Andy Yen ist Mitgründer und CEO von Proton Technologies.

Foto: Proton/Andy Yen

Es waren die Enthüllungen von Edward Snowden, die dem verschlüsselten E-Mail-Angebot von Protonmail von Anfang an recht hohe Aufmerksamkeit bescherten. 2013, im gleichen Jahr, in dem der NSA-Whistleblower an die Öffentlichkeit trat, war Proton am Forschungsinstitut Cern im schweizerischen Genf aus der Taufe gehoben und ein Jahr später als Unternehmen gegründet worden. Nach eigenen Angaben hat man mittlerweile fast 70 Millionen Nutzer, die die kostenfreien Dienste oder den bezahlten Premiumservice in Anspruch nehmen.

Das Angebot unter dem Dach von Proton Technologies ist im Laufe der Zeit auch gewachsen. 2017 wurde ein eigener VPN-Service ins Leben gerufen und der Dienst auch über das Anonymisierungsnetzwerk Tor verfügbar gemacht. Vor kurzem nun kündigte man außerdem mit Proton Calendar und Proton Drive neue Services an, mit denen eine Alternative zu Google und Apple geliefert werden soll.

Wider den Überwachungskapitalismus

Mit diesen geht Mitgründer und Firmenchef Andy Yen im Interview mit dem "Independent" auch hart ins Gericht. Die Geschäftsmodelle der beiden IT-Riesen seien "nicht gut für die Nutzer" und "nicht gut für die Gesellschaft", so der 34-jährige Manager. Denn: "Überwachungskapitalismus war nicht der Grund, warum Tim Berners-Lee das Internet erschaffen hat." Der angesprochene Wissenschafter, der landläufig auch als "Vater des Internets" bezeichnet wird, sitzt seit September 2021 im Beirat von Proton Technologies.

Der Begriff "Überwachungskapitalismus" beschreibt das Wirtschaftsmodell von großen IT-Konzernen, die umfassende Daten über ihre Nutzer sammeln, Profile anlegen und diese dann etwa verwenden, um für Drittanbieter Werbung auszuspielen. Google und Meta (vormals Facebook) betreiben das schon lange. Aber auch Apple ist eifrig dabei, ein eigenes Geschäft mit Anzeigen in Suchergebnissen zu entwickeln.

Ein TED-Talk von Andy Yen über die Sicherheit von E-Mails im Jahr 2014.

Die Techwelt als Oligopol

Für Konsumenten gebe es eigentlich nur drei Ökosysteme, betrieben von Google, Apple und Microsoft, sagt der aus Taiwan stammende Teilchenphysiker. Eventuell könne man auch Facebook noch dazu zählen. Aber auch "Privatsphäre braucht ein Ökosystem", meint Yen. Viele wüssten nicht, was Googles Vision des Internets sei. Aber wenn man die Menschen darüber aufkläre, seien sie stets "erschrocken".

Dennoch seien die Dienste dieser Anbieter nach wie vor extrem populär. Das liege auch an fehlender Konkurrenz, meint er etwa unter Verweis auf Webbrowser. Und hat in diesem Aspelt nicht unrecht: Googles Chrome ist der weitaus beliebteste Browser, und auch viele andere Surftools, wie etwa Vivaldi, Opera oder seit einiger Zeit auch Microsofts Edge, setzen auf die Chromium-Codebasis und die Rendering-Engine Blink.

Daneben gibt es nur noch die Rendering-Engine Webkit von Apple, die verpflichtend von allen Browsern für Betriebssysteme des Konzerns genutzt werden muss. Als letzte wirklich offene Alternative verbleibt letztlich Mozilla Firefox, der seit seiner Hochzeit Ende der 2000er jedoch massiv an Nutzern verloren hat.

Yen, der schon zuvor zur Zerschlagung von "Big Tech" aufgerufen hat, kritisiert auch das De-facto-Duopol von Apple und Google bei Smartphones und die seiner Meinung nach oft "antikompetitiven Standardeinstellungen" von Android und iOS. Dies mache es, gerade in einer zunehmend nach dem "Mobile First" laufenden Medienwelt, für Konsumenten schwer, überhaupt zu erkennen, dass es Alternativen gibt.

Hoffen auf den "Digital Services Act"

Einige Hoffnung setzt Yen auf die künftige EU-Gesetzgebung unter dem "Digital Services Act". Diese soll es IT-Riesen auch erschweren, ihre dominanten Systeme zur aggressiven Vermarktung ihrer Services anzubieten. "Aber die Frage ist: Kann Europa das auch durchsetzen – und auch schnell genug, um einen Unterschied zu machen?"

Die Größe der IT-Riesen sei aber längst nicht nur ein Problem für Konkurrenz in der gleichen Branche. Egal, in welchem Business man tätig sei, Apple und Co können, wenn sie wollen, überall in fünf bis sechs Jahren ein mächtiger Konkurrent werden. Als aktuelles Beispiel nennt er Apples neuen Teilzahlungsdienst "Pay Later". "Diese Branche wird dezimiert werden", sagt der Proton-Chef voraus.

Auf dem Weg in die Dystopie?

Setzt sich diese Entwicklung fort, so drohten uns Zustände, wie man sie sonst nur aus dystopischen Filmen und Romanen kenne, mein Yen. "Dann werden wir in einer Welt enden, die von vier oder fünf Konzernen aus den USA und China kontrolliert wird, während wir alle von Sozialleistungen abhängig sind."

Um das zu verhindern, müsse die Politik schneller und proaktiver werden. "Warum ist die Politik immer so spät dran?", beschwert sich Yen. Man müsse die entsprechende Gesetzgebung jährlich aktualisieren. "Die Gesetze müssen sich so schnell entwickeln wie die Techwelt." (gpi, 21.6.2022)