Im kühlen Schweden wird pro Kopf besonders viel Energie verbraucht. Trotzdem steht das Land bei der Energiewende gut da.

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Wer Arbeit sucht, sollte nach Schweden ziehen. Das versprach jüngst die schwedische Regierung mit Blick auf den Landesnorden: Lange war dieser als Standort verschmutzender Tagebaue bekannt, heute gilt er als Treiber der schwedischen Energiewende. Bald soll dort das erste fossilfreie Stahlwerk – eine sonst emissionsreiche Industrie – entstehen. Außerdem Europas größtes Batteriewerk. Auch andernorts wird viel Kohle (Achtung, Wortspiel) in die Energiewende gesteckt – etwa bei den Top-Treibhausgasverursachern China, den Vereinigten Staaten und Indien. Ein Überblick.

1. Musterschüler Schweden

Schweden gilt global als Vorreiter der Energiewende. Seit Jahren führt das Land – trotz langer, kalter Winter – etwa den Energy Transition Index (ETI) des Weltwirtschaftsforums an. Denn obwohl der Pro-Kopf-Energieverbrauch einer der größten weltweit ist, liegen sie unter dem globalen Durchschnitt.

Der Grund: Erneuerbare decken 56 Prozent des Energiebedarfs ab. Schweden ist damit nicht nur Spitzenreiter unter Industrienationen, sondern übertrifft schon jetzt das EU-Ziel: 40 Prozent Erneuerbare bis 2030. Auch der Strommix ist bereits fast fossilfrei – wie Österreich kann Schweden auf Wasserkraft setzen. 2040 soll Windkraft dann auch die Kernkraft ersetzen.

Beim Heizen ist Schweden nicht von Gas abhängig. Hohe Mineralölsteuern begünstigten die Dekarbonisierung: Anbieter setzen nun auf Biomasse, und lokale Fernwärmenetze versorgen das Gros der Haushalte etwa mit industrieller Überschusswärme. Eine weitere Besonderheit: das Prosumer-Konzept, bei dem Konsumenten auch Strom einspeisen.

Nur bei Wind- und Sonnenenergie, die in Dänemark schon 50 Prozent des Stroms liefern, stiehlt das Nachbarland Schweden die Show. Und beim Verkehr herrscht Nachholbedarf.

2. Chinas schneller, aber langer Weg

Dass Schweden vielleicht einmal das erste nettoneutrale Land wird, dessen Wohlstand trotzdem weiterwächst, hat Vorbildpotenzial: Für die globale Treibhausbilanz spielt das Land, das 0,1 der globalen Emissionen verursacht, aber kaum eine Rolle. Anders ist das bei China, das die meisten Emissionen verursacht – mehr als alle EU und OECD-Staaten (etwa USA, Kanada) gemeinsam: 30 Prozent.

Zusammen mit Indien hat China in der vergangenen Dekade die Hälfte aller Treibhausgase emittiert. 2021 stiegen die Emissionen im bevölkerungsreichsten Land derart rasant an, dass sie den pandemiebedingten, globalen Einbruch 2020 wettmachten. Aber obwohl China Spitzenreiter ist, hat der Westen historisch gesehen mehr Abgase in die Atmosphäre gepumpt.

Kein Land installiert jährlich mehr erneuerbare Energie als China.
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Und: China investierte jüngst mehr als alle anderen in den Ausbau Erneuerbarer – 760 Milliarden Dollar von 2010 bis 2019. 2020 installierte das Land mehr Windräder, als im Jahr zuvor weltweit dazukamen: 71,7 Gigawatt. Zum Vergleich: Österreich verfügt in Summe über 3,3 Gigawatt.

Dennoch: Von Energiewende kann keine Rede sein. Trotz Windräder rekorden bleibt China eine fossile Wirtschaftsmacht, die für 60 Prozent ihres wachsenden Energiebedarfs auf Kohle setzt – Tendenz steigend: Neue Kohlewerke werden gebaut und fossile Energieträger aus Russland, die sanktionsbedingt nicht in den Westen fließen, aufgekauft. "Man kann nicht das Besteck wegwerfen, solange man kein neues hat", so Präsident Xi Jinping, der Angst vor Stromausfällen hat, jüngst. Dass China sein Klimaziel – Emissionspeak vor 2030 – erreichen dürfte, liegt wohl daran, dass es niedrig gesteckt ist.

