Oben ohne? Fachleute haben beim Aussetzen der Maskenpflicht darauf hingewiesen, dass im Sommer ein Masken-Comeback nötig sein könnte.

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Die Corona-Zahlen steigen wieder. Mitte der Woche waren es mehr als 7000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Das lag doch merklich über dem Schnitt der sieben Tage davor, gut 4.639. Die aktuelle Inzidenz von 361 liegt wieder im Bereich von Mitte Mai. Damals war die Infektionskurve noch stark nach unten gegangen. Seit Anfang Juni weist sie wieder nach oben.

Dass die Infektionszahlen heuer in der warmen Jahreszeit deutlich früher ansteigen würden als in den vergangenen beiden Pandemiejahren, hatten Fachleute schon lange prognostiziert. Und sie hatten in Aussicht gestellt, dass der Sommer 2022 mit spürbar höheren Zahlen einhergehen würde als jene der beiden Jahre davor. Aber sind die zuletzt stark gewachsenen Infektionszahlen schon dieser angekündigte Anstieg?

Sinkende Grundimmunisierung

Sie sind jedenfalls ein Teil davon, sagt der Simulationsforscher Niki Popper im STANDARD-Gespräch. Die aktuellen Zuwächse führt er vor allem auf zwei Faktoren zurück, einen kurz- und einen längerfristigen. Der längerfristige: "Seit zwei Monaten geht die Gesamtimmunisierung in der Bevölkerung ziemlich schnell zurück", sagt Popper. Ein Grund dafür ist, dass aktuell bei vielen Menschen der Impfschutz nachlässt – die größte Welle der Drittstiche liegt inzwischen rund ein halbes Jahr zurück. Während im vergangenen Jahr um diese Zeit die Immunität stark gestiegen ist, sinkt sie jetzt.

Der kurzfristigere Faktor: Wegen der vielen Feiertage im Mai und Juni gab es zuletzt stark erhöhte Reisetätigkeit, die auch zu vermehrten Infektionen führt. Mit den Feiertagen ist es jetzt zwar für längere Zeit wieder vorbei. Weil aber gleichzeitig die Haupturlaubssaison unmittelbar bevorsteht, könnte auch aus diesem Effekt bald ein langfristiger werden.

Konzept für Herbst im Juli

Die aufkommende Welle wird vermehrt von den Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 getrieben, die sich auch in Österreich zunehmend gegen den noch dominanten BA.2-Typus durchsetzen. Der günstige Saisonalitätseffekt, der mit steigenden Temperaturen ab März für sinkende Zahlen sorgte, sei aktuell zwar voll ausgeprägt, werde aber nicht mehr stärker, erklärt Popper.

Was aber wird passieren, wenn die Zahlen weiter steigen? Dazu hat Poppers Team mit der TU Wien und der Gesundheit Österreich ein Konzept ausgearbeitet, das planmäßig Mitte Juli der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll: der sogenannte "Virusvarianten-Managementplan". Der Krisenstab Gecko hat "einen Review-Prozess darüberlaufen lassen", sagt Stafan Rakowsky, Leiter der Gecko-Geschäftsstelle.

Vier Szenarien für den Herbst

Grundlage für das Konzept sind vier mögliche Szenarien für den Herbst. Je nach Szenario, das eintritt, gibt es unterschiedliche von der Gecko empfohlene Strategien und Empfehlungen für Maßnahmen. Im Gesundheitsministerium ist man aktuell damit beschäftigt, diese in konkrete politische Reglungen zu gießen. "Dazu gehört aber auch, Ressourcen in Krankenhäusern vorzubereiten, Konzepte für nicht impfbare und vulnerable Gruppen und Long-Covid-Betroffene auszuarbeiten", sagt Popper.

Bei stärker steigenden Zahlen dürfte auch die Maskenpflicht in Innenräumen recht schnell zurückkehren. "Das halte ich aktuell für am wahrscheinlichsten", sagt Rakowsky. Fachleute hatten ein Aussetzen bei stark sinkenden Infektionszahlen wie im Frühjahr für vertretbar befunden – aber auch darauf hingewiesen, dass eine Wiedereinführung bei steigenden Zahlen im Sommer sinnvoll werden dürfte.

Mehr Maskensünder

Für Wienerinnen und Wiener käme dies nur zum Teil einer Umstellung gleich. In der Hauptstadt hat sich die FFP2-Maske nie ganz verabschiedet, in den Öffis muss sie nach wie vor getragen werden. Zumindest theoretisch: Wie zu beobachten und Beschwerden auf Twitter zu entnehmen ist, wird die Tragepflicht zunehmend ignoriert. Zahlen belegen das: Derzeit müssen pro Woche im Schnitt 5.000 Öffi-Nutzerinnen und -Nutzer ermahnt werden, weil die Maske fehlt oder halbherzig getragen wird, heißt es vonseiten der Wiener Linien. Zum Vergleich: Anfang Juni gab es wöchentlich 4.000 derartige Vorkommnisse. Das sei ein Drittel mehr als in den Wochen zuvor, hieß es damals.

Der Großteil der Fahrgäste halte sich nach wie vor an die Maskenpflicht, beteuern die Wiener Linien. Aufgrund der Größe des Netzes sei es aber unmöglich, jeden Verstoß zu ahnden. "Wir haben am Tag zwei Millionen Fahrgäste. Da können wir nicht jeden einzelnen von A nach B begleiten", sagt eine Sprecherin.

Zuständig für die Kontrollen sind 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sicherheits- und Serviceteams, das auch die Einhaltung anderer Regeln, etwa des Rauchverbots, überprüft. Die Stimmung von Maskenverweigerern gegenüber diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werde zunehmend aggressiver, sagt die Wiener-Linien-Sprecherin. Dieses Jahr sei es bereits zu 20 tätlichen Angriffen gekommen.

Wer ohne oder mit unzureichend angelegter Maske angetroffen wird und sich uneinsichtig zeigt, der zahlt 50 Euro Strafe. Diese gehen – wie auch die Bußgelder bei Fahrscheinkontrollen – ins Budget der Wiener Linien. (Stefanie Rachbauer, Martin Tschiderer, 17.6.2022)