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Am Wahlabend 2019 freuten sich der damalige Generalsekretär Karl Nehammer (ganz rechts) und Bundesgeschäftsführer Axel Melchior (2. von rechts)

Foto: Picturedesk/Schneider

Bei diesen Summen kann man schon einmal den Überblick verlieren: Eine halbe Million Euro konnte die ÖVP im Wahlkampf 2017 kurzzeitig "nicht zuordnen", offenbar war bei der Verbuchung zwischen Konten bei zwei Banken etwas durcheinandergeraten. Konsequenzen hatte das keine, aber die Episode steht symptomatisch für das Finanzgebaren der ÖVP: Es flossen sehr hohe Summen, und der Umgang damit war teils erstaunlich.

Heute, fünf Jahre nach dem Vorfall und auch fünf Jahre nach Beginn der Ära Kurz, steckt die ÖVP wegen ihrer Finanzen tief in der Bredouille. Der Rechnungshof stellte dem Rechenschaftsbericht der Partei für 2019 ein vernichtendes Urteil aus und schickte der ÖVP die Wirtschaftsprüfer ins Haus. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in einigen Affären, ein U-Ausschuss prüft mutmaßliche ÖVP-Korruption.

Das Team rund um Sebastian Kurz hat hoch gepokert, als es die Partei übernommen hat – und noch lange wird offenbleiben, wie schlimm es sich verzockt hat.

Als der damalige Außenminister im Mai 2017 zum neuen Parteichef gekrönt wurde, hatte er bereits einen ausgefeilten Plan im Gepäck: das legendäre "Projekt Ballhausplatz". Im echten Leben sind es knapp 160 Schritte vom Außenamt am Minoritenplatz bis zum Kanzleramt am Ballhausplatz, im politischen Leben des Sebastian Kurz waren es sechzig. Für diese Geschichte besonders wichtig ist Schritt acht: "Finanzen abklären". Diese Aufgabe fiel "AM" zu, also Axel Melchior. Er sollte den "Status quo erheben, Sponsoren identifizieren" und "Crowdfunding-Projekte" erarbeiten.

Politisches Mäzenatentum

Bei der mehr oder minder freiwilligen Übergabe der Bundespartei von Reinhold Mitterlehner (ÖVP) an Kurz im Mai 2017 soll es unter den neuen Türkisen dann lange Gesichter gegeben haben: Die Partei soll ein negatives Eigenkapital von 3,9 Millionen Euro ausgewiesen haben. Damit unterschied sich die ÖVP zwar nicht sonderlich von ihren Rivalen, den Plänen des Team Kurz habe das aber einen Strich durch die Rechnung gemacht, erzählt ein Involvierter. Denn die "neue ÖVP" wollte den größten Wahlkampf aller Zeiten hinlegen und Kurz als überragenden Wahlsieger ins Kanzleramt bringen.

Dass die ÖVP Geld nicht mit beiden Händen ausgeben kann, war schon vorher bekannt. Deshalb setzte man im Projekt Ballhausplatz auf Spenden. Schon im Sommer 2016, als Mitterlehner eigentlich noch fest im Sattel saß, soll Unternehmer Siegfried Wolf ein erstes "Fundraising-Event" für Kurz veranstaltet haben. Laut einem Whistleblower rechnete die ÖVP im Frühsommer 2017 damit, satte 7,2 Millionen Euro an Spenden lukrieren zu können. Vorbild seien US-Wahlkämpfe und das dortige Polit-Mäzenatentum gewesen, sagt jemand, der bei den Planspielen dabei war.

Besonders im Ibiza-U-Ausschuss wurde deutlich, wie das ging: KTM-Chef Stefan Pierer, im Wahljahr 2017 mit 436.000 Euro größter Spender, wurde von Kurz persönlich bezirzt. Es gab Frühstücke mit Unternehmern und Formulare für Großspender. Sie erhielten eine Kontonummer bei der Raiffeisen Bank International (RBI): "Das Konto lautet auf den Namen ‚Österreichische Volkspartei Bundespartei‘, als Verwendungszweck würden wir Sie bitten, ‚Unterstützung‘ anzugeben".

