Kunstdünger hat die Menschheit groß gemacht. Nun gefährden Engpässe und hohe Preise die Ernährungssicherheit.

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Wenn Sie glauben, dass Ihnen nur Ihre Eltern das Leben geschenkt haben, dann haben Sie vielleicht noch nicht Bekanntschaft mit den Herren Fritz Haber und Carl Bosch gemacht. Vor über 100 Jahren machten die beiden deutschen Chemiker eine bahnbrechende Entdeckung: Sie synthetisierten aus dem Stickstoff in der Luft und Erdgas Ammoniak, welches wiederum der wichtigste Bestandteil von Stickstoffdünger ist. Dieser katapultierte die Landwirtschaft in neue Höhen – und mit ihr die Weltbevölkerung. Forschende schätzen, dass jeder zweite Mensch, der heute lebt, sein Dasein dem Haber-Bosch-Verfahren zu verdanken hat.

Doch sosehr die Erfindung die Menschheit auch veränderte, so sehr bringt sie diese jetzt in die Bredouille. Die Preise für Stickstoffdünger sind in den letzten Monaten geradezu explodiert. Derzeit kostet Kalkammonsalpeter mehr als doppelt so viel wie noch vor einem Jahr, im April musste man sogar kurzfristig das Vierfache hinblättern. Der Grund: Der Gaspreis macht bis zu 90 Prozent der Produktionskosten von Stickstoffdünger aus. Und er geht aufgrund des Krieges in der Ukraine bekanntlich durch die Decke.

Drohende Hungerkrise

Viele können sich den Dünger nun nicht mehr leisten. Das International Fertilizer Development Center, das sich für besseren Zugang zu Düngemitteln im globalen Süden einsetzt, schätzt, dass in diesem Jahr in Afrika um ein Drittel weniger Lebensmittel produziert werden. Der Krieg in der Ukraine könnte in Afrika mehr Menschenleben kosten als im Kriegsgebiet selbst, fasste ein Mitarbeiter des Instituts die Situation in einem Beitrag bitter zusammen. Doch auch in Europa und den USA schwenken viele Landwirte auf Pflanzen um, die weniger Dünger benötigen, etwa Sojabohnen. Auch Gülle, mit der Bauern lange nicht wussten wohin, ist nun eine begehrte Alternative zum Kunstdünger.

Auf die Schnelle lösen lässt sich die Krise nicht. Zumindest auf der Produktionsseite ist das energiefressende Haber-Bosch-Verfahren derzeit noch alternativlos. Zwar wird eifrig daran geforscht, Dünger nachhaltiger herzustellen, etwa aus grünem Wasserstoff. Doch bis die 150 Millionen Tonnen Ammoniak, die derzeit jährlich gewonnen werden, ohne Erdgas produziert werden können, werden wohl noch ein paar Krisen vergehen.

Unter anderem in Griechenland gingen Bauern bereits gegen hohe Düngemittelpreise auf die Straße.
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Ganz ohne Kunstdünger wird es nicht gehen, zumindest nicht vom einen Tag auf den nächsten. Genau das versuchte Sri Lanka – und verbot 2021 im gesamten Land chemische Düngemittel und Pestizide. Nachdem die Ernte bei Reis und Tee, wichtigen Exportgütern, um bis zu 40 Prozent eingebrochen war, nahm die Regierung das Verbot zurück.

Eine Option wäre, einfach weniger von den teuer gewordenen Mitteln zu verwenden. Oft werden Düngemittel nämlich immer noch nach dem Prinzip "Viel hilft viel" aufgetragen. Wird mehr Dünger ausgebracht, als notwendig wäre, verunreinigt das nicht nur Gewässer, sondern es entsteht auch Lachgas, das die Atmosphäre rund 300-mal stärker erwärmt als CO2.

