Kinder sollen trotz Teuerung gleich viel wert bleiben: Die Familienbeihilfe zählt zu jenen Leistungen, die laut Plan der Regierung künftig valorisiert werden.

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Reicht das Entlastungspaket aus? Für ärmere Menschen ist dies eine existenzielle Frage. Denn während besser situierte Bürgerinnen und Bürger die Teuerung verkraften können, indem sie weniger sparen als bisher, droht Schlechtverdienern ein Wohlstandsverlust. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) genügte für die unteren 30 Prozent der Haushalte das Einkommen im Durchschnitt schon bisher nicht, um die Konsumausgaben zu decken – mit Verschuldung als Folge.

Geht es nach einer ersten Analyse, versprechen die von ÖVP und Grünen jüngst präsentierten Maßnahmen zumindest kurzfristig Kompensation. Laut einer Berechnung des Momentum-Instituts, angesichts seiner politischen Nähe zur Gewerkschaft der Schönfärberei unverdächtig, decken die beschlossenen Einmalzahlungen – unter anderem speziell für "vulnerable" Gruppen – die Belastungen für niedrige Einkommen ab. Demnach kostet die Teuerung heuer die unteren 20 Prozent der Haushalte im Schnitt 814 Euro im Jahr, der staatliche Ausgleich soll 820 Euro bringen.

Aus für schleichenden Wertverlust

Der Deckungsgrad nimmt mit dem Einkommen ab. Schon das zweite Fünftel steigt mit einem Verhältnis von 838 zu 960 Euro leicht negativ aus. Das oberste Fünftel bekommt den Inflationseffekt – in dem Fall 1.625 Euro – nur noch zur Hälfte abgegolten.

Was die Rechnung ungenau macht: Momentum rechnet dabei mit einer Jahresinflation von 6,15 Prozent, die Nationalbank geht bereits von mehr, nämlich sieben Prozent aus. Dafür sind nicht die Zahlungen aus den früheren Entlastungspaketen inkludiert.

Auch längerfristig bietet das Paket aus Sicht einkommensschwacher Bürgerinnen und Bürger Bemerkenswertes. Sozialleistungen sollen künftig jährlich um die Inflationsrate erhöht werden, Maßstab ist die Teuerung von Juli bis Juni des Vorjahres. Martin Schenk von der Armutskonferenz sieht darin einen wichtigen Schritt gegen Armutsgefährdung, was auch der absturzbedrohten "unteren Mitte" nütze. Der vorgelegte Plan sei ziemlich umfassend, erkennt der Sozialexperte an – nachdem der Wert der Leistungen in den vergangenen Jahren zum Teil massiv erodiert ist.

  • Familienbeihilfe Nur viermal haben Regierungen diese seit 2000 erhöht – zu wenig, um die Teuerung abzugelten: Laut Momentum betrug der Kaufkraftverlust allein bis Beginn des laufenden Jahres 30 Prozent. Von der Valorisierung, die auch den Kinderabsetzbetrag (58,40 pro Kind und Monat) inkludiert, profitieren nicht nur bedürftige Familien: Die Leistung, die bei 114 Euro pro Monat und Kind beginnt, ist nicht nach Einkommen, sondern nach Alter und Zahl der Kinder gestaffelt.
  • Kinderbetreuungsgeld In der pauschalen Variante gibt es je nach gewählter Bezugsdauer 14,53 bis 33,88 Euro pro Tag, in der einkommensabhängigen Version 80 Prozent der Letzteinkünfte, gedeckelt mit 66 Euro pro Tag. Von der vorgesehenen Valorisierung abgedeckt ist auch der Familienzeitbonus für Väter, derzeit rund 700 Euro für einen Monat.
  • Studienbeihilfe Diese richtet sich nach Einkommen, Familienstand und Familiengröße: Können die Eltern oder die Studierenden selbst ein Studium nicht finanzieren, greift die Beihilfe mit maximal 841 Euro im Monat. Gerade drei Erhöhungen seit dem Jahr 2000 machen einen Verlust von über 20 Prozent.
  • Reha-, Kranken-, Umschulungsgeld Auch diese Leistung, in der Regel 50 oder – ab dem 43. Tag – 60 Prozent des letzten Bruttoeinkommens, soll künftig valorisiert werden.

Andere Leistungen werden bereits nach aktueller Rechtslage jährlich angepasst. Für das Pflegegeld gilt das aber erst sei 2020, laut Momentum-Rechnung ergab sich in den 20 Jahren davor ein Wertverlust von 28 Prozent.

Analog zur Ausgleichszulage – einer Art Mindestpension – wird auch die Sozialhilfe jedes Jahr valorisiert; die zuständigen Länder müssen diese Vorgabe zwar nicht übernehmen, tun das aber in der Regel. Für 2022 lag das Plus mit drei Prozent über der damals maßgeblichen Inflationsrate von 1,8 Prozent – allerdings, wie Momentum, Armutskonferenz und andere Kritiker monieren, von einem niedrigen Niveau aus. Der aktuelle Maximalbetrag der Sozialhilfe für Alleinstehende liegt mit 978 Euro pro Monat weit unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.328 Euro.

Hilft das Entlastungspaket den Richtigen – und ist die Verteilung der Gelder auf einzelne gesellschaftliche Gruppen sinnvoll? Darüber diskutierten im Videotalk "STANDARD mitreden" Vizekanzler Werner Kogler, die Chefökonomin des ÖGB, Helene Schuberth, und Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.
DER STANDARD

Die Verschärfungen unter der alten ÖVP-FPÖ-Regierung hätten die Lage noch verschlimmert, fügt Armutskonferenz-Sprecher Schenk an und fordert vor allem Verbesserungen bei der Wohnbeihilfe. Bei den Grünen stößt er damit auf offenen Ohren. Vizekanzler Werner Kogler hat im STANDARD selbst dafür plädiert, die Leistung zugunsten von kostengeplagten Mietern auszuweiten. Wenn nötig, würde der Bund den Ländern dafür Geld zuschießen.

Doch der Regierungspartner springt vorerst nicht auf. Erst einmal solle das Entlastungspaket greifen, heißt es aus dem Büro von Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer: "Dann sehen wir weiter."

Ausgeblendetes Arbeitslosengeld

Ausgeklammert hat die Regierung bei der Valorisierung das Arbeitslosengeld. Bezieher profitieren kurzfristig zwar auch von der Einmalzahlung für vulnerable Gruppen, doch der laufende Bezug bleibt bei 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens picken – egal wie hoch die Teuerung noch ausfällt. Die Familienzuschläge fallen ebenfalls nicht unter jährliche Abgeltung.

Die Koalition verweist darauf, dass derzeit ohnehin eine Reform verhandelt werde. Doch geht es nach der ÖVP, soll diese keine Extrakosten verursachen. Verknüpft mit dem Wunsch, ein "degressives" Modell einzuführen, würde das bedeuten: Zu Beginn der Arbeitslosigkeit gäbe es mehr, bei längerer Dauer aber weniger Unterstützungsgeld als bisher.

Für die Kritikerinnen wie SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zeigt sich in diesem Gesamtbild eine Schieflage: Während das Entlastungspaket aus Sicht der sozial Abgehängten Lücken habe, profitierten wohlhabendere Gruppen in viel größerem Maße. Mit 16 Milliarden Euro kostet die Abschaffung der kalten Progression bei der Lohn- und Einkommensteuer bis 2026 viermal so viel wie die Valorisierung der Sozialleistungen – und dieses Geld kommt zum überwiegenden Teil Menschen von der Mittelschicht aufwärts zugute. (Gerald John, 20.6.2022)