Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon verfehlte zwar sein Ziel, Premierminister zu werden. Als starker Oppositionsführer darf er sich dennoch freuen.

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Bestürzung bei den Macronisten, Jubel bei der Linken und Chansons bei den Lepenisten: Die Verlierer und Sieger der französischen Parlamentswahl waren am Sonntagabend unschwer festzustellen.

Macrons Allianz namens Ensemble erhielt laut vorläufigem amtlichem Endergebnis 245 Sitze in der 577-köpfigen Nationalversammlung gutgeschrieben. Das ist eindeutig zu wenig für die absolute Mehrheit, mit der die Macronisten in der ersten Amtszeit ab 2017 regiert hatten. Große Reformen wie etwa die der Pensionen scheinen damit fast aussichtslos.

Die schärfsten Widersacher zur Rechten und zur Linken legten am Sonntag stark zu. Die "neue ökologische und soziale Volksunion" (Nupes) des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon kam auf 131 Sitze. Damit würde sie ihren Bestand fast verdreifachen. Die grüne Nupes-Vertreterin Sandrine Rousseau erklärte Macrons schwaches Resultat mit der "Arroganz der Macht".

Gegenüber dem ersten Wahlgang legt die Nupes aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und Mélenchons "Unbeugsamen" allerdings kaum zu. Mélenchons verpasst klar sein Ziel, die Wahlen zu gewinnen und damit der Premierminister Macrons zu werden.

Anders die Rechte: Das Rassemblement National von Marine Le Pen erzielt ein Spitzenergebnis von 89 Sitzen – ein absoluter Rekord für eine Bewegung, die bisher nur eine Handvoll Abgeordnete hatte. Le Pen wurde in ihrem Wahlkreis in Nordfrankreich mit 62 Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Die konservativen Republikaner errangen 74 Sitze. Das ist ein gewaltiger Rückschlag für die lokal verankerte Bewegung, zu der einst Charles de Gaulle und Jacques Chirac gehörten. Macron wird nun alles daransetzen, sie hinter seine Reformprojekte zu bringen. Der konservative Senator Bruno Retailleau erklärte aber am Sonntag, Les Républicains würden aber auf keinen Fall Steigbügelhalter des Präsidenten spielen. Auf der Linken kommen für Macron nur ganz wenige dissidente Sozialdemokraten infrage, die sich nicht dem Linkenchef Mélenchon angeschlossen hatten, weil sie ihn für "unrepublikanisch" halten.

"Die Nationalversammlung wird wieder nationaler werden", verspricht Parteichefin Marine Le Pen ihrer Wählerschaft.
DER STANDARD

Laute Opposition

In Frankreich werden die drei Blöcke der Macronisten, Mélenchonisten und Lepenisten die Legislaturperiode beherrschen. Die beiden Radikalpopulisten werden den Präsidenten der Mitte dabei von zwei Seiten in die Mangel nehmen – getrennt zwar, aber faktisch am selben Strick ziehend, den sie so gerne um Macrons Hals legen würden. Ihre Abgeordneten gehören im Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung, zu den lautesten. Zudem bietet Macrons Wahlprogramm etliche Punkte, gegen die Rechts- und Links-außen de facto gemeinsame Sache machen werden, auch wenn das die Nupes bestreitet.

Vereint sind sie etwa in ihrem Kampf gegen die Sparpolitik der Regierung. Macrons Wirtschaftsminister Bruno Le Maire verspricht den EU-Partnern, dass Frankreich sein Budgetdefizit bis 2027 von derzeit 6,5 Prozent auf die obligaten drei Prozent drücken werde. Le Pen und Mélenchon wollen nicht nur diese Bestimmung, sondern den Stabilitätspakt offiziell missachten. Damit nähmen sie einen harten Konflikt mit der EU-Kommission in Kauf.

Ohne Schonfrist gestartet und schon jetzt in der Defensive, wird sich Macron hüten, die politisch entscheidende Pensionsreform sofort zu lancieren. Hochbrisante Vorhaben wie die Senkung der Erbschaftssteuer oder die gemeinnützige Arbeit von Sozialhilfeempfängern müssen wohl ebenfalls zuwarten.

Um nicht jetzt schon als daumendrehender Präsident im Élysée-Palast dazustehen, könnte Macron als Erstes ein populäreres Projekt in Angriff nehmen, nämlich die Abschaffung der Rundfunkgebühr. Doch auch dagegen formiert sich bereits Widerstand: Die Mediengewerkschaft SNJ ruft zum Streik dagegen auf.

So dürfte Macron nun bei jedem Vorhaben der Wind ins Gesicht blasen. In der Nationalversammlung hat der Präsident weder Wortführer noch Einpeitscher. Das hat er sich zum Teil selbst zuzuschreiben; seine Partei Renaissance hat er als abnickende Exekutorin der präsidialen Wünsche konzipiert, nicht als Sprungbrett für potenzielle interne Rivalen, die dem Präsidenten vor dem Licht stehen könnten. Hinter Mélenchon, der als 70-Jähriger nicht selbst für einen Parlamentssitz kandidierte, setzt sich dagegen eine neue Generation von jüngeren Frauen wie Clémentine Autain oder Danièle Obono in Szene. Auch Le Pen überlässt ihrem familiär verbundenen Interimsparteichef Jordan Bardella einen Zipfel der Politbühne.

Schutz durch Verfassung

Nur der Staatspräsident genügt sich selbst. Sein bester Verbündeter ist die Verfassung: Sie schützt den Staatschef vor Misstrauensvoten. Sein politisches Programm muss er aber aus eigener Kraft durchbringen. Diesbezüglich könnten die nächsten fünf Jahre für ihn und Frankreich mager ausfallen. (Stefan Brändle aus Paris, 20.6.2022)