3. USA verschönern Bilanz mit Gas

Die USA wurden bereits 2006 von China als größter Treibhausgasverursacher überholt. Seither sind die Emissionen in den Staaten zurückgegangen (siehe Grafik) – um rund 22 Prozent. Das ist ein geringerer Rückgang als jener, den die EU-27 (31 Prozent), Italien, Spanien, Großbritannien und Dänemark (jeweils rund 40–55 Prozent) verzeichneten – und entspricht etwa jenem Österreichs.

Da die US-Emissionen aber derart hoch sind, liegen die Einsparungen in absoluten Zahlen global auf Rekordniveau: 1,3 Milliarden Tonnen. Grund zur Erleichterung ist das nicht: Insbesondere der Pro-Kopf-Ausstoß im bevölkerungsreichen Land bleibt enorm – nur eine Handvoll anderer Staatsbürger hat einen jeweils größeren Fußabdruck: etwa Australier oder Kataris. Aktuell befürworten zwar zwei Drittel der US-Bürger Schritte in Richtung Klimaneutralität. Laut Umfragen hängt aber ein Gros am Sprit: Ebenfalls zwei Drittel wollen auch fossile Energieträger beibehalten.

Noch setzen die USA auf Kohle und Gas.
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Dass die US-Emissionen dennoch zurückgehen, spiegelt einen Trend der G7-Industriestaaten wider: eine Abkehr von Kohle, die ein Fünftel der globalen Emissionen verursacht. Im US-Strommix wurde die Kohle halbiert – aber kaum mit Erneuerbaren, sondern vor allem mit Gas ersetzt. Erst 2035 soll Strom laut Washington dank Wasserstoff fossilfrei sein. Doch der Ukraine-Krieg (siehe Seite 2 ) bringt die Absichten ins Wanken: Obwohl US-Klima gesandter John Kerry jüngst mahnte, dass die Erde "kochen wird, wenn wir mit Kohle weitermachen", greifen die USA derzeit wieder vermehrt auf günstige Kohle zurück – auch US-Kohleexporte befinden sich wegen hoher Gaspreise auf einem Hoch.

4. Reformbedarf in Indien

Noch immer werden 80 Prozent des globalen Energiebedarfs mit fossilen Trägern gedeckt: Die weltweite Energiewende bleibt bisher also mehr Ziel als Realität. Nach China und den USA gibt es einen weiteren Player, der hierbei stark ins Gewicht fällt: Indien.
Das Land hat zwar einen niedrigen Pro-Kopf-Verbrauch und Millionen Inder gar keinen Strom, aber in Summe hat Indien den drittgrößten Energiebedarf weltweit und verursacht auch die drittmeisten Emissionen.

Der Grund: Das Land hat eine stark wachsende Wirtschaft und großen Energiehunger: So entsteht in Indien jedes Jahr städtische Infrastruktur in der Größe Londons, was einen massiven Zuwachs von Gebäuden, Fabriken und Verkehrsnetzen bedeutet.

Indiens wachsende Wirtschaft frisst viel Energie.
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Allerdings geht auch der Ausbau erneuerbarer Energien in einem erstaunlichen Tempo voran – trotz Fehlens staatlicher Unterstützung. Laut dem US-Institut Carnegie hat Indien seinen Bestand an Wind- und Solaranlagen in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt – wenngleich das weniger Nachhaltigkeitsbedenken als sinkenden Kosten für Solarstrom geschuldet gewesen sei.

Nichtsdestotrotz: Indien wird zu Recht häufig für seinen Erneuerbaren -Ausbau gelobt, doch der Staat ist gefordert. Denn das Stromnetz ist fragil, extrem abhängig von subventionierter Kohle und nach Expertenmeinung keineswegs für eine Energiewende bereit. Ein anderes Problem sind auch unklare Landbesitzverhältnisse: Pläne für einen Solarpark am Fuße des Himalaja auf Ländereien mündeten im Vorjahr in Gewalt. Die Modi-Regierung hofft einstweilen darauf, zum Massenproduzenten von grünem Wasserstoff zu werden. (Flora Mory, 21.6.2022)