Weniger Dünger, mehr Ertrag

Dass weniger Dünger nicht unbedingt zu Einbußen führen muss, zeigt eine Langzeitstudie, die Forschende von 2005 bis 2015 mit 21 Millionen kleinbäuerlichen Betrieben in China durchgeführt haben. Am Ende der Periode konnten sich die Landwirte nicht nur um zehn Prozent höherer Erträge erfreuen, sondern verbrauchten gleichzeitig um ein Sechstel weniger Stickstoffdünger. Eine Win-win-Situation.

Dass überhaupt so viel Dünger ausgebracht wird, hat auch damit zu tun, dass er vielerorts subventioniert wird. Was ursprünglich eine Maßnahme war, um die Landwirtschaft nach den Weltkriegen anzukurbeln, ist heute oft überflüssig. Staaten, in denen zu viel Dünger auf den Feldern landet, wären daher gut beraten, die Subventionen zu senken, schlussfolgern Forschende der ETH Zürich. Gleichzeitig sollte der Einsatz dort gefördert werden, wo noch kaum gedüngt wird – etwa im Afrika südlich der Sahara.

Aber es ist nicht nur Stickstoffdünger, der Probleme bereitet. Nebe Kaliumdünger ist Phosphor einer der wichtigsten Pflanzennährstoffe – und der ist im Gegensatz zum Stickstoff knapp. Der Großteil des Phosphats wird in einigen wenigen Minen in China, den USA, Marokko und Russland geschürft, die zusammen drei Viertel des Marktes dominieren. Die Reserven könnten schon in 50 bis 100 Jahren aufgebraucht sein – manche Expertinnen und Experten sprechen schon von "Peak Phosphor" im Jahr 2030. China hat im vergangenen Jahr bereits einen Exportstopp für Phosphordünger verhängt und so die Preise in die Höhe getrieben.

Phosphor ist eine knappe Ressource. Kläranlagen könnten ihn recyclen.
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Auch Phosphor wird auf den Feldern oft verschwenderisch eingesetzt: Für jedes Gramm des lebenswichtigen Elements, das im Essen steckt, landen vier Gramm auf den Äckern. In China ist das Verhältnis sogar eins zu 13.

An Phosphor selbst mangelt es trotz der begrenzten Vorkommen dabei gar nicht. Diese würden eigentlich reichen, um dauerhaft Lebensmittel für die vierfache Weltbevölkerung anzubauen, ist eine 40-köpfige Forschungsgruppe überzeugt, die vergangene Woche den Bericht "Our Phosphorus Future" veröffentlicht hat. Die Ressource müsste nur effizienter eingesetzt werden.

Blick in den Abfluss

Potenzial sehen die Expertinnen und Experten etwa im Recycling: Wenn Menschen Phosphor durch die Nahrung zu sich nehmen, scheiden sie einen Teil davon wieder aus. Früher wurden menschliche Fäkalien direkt auf die Felder ausgebracht – das wäre wegen Rückständen heute zu gefährlich. Mancherorts wird bereits versucht, den wertvollen Rohstoff aus Exkrementen herauszuholen. In Deutschland müssen Kläranlagenbetreiber ab 2029 den Phosphor aus dem Abwasser zurückgewinnen, auch um das Land weniger abhängig von Importen zu machen.

Um den Phosphor, der bereits in den Böden ist, nutzbar zu machen, könnten außerdem Zwischenfrüchte angepflanzt werden, die den Rohstoff aus tieferen Erdschichten an die Oberfläche holen – das wird bereits im Biolandbau praktiziert. Auch wer weniger Fleisch isst, spart Phosphor: Eine vegetarische Ernährungweise verbraucht nur die Hälfte des Pflanzennährstoffs. Nicht zuletzt empfehlen die Expertinnen und Experten auch, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen: Denn mit jedem Kilogramm Essen, das verlorengeht, geht auch ein wenig des immer wertvoller werdenden Elements Phosphor verloren. (Philip Pramer, 20.6.2022)