Die "Kreuzigung Christi (Schottenkreuzigung)" gilt als frühester Cranach (1500) und wurde im 18. Jahrhundert vom Wiener Schottenstift erworben. Wo und unter welchen Umständen es entstanden ist, ist nicht übermittelt.
Foto: KHM-Museumsverband

Er gilt als Maler der Reformation, war enger Freund von Martin Luther und sogar dessen Trauzeuge. Neben den Bibeldarstellungen ist Lucas Cranach der Ältere für seine Venusfiguren bekannt. Aus seiner Zeit als Hofkünstler der sächsischen Kurfürsten in Wittenberg und Werkstattleiter gingen hunderte Werke hervor – und machten ihn zum produktivsten Maler der deutschen Renaissance. Der Stil seiner Gemälde ist unverkennbar, ihre Entstehung erforscht. Cranachs Erbe findet sich in den großen Museen der Welt.

Der Zeitraum, bevor er 1505 nach Wittenberg kam, liegt hingegen weitgehend im Dunkeln. Allen Anzeichen nach hielt sich Cranach jedoch von 1500 bis zu seiner Abreise in Wien auf, erhielt hier einige Aufträge und fand im neu etablierten Humanistenkreis eine Kundschaft. Diese Anfänge des damals etwa 30-Jährigen beleuchtet nun eine kleine, aber äußerst informative Sonderausstellung im Kunsthistorischen Museum (KHM) Wien, die in Kooperation mit der Sammlung Oskar Reinhart "Am Römerholz" in Winterthur entstand.

Von insgesamt nur neun existierenden Gemälden aus der Frühzeit des 1472 im deutschen Kronach geborenen Künstlers (daher auch der Künstlername) werden in den Kabinetträumen der Kunstkammer sechs Stück (plus Zeichnungen und Holzschnitte) aus dem KHM sowie anderen Institutionen gezeigt.

Expressiver Körper, belebte Landschaft: "Büßender hl. Hieronymus" auf Lindenholz von 1502.
Foto: KHM-Museumsverband

Eleganz vs. brutales Pathos

Generaldirektorin Sabine Haag nennt Cranach einen Meister, den man in- und auswendig zu kennen glaube, über dessen Anfänge aber relativ wenig Kenntnis herrscht. Der Titel Der Wilde Cranach verweist auf den überraschend expressiven Stil des Malers, der vermutlich von seinem Vater ausgebildet wurde und in Nürnberg im Umkreis von Albrecht Dürer Erfahrungen sammelte.

In Kontrast stehen diese pathetisch aufgeladenen, leidenschaftlichen bis verstörenden Szenen zu dem für Cranach sonst üblichen höfisch-eleganten Stil. Das 1537 entstandene Bild Adam und Eva repräsentiert in der Ausstellung Pars pro Toto das bekannte Spätwerk: ruhige Eleganz versus brutales Pathos.

Brutal und verstörend: Der Holzschnitt "Kalvarienberg" von 1500.
Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstich- Kabinett

Reproduktionen als Ergänzung

Ein Beispiel des Wiener Cranach ist die Schleißheimer Kreuzigung, worin Christus voll blutiger Wunden und brachial durchbohrter Füße abgebildet ist und somit an Matthias Grünewald erinnert. Das Arrangement dürfte Cranach jedoch bei Dürer entlehnt haben. Allerdings befindet sich in der KHM-Schau nur eine reproduzierte Abbildung, das Original aus der Alten Pinakothek in München wird nie verliehen. Dies trifft auch auf Ruhe auf der Flucht nach Ägypten zu, dessen 1504 in Wien entstandenes Original die Gemäldegalerie in Berlin nicht verlässt. Dafür findet man im KHM eine exakte Werkstattkopie von 1515.

Highlight der Schau ist das Ehediptychon des Dr. Johannes Cuspinian und der Anna Cuspinian-Putsch von 1502, das mit den Porträts der Eheleute in üppiger Landschaft ikonografisch zahlreiche Interpretationen zulässt. Es gehörte bereits Charles I, König von England, seit 1925 ist es in der Sammlung in Winterthur beheimatet und hat diese seitdem nie verlassen. Nun ist es erstmals in seiner Entstehungsstadt zu sehen.

Zurück in seiner Entstehungsstadt: Das Ehediptychon von Johannes und Anna Cuspinian.
Foto: KHM-Museumsverband

Vermutungen und Indizien

Kurator Guido Messling bezeichnet die Ausstellung generell als "Homecoming" Cranachs, betont aber, dass es eigentlich keine Dokumente gibt, die dessen Aufenthalt in Wien nachweislich bestätigen – lediglich Indizien. Dazu zählt auch das Diptychon, da es ein Auftragswerk Cuspinians an Cranach war.

Vager ist die Informationslage bei der sogenannten Schottenkreuzigung. Zwar gilt das Gemälde als frühester Cranach, ist von osmanischer und ungarischer Tracht inspiriert und wurde im 18. Jahrhundert vom Wiener Schottenstift erworben. Wo und unter welchen Umständen es aber tatsächlich entstanden ist, ist nicht übermittelt. Manche Details müssen wohl noch länger im Dunkeln bleiben. (Katharina Rustler, 21.6.2022)