Große Augen, zwei lange Fühler und sechs noch längere Beine – Heuschrecken gelten in vielen Teilen der Welt als Delikatesse.

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Dror Tamir öffnet die Tür, und sauer-brennender Gestank schießt in die Nase. Wie in einem Raubtiergehege riecht es hier, nach zusammengepferchten Tieren auf zu wenig Platz. Kein Wunder, immerhin krabbeln, hüpfen und flattern um die 60.000 Heuschrecken in dem rund 15 Quadratmeter großen Raum, eingesperrt in 15 Gitterkäfigen.

In der Produktionsstätte in Kidmat Tzvi, einer kleinen Stadt auf den Golanhöhen, die 1967 von Israel erobert und 1981 annektiert wurden, fressen sich derzeit insgesamt 500.000 Heuschrecken satt. Tamir hat aus der biblischen Plage ein lukratives Geschäftsmodell gemacht. "Jede Bedrohung ist auch eine Chance", sagt der CEO von Hargol, dem ersten Unternehmen, das Heuschrecken mithilfe innovativer Technologie in Massen produziere.

Normalerweise seien vier Millionen Heuschrecken in den sogenannten Futterstationen. Er habe erst vor wenigen Tagen geerntet, indem er die Räume auf unter null Grad gekühlt hat. Bei diesen Temperaturen sterben die Insekten. Danach werden sie eingefroren und zu Pulver gemahlen.

Pro Jahr würde er bis zu 50 Tonnen auf den tausend Quadratmetern ernten. In drei Jahren sollen es sechsmal so viele sein. Denn mit Heuschrecken lässt sich viel Geld verdienen.

Rund tausend Euro pro Käfig

In Saudi-Arabien etwa liegt der Kilopreis laut Tamir bei rund 285 Euro (300 Dollar), in Japan bezahlen Kunden rund 190 Euro (200 Dollar). Für Tamir ist es eine einfache Rechnung: In jedem Gitterkäfig stecken 4000 Heuschrecken, die zusammen circa vier Kilogramm wiegen. Damit hat ein Käfig abhängig vom Abnehmer einen Marktwert von rund tausend Euro.

Gleichzeitig ist die Nachfrage hoch. Heuschrecken sind die am meisten gegessenen Insekten der Welt, sagt Tamir. Für rund zwei Milliarden Menschen von Asien über den Nahen Osten und Afrika bis nach Zentralamerika würden Heuschrecken zum Ernährungsplan gehören.

Alternatives Protein

Mehr noch, sie gelten als Delikatesse und besonders nährreich. Neben Aminosäuren, Magnesium und Folsäure steckt vor allem viel Protein in den Heuschrecken. Das macht die krabbelnden Tierchen auch in Hinblick auf den Klimawandel als "alternatives Protein" relevant.

Als alternative Proteine gelten Produkte, die ressourcenschonender und umweltschonender zu produzieren sind als tierisches Protein von Rind, Schwein, Huhn und Co. Sojabohnen und Hülsenfrüchte etwa gelten als besonders vielsprechend.

Der Hintergrund: Berechnungen zufolge soll die Bevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen anwachsen. Um die Versorgungssicherheit weiterhin gewährleisten und die Umwelt trotzdem entlasten zu können, suchen Forscherinnen und Unternehmer vor allem im Bereich Foodtech nach innovativen Lösungen. Dieser kombiniert, wie der Name schon sagt, Lebensmittel und deren Produktion mit innovativer Start-up-Technologie wie der von Hargol.

Insektenpulver als Fleischersatz

Während herkömmliche Nutztierhaltung enorme Auswirkungen auf den Klimawandel hat, brauchen Heuschrecken laut Tamir kaum Wasser und Land und können zur Gänze gegessen werden. Verglichen mit der Produktion von einem Kilo Rindfleisch würden Heuschrecken den CO2-Ausstoß sowie den Wasserverbrauch um 99 Prozent reduzieren, verspricht der Hersteller.

Da Essen aber auch eine psychologische Komponente hat und in vielen Regionen der Welt beim Gedanken an Heuschrecken – und damit an zwei große Augen, zwei Fühler und sechs Beine – kaum jemandem das Wasser im Mund zusammenläuft, verarbeitet Hargol den Großteil der Insekten zu Pulver.

Dieses könne mit Fleisch und Gemüse gemischt, aber auch zu anderen Produkten verarbeitet werden, mit dem Ziel, den Fleischanteil in Speisen zu reduzieren.

Seit einigen Monaten bietet der Unternehmer Produkte in seinem Onlineshop unter dem Namen "Biblisches Protein" feil. Neben ganzen Heuschrecken stehen Nahrungsergänzungsmittel in Form von Gummibären mit Erdbeer- oder Orangengeschmack und Schoko-Proteinshakes, die 24 Gramm Eiweiß pro Portion versprechen, zum Verkauf. Sportler sind immer auf der Suche nach dem nächsten Protein, ist Tamir überzeugt.