Einiges klappte bei der Spendenakquise, vieles nicht. Geht man nach den internen Unterlagen zum Projekt Ballhausplatz, deren Authentizität die ÖVP stets infrage gestellt hat, erhoffte sich das Team Kurz viel Geld von Milliardären wie Red-Bull-Eigentümer Dietrich Mateschitz, dem Unternehmer René Benko oder vom damaligen Erste-Group-Chef Andreas Treichl. Überwiesen wurde von ihnen: nichts. Vor allem Manager börsennotierter Unternehmen zögerten, sagt ein Insider – sie hätten die Spende ihren Aktionären erklären müssen.

"Ziemlich triste" Lage

Auch vom Glücksspielkonzern Novomatic, der lange im Zentrum der Ibiza-Ermittlungen stand, wurde zumindest bislang noch keine Spende an die ÖVP entdeckt. In Chats beurteilten der damalige Novomatic-Chef Harald Neumann und ein Mitarbeiter nach einer Frühstücksrunde mit Kurz die Lage als "ziemlich trist". Der neue ÖVP-Chef habe "die Finanzierung der Bundespartei vergessen", glaubte der Manager.

Intern sollen jedenfalls Wahlkampfkosten in der unzulässigen Höhe von 14 Millionen Euro budgetiert gewesen sein, dazu noch 1,3 Millionen für Veranstaltungen. Damit sich das ausgeht, sollte noch ein Kredit in der Höhe von zehn Millionen Euro aufgenommen werden. Dieser betrug letzten Endes sogar 15 Millionen Euro, wie der Rechenschaftsbericht 2017 ausweist. Das lag wohl daran, dass das Spendenaufkommen zwar größer als je zuvor war, aber trotzdem nicht reichte: Statt der erhofften 7,2 Millionen flossen nur knapp drei Millionen Euro an die ÖVP.

Grafik: Fatih Aydogdu

Bei wem Parteien zu welchen Konditionen welche Kredite aufgenommen haben, blieb bisher mit dem Hinweis auf das Bankgeheimnis geheim – laut dem Entwurf zum neuen Parteiengesetz soll das künftig zumindest der Rechnungshof erfahren. Die Rechenschaftsberichte weisen bis dato lediglich die Höhe aller in einem Jahr aufgenommenen Kredite sowie Rückzahlungen auf. Diese Daten sind ab dem Jahr 2013 verfügbar. Bis zur Übernahme der Partei durch Kurz 2017 nahm die ÖVP laut diesen Angaben 11,3 Millionen Euro an Krediten auf. Für Rückzahlungs- oder Kreditkosten wurden 5,87 Mio. verbucht. Von 2017 auf 2019 unter Kurz explodierten die Kredite auf 27,5 Mio. Euro. Auch damals wurden fast 14 Mio. Euro für laufende Kredite aufgewendet.

Wie der Stand heute ist, verrät die ÖVP nicht. Ein Sprecher sagt dem STANDARD: "Die Volkspartei hat vor einigen Jahren einen Konsolidierungspfad eingeleitet und befindet sich auf einem guten Weg. Mittelfristig werden wir unsere Verbindlichkeiten abgebaut haben."

Knapp bei Kassa war die ÖVP in ihrer Geschichte schon oft. 1991 zum Beispiel hatte sie 167 Mio. Schilling Schulden, davon rund 140 Mio. bei Banken. Damals hat Banker Andreas Treichl im Duo mit Ferry Maier die ÖVP trickreich entschuldet. Treichl war zu diesem Zeitpunkt Finanzreferent der ÖVP; Maier neuer Generalsekretär. Die Partei, die damals im vornehmen Palais Todesco in der Wiener Kärntner Straße residierte, hat ihre Mietrechte zu Geld gemacht. Sie selbst übersiedelte in die Lichtenfelsgasse, wo sie bis heute blieb.

Damals soll sich ein Parteigrande empört zu Wort gemeldet haben: Das sei doch lächerlich, die Bank solle die ÖVP-Schulden einfach "ausbuchen". So dachte man seinerzeit, schaut ein ÖVP-Funktionär zurück.

Bankkredite gehörten jedenfalls immer zum Finanzierungspaket für Parteien, neben staatlicher Parteienförderung und Wahlkampfkostenrückerstattung, Mitgliedsbeiträgen, Spenden und anderen Einkünften. Diese dienten auch als Besicherung für Kredite, wie unisono berichtet wird. Jörg Haider (FPÖ) zum Beispiel hat seinen Landtagswahlkampf 2004 so finanziert und einen Teil der blauen Parteienförderung bis 2014 verpfändet.

