Es könnten einem die Tränen kommen, wenn man zu nah am Wasser gebaut hat. Dabei braucht es für eine kolossale Sandburg doch dringend ein feuchtes Biotop, um mit der unstabilen Masse aus Ufersand und salzigem Meerwasser, die langsam zwischen den Fingern herauströpfelt, spitz zulaufende Türmchen, perfekte Zinnen und undurchdringliche Wehrgänge über einem tiefen Wassergraben zu schaffen. Ein Fundament, nicht festgemauert, aber festgestampft, könnte im Untergrund helfen.

Die Weltrekord-Sandburg wurde mit mehr als 21 Meter Höhe im August vergangenen Jahres im dänischen Blokhus fertiggebaut.
Foto: EPA / Henning Bagger

Dabei haben es die klassischen Sandburgen am Meer mittlerweile überhaupt schwer. Zu banal scheint in digitalen Zeiten die analoge Spielerei auch am Meeresstrand.

Dabei ließe sich aus dieser Beschäftigung fürs Leben lernen. Damit für die Amateurarchitekten in ihrem Bemühen, das Bauwerk so lange wie möglich stabil zu halten, nicht ein allzu schnell versandetes Vergnügen wird, ist die richtige Mischung von Sand und Wasser notwendig.

Es handelt sich bei der Angelegenheit durchaus um eine diffizile Sache, die so gar nicht zum Müßiggang am Strand passen will. Denn wer denkt schon fern von Business-Meeting und Schulstunde an Problemlösungen und Rechenaufgaben wie in der Mathestunde?

Wäre aber gefragt, wenn die Kleckerei länger halten soll als bei den ebenfalls ambitionierten Nachbarn. Dass Wasser die Lücken des eckigen Sandes verdichtet und deshalb so etwas wie ein Schmiermittel ist, könnte noch zum Grundwissen gehören. Aber wie genau sollte denn das Verhältnis zwischen den beiden Elementen beschaffen sein?

Die Rekordsandburg von Wilfred Stijger.
Foto: REUTERS Fotograf: RITZAU SCANPIX

Experimentierfreude

In diesem Punkt haben Wissenschafter fundierte Antworten zwischen künstlerischer Patzerei und Bauwerken mit Bestand gesucht. Und gefunden.

Ein internationales Forscherteam an der Universität in Amsterdam ist draufgekommen, dass sich Sandmasse am widerstandsfähigsten zeigt, wenn sie lediglich ein Prozent Wasser enthält. Ein minimal dünner Wasserfilm habe die stärkste Haftwirkung zwischen den Körnchen.

Die Akademiker berechneten sogar eine Formel für die maximale Höhe eines Turmes, die sich aus dem Radius der Burgbasis hoch zwei Drittel ergebe. Demnach kann eine Sandburg bei einem Radius von 20 Zentimetern tatsächlich zweieinhalb Meter hoch werden. Und weil sich die Crew nicht vorwerfen lassen wollte, sie theorisiere lediglich vor sich hin, überprüfte sie ihre eigenen Berechnungen in einem Experiment.

Sandfestival in Busan in Südkorea, Mai 2022.
Foto: EPA/ YONHAP

"Heureka!"

Sie füllte unterschiedlich dicke Plastikrohre, die sie zuvor längs durchgesägt und dann wieder zusammengesetzt hatte, mit Sand, dem sie ein einziges Prozent Wasser beimixte, und klopfte das Erdreich, so gut es ging, fest. Dann klappte sie die Rohre auseinander. Hielt die Säule, setzte sie die Rohre wieder an und türmte weiter auf.

Ein bisschen war es dann wie bei Archimedes, der "Heureka!" rief, als er das von ihm theoretisch gefundene Verdrängungsprinzip in seiner eigenen Badewanne überprüft hatte. Die Wissenschafter fanden ihre Formel bestätigt. Bei zwei Zentimeter Radius konnte ein Sandturm bis auf 27 Zentimeter wachsen, ohne zu wackeln.

Dieses ausgeklügelte Konstruktionswissen hat durchaus das Zeug dazu, beim nächsten Smalltalk im Liegestuhl für staunende Gesichter zu sorgen.

Richtung Turm von Babel

Längst nehmen die fragilen Bauwerke allerdings andere Dimensionen an als popelige 27 Zentimeter und sind noch dazu einfacher zu bauen. Mit 3D-Formen ist es fast ein Kinderspiel, Katzen, Pferde oder Dinosaurier zu formen.

Überall auf der Welt treffen sich inzwischen Künstler zu Art-Festivals, bei denen sie riesige Sandskulpturen modellieren, die noch dazu auch sehr lange halten. Denn die Profis kennen einige Tricks und Kniffe.

Sie lassen sich an den Strand, wo es ja eigentlich Sand ohne Ende gibt, ihr Baumaterial aus Gruben im Binnenland fern vom Meer herankarren. Weil der Sand von dort nämlich kantiger ist und nicht so abgeschliffen wie am Küstenufer. Man könnte sagen, die Sandkörner verhaken sich dann besser untereinander.

Froschkönig-Skulptur, Sandskulpturen-Festival in Rügen, 2021.
Foto: apa/dpa/sauer

Weltrekord

Damit solch gigantischen Gebilde möglich sind wie die 21,16 Meter hohe Weltrekord-Sandburg im dänischen Blokhus, die dem legendären Turm zu Babel ähnelt, braucht es anständige Muskeln. Denn es wird nicht fertiger Block auf fertigen Block gesetzt, sondern zuerst der nasse Sand mit Wucht in große Holzformen gepresst, was im Fachjargon "Compacten" genannt wird. Wie ein Bildhauer schnitzen die Kreativen nun am Sandbrocken und erschaffen Kathedralen, Märchenfiguren oder Tierherden.

Zur Nachbehandlung, für mehr Glanz und für ein längeres Leben pinseln die Profis ihre Skulpturen mit einer eiweißhaltigen Mixtur ein.

Die Urlaubsgatscherei am Strand von Jesolo verursacht in der Regel weniger Aufwand. Damit das eigene Bauwerkchen allerdings möglichst auch am folgenden Tag noch wacker steht, reichen ein paar Dosen feinster Wassertröpfchen aus einem Sprüher, der zu Hause zum Bespritzen von Grünpflanzen genommen wird. Da wird die Konkurrenz ein paar Meter weiter Augen machen. (Caroline Wesner & Oliver Zelt, RONDO, 25.6.2022)