Trotzdem ziele Hargol hauptsächlich darauf ab, traditionelle Proteinressourcen von Rind, Lamm und Co durch Heuschrecken zu ersetzen. Zur Demonstration lädt er zum Barbecue und brät direkt vor der Produktionshalle Fleischlaibchen. 70 Prozent Lamm, 28 Prozent Gemüse und zwei Prozent Insektenpulver. Von der Heuschrecke ist nichts zu schmecken, das könnte am vergleichsweise geringen Anteil, aber auch am leicht angebrannten Fleisch liegen.

Blühende Startup-Szene

Dass die Heuschrecken-Massenproduktion angrenzend an die Regionen im Norden Israels vorangetrieben wird, ist kein Zufall. Laut Fresh Start – The Food Tech Incubator, fließen nach den USA die meisten internationalen Investitionen in israelische Foodtech-Start-ups mit Spezialisierung auf alternative Proteine. Viele davon haben ihren Sitz im Norden Israels.

Das mag einerseits daran liegen, dass die Region von Landwirtschaft geprägt ist. Von Avocados über Kirschen und Marillen bis hin zu Granatäpfeln säen und ernten Landwirte Obst und Gemüse.

Andererseits fördert das israelische Wirtschaftsministerium laut Fresh-Start die Region mit einer rund 143 Millionen Euro Initiative (150 Millionen Dollar) im Bereich "Agrifood". Der englische Begriff vereint die Forschungsfelder Landwirtschaft, Ernährung, Lebensmittel sowie Konsumenten und Konsumentinnen.

Hinzu kommt, dass Landwirte in der Region von der globalen Klimaerwärmung besonders betroffen sind. Ab der Jahrtausendwende hat die mittlere Anzahl der Hitzetage zugenommen. 2020 zählten die Wetterstationen etwa 34 Tage über 38 Grad. 2021 waren es 21.

Elf Züchtungen pro Jahr

Hitzetage lassen die Heuschrecken in Tamirs Futterräumen allerdings kalt. Darin ist kein einziges Zirpen zu hören, lediglich das Krabbeln der Kaltblüter über die Gitter und das Flattern der Flügel.

Nähert er sich einer der Boxen, rauscht es plötzlich im Käfig, und einige Hundert Heuschrecken bewegen sich im Schwarm von einem Eck ins andere. Diese Insekten sind soziale Tiere, ist Tamir überzeugt. Platz hätten die 4000 Heuschrecken pro Käfig aber genug.

Vereinzelt entkommen trotzdem Tiere bei der Fütterung. Sie sitzen einsam zwischen den Gittern oder krabbeln auf dem Boden. Klebefallen in den Ecken, eine Aufteilung der Heuschrecken auf mehrere Räume und insgesamt drei Türen sollen ein Weiterkommen der Kaltblüter verhindern. Würden die hochgezüchteten Heuschrecken in großen Schwärmen entkommen, wäre wohl eine Plage biblischen Ausmaßes zu befürchten.

Den Wunsch, zu entkommen, konnte Tamir den Heuschrecken noch nicht wegzüchten. Dafür habe er den Zuchtprozess massiv beschleunigt. Während in der Natur ein bis zwei Generationen pro Jahr heranwachsen, zähle Hargol elf Generationen.

Hightech-Farm

Wie die Technologie genau funktioniert, will er nicht verraten. Nur so viel: täglich optimierte Temperaturen und Luftfeuchtigkeit. Jede äußere Einwirkung habe einen Effekt auf das Produkt. Mehr Licht könne weniger Protein, dafür mehr Omega-3-Fettsäuren bedeuten. Um die optimalen Bedingungen herauszufinden, haben Tamir und sein Team sieben Jahre geforscht.

Nun will er auch die Futterkosten minimieren. Dafür hat er eine eigene Heuschrecken-Variante gezüchtet. Genannt Blondi, aufgrund der gelblichen Farbe der Tiere. Sie hätten die Fähigkeit erlernt, Wasser aus einer externen Quelle zu trinken. Das war in der Vergangenheit nicht nötig, weil die Wasserzufuhr durch das frische Gras gegeben war. Damit könne Hargol nun auf Trockenfutter umsteigen und die Futterkosten um 97 Prozent reduzieren.

Die Heuschrecken sind ein gelbes Upgrade ihrer natürlichen Version. Ob sich Konsumenten von der neuen Optik überzeugen lassen, sei dahingestellt. Tamir hingegen hat keine Zweifel: "Insekten werden Teil des Ernährungsplans, ob uns das gefällt oder nicht." (Julia Beirer von den Golanhöhen, 25.6.2022))