Kenia hat ein Schuldenproblem. Kein dramatisches: Das ostafrikanische Land gehört nicht zu den hochverschuldeten Armutsstaaten, die internationalen Finanzexperten derzeit graue Haare wachsen lassen. Doch Kenia hat sich teure chinesische Infrastrukturmaßnahmen wie den Bau einer neuen Eisenbahnstrecke geleistet: Diese haben die Schuldenlast auf 70 Milliarden Euro, knapp 70 Prozent des Bruttoinlandprodukts, in die Höhe getrieben.

Diejenigen Kenianer, denen es angesichts solcher Zahlen mulmig wird, können bald etwas dagegen tun. Sie können ihre Stimme bei den Wahlen am 9. August George Wajackoyah geben, der ein Rezept gegen die wachsende Schuldenlast gefunden haben will – und zwar Schlangengift und Marihuana. Ein 90 Kilogramm schwerer Sack mit Marihuana" bringe in Kenia 3,3 Millionen Euro ein, rechnet der wahlkämpfende Anwalt vor: Schon 2.000 Säcke "Ganja" könnten das Schuldenloch stopfen.

Schlangengift soll Kenias Schuldenlast senken.
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Milliardenmarkt Schlangengift

An Wajackoyahs Rechnung ist zwar so gut wie alles falsch: Für ein Kilo Marihuana 35.000 Euro einzustreichen, davon können Kenias Cannabis-Bauern nur träumen. Und selbst wenn es so wäre, bräuchten sie 20.000 und nicht 2.000 Säcke, um das Schuldenloch zu stopfen. Es sei denn, der Anwalt hat bereits die zweite Einnahmequelle mit eingerechnet: das Schlangengift. Das soll in Schlangenfarmen gewonnen werden, die das Land bald überziehen könnten: Das Vipern- und Mamba-Gift soll der Herstellung von Seren und Arzneimitteln gegen Schlangenbisse dienen und könnte pro Gramm bis zu 120 Euro einbringen – falls diese Angaben des Anwalts nicht ebenfalls aus der Luft gegriffen sind.

Richtig ist, dass der Weltmarkt für Schlangengiftserum jährlich mehr als eine Milliarde Euro ausmacht und in den kommenden fünf Jahren auf 1,5 Milliarden wachsen soll. Den Löwenanteil sacken allerdings wie üblich die Pharmakonzerne ein. Der Weltmarkt für Marihuana soll in den nächsten fünf Jahren sogar auf 70 Milliarden Euro steigen: Anwalt Wajackoyah gehen da die Augen über. "Wir Kenianer werden dermaßen reich, dass wir nur noch vier Tage die Woche arbeiten müssen", sagte der Präsidentschaftskandidat jüngst im Privatsender Citizen TV.

Schmutzige Politik

Seine fehlerhafte Weitsicht gefährdete Wajackoyahs Kandidatur fürs höchste Amt nicht – im Gegensatz zu Reuben Kigame, den die Wahlkommission kürzlich kurzerhand vom Rennen ausschloss. Der ehemalige Lehrer habe die Anmeldungsfrist nicht eingehalten, hieß es offiziell. Doch in Wahrheit hatte ihn die Kommission dermaßen erfolgreich von Kreti zu Pleti gehetzt, dass er schließlich zu spät dran war. Der eigentliche Grund für die Bedenken der Kommissionsmitglieder: Kigame ist blind – und für einen Blinden sei das höchste Amt im Staat nicht geeignet. Wie könne Kigame etwa die Parade eines Ehrenbataillons abnehmen?

Dabei hatte der landesweit bekannte Soulsänger und Politaktivist sämtliche Voraussetzungen für seine Kandidatur erfüllt: 48.000 Unterschriften gesammelt, umgerechnet 1.600 Euro Anmeldegebühr bezahlt und auf die Verfassung verwiesen, welche die Diskriminierung von Behinderten ausdrücklich verbietet. Nun will der Volksheld sein Recht vor Gericht erstreiten. Man habe ihm ständig davon abgeraten, in die Politik zu gehen, erzählt der gläubige Christ: "Die Politik sei für mich zu schmutzig, sagte man mir." Doch genau das sei der Grund seines Engagements, fügt Kigame hinzu: "Die Politik muss unbedingt gesäubert werden." (Johannes Dieterich, 17.6.2022)