doris Priesching, 19.6.2022)