Hausbanken und Darlehen

Wobei man es damals, bevor die Regeln für die Vergabe von Bankkrediten streng wurden, mit Bonitätsprüfungen und Besicherungen nicht immer ganz so ernst genommen haben soll. Die Rede ist von der Vergabe nichtrückzahlbarer Darlehen und Abschreibungen. Auch so könnte man theoretisch Parteien finanziert haben.

Das Finanzierungsproblem betrifft natürlich alle Parteien mehr oder wenig. Die SPÖ war einst hochverschuldet, bis heute ist nicht im Detail bekannt, wie sie Anfang der Nullerjahre unter dem damaligen Parteivorsitzenden Alfred Gusenbauer aus ihrer Finanzkrise kam. Auch die aktuelle Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner musste einen strengen Sparkurs fahren, dessen Folgen (Stichwort Kündigungen) sie beinah den Job gekostet hätten. Die FPÖ hatte 2019 Schulden in der Höhe von drei Millionen Euro. In der Ära Strache gab es Gerüchte, die Partei habe wie der Front National in Frankreich russische Kredite erhalten – das wurde stets dementiert.

Die Hausbanken der ÖVP finden sich vor allem im Raiffeisen-Sektor. Mitunter sollen sich regionale Bankchefs auch weit vorgewagt haben, wird in der Branche erzählt. So habe einer die ÖVP an seinem Aufsichtsrat vorbei unterstützt – nachdem das intern aufgekommen sei, habe er das Geld zurückzahlen müssen.

Interne Kreditgeber

Kreditgeber fand die ÖVP aber auch in ihren eigenen Reihen, jedenfalls beim Wirtschaftsbund. Auch der soll der Bundespartei Geld gepumpt haben – allerdings zu üblichen Vertragskonditionen, also mit Besicherung, etwa durch die Parteienförderung, und marktkonformer Verzinsung. Er sei mittlerweile abbezahlt, heißt es von der ÖVP. Auch bei den Bankkrediten sei es nicht so, dass man "einfach hingehen und das Geld abholen kann", berichtet ein Türkiser. Die Regeln würden "extrem streng" ausgelegt, Probleme gebe es schon, "wenn man eine Millisekunde zu spät bezahlt".

Die Wählerinnen und Wähler merken all das freilich nicht. Transparenz herrscht nämlich nach wie vor nicht. Vor allem rund um die Wahlkampfkosten in den Jahren 2017 und 2019 hat die ÖVP ein Verwirrspiel betrieben. Rund um die Frage, ob sie die gesetzlichen Wahlkampfkosten absichtlich überschritten habe, gab es sogar schon ein Gerichtsverfahren gegen den Falter. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass es zulässig sei, der ÖVP Manipulationen zu unterstellen.

Die Partei selbst hat das immer bestritten, 2017 etwa kurz vor Wahlkampfende. Überschritten hat man das Limit dann um 86 Prozent, dafür setzte es eine Bußgeldzahlung. Auch SPÖ und FPÖ hielten sich in diesem Wahlkampf übrigens nicht ans Limit, wenngleich sie es weniger überzogen als die ÖVP.

Bei der Wahl 2019 will die ÖVP die Obergrenze eingehalten haben – das glaubt ihr aber der Rechnungshof nicht, wie er nun festhielt. Das bringt nun auch Kanzler Karl Nehammer in die Ziehung, weil er den Rechenschaftsbericht 2019 als Generalsekretär abgefertigt hat. Es sei "genant" und "ein Armutszeugnis", wenn es die ÖVP als Wirtschaftspartei auch nach zweieinhalb Jahren nicht schaffe, einen korrekten Rechenschaftsbericht abzuliefern, sagt ein ehemaliger ÖVP-Spitzenpolitiker. Auch Nehammer werde nicht ewig eine "Verleugnungsstrategie" fahren können. Zwar sei glaubhaft, dass er nicht Buchungen selbst abgewickelt habe, im Groben müsse er als Generalsekretär aber Bescheid gewusst haben. (Renate Graber, Fabian Schmid, Oliver Das Gupta, 19.6.2022)