"Lasst uns an die Arbeit gehen!" So beschloss Botschafter Alexander Kmentt seine erste kurze Rede nach der Wahl zum Präsidenten der ersten Vertragsstaatenkonferenz für ein globales Atomwaffenverbot. Und Arbeit wartet wahrlich genug auf ihn und all die anderen Staaten und NGOs, die sich in Wien versammelt haben, um das vertragliche Verbot von Nuklearwaffen ein weiteres Mal einzuzementieren. Die Arbeit wird weit über die dreitägige Konferenz hinausgehen, das ist allen Anwesenden klar.

Diplomatinnen und Delegierte sprechen davon, dass am Donnerstagabend mit einem "starken Abschlussdokument" zu rechnen sei, auch wenn das ein oder andere Detail noch auszuverhandeln ist. Zu erwarten ist freilich eine weitere Ächtung der mörderischsten aller Massenvernichtungswaffen. Und ein Aufruf an die Nuklearwaffenstaaten, sich dem Vertragswerk anzuschließen und ihre Waffen aufzugeben. Auch jene Staaten, die vom sogenannten Nato-Nuklearschirm beschützt werden, wird man erneut ermuntern, sich auf "die richtige Seite" der Weltgeschichte zu stellen.

So schnell wird das niemand tun. Aber das Verbot ist nun einmal draußen in der Welt, also muss man zumindest darüber sprechen, sagte schon am Montag der finnische Abrüstungsbotschafter Jarmo Vinanen zum STANDARD.

Was machen die Nato-Staaten?

Es ist genau diese Diskursverschiebung, die Atomwaffengegner seit Jahren versuchen hinzubekommen. Erst versuchten die großen mächtigen Atomwaffenstaaten, den Verbotsvertrag wegzuignorieren, später, ihn zu boykottieren oder aktiv zu sabotieren. Dass sie es nicht länger wagen, ihn einfach zu ignorieren, zeige doch schon, was für eine Wirkmacht im Vertrag stecke, analysiert Kmentt das Fernbleiben der Atommächte trocken. Und tatsächlich bleibt der Druck hinter den Kulissen weiter hoch. Auch eineinhalb Jahre später sind keine Offiziellen aus den Nuklearstaaten bei der Konferenz anzutreffen.

Kmentt ist Präsident.
Foto: APA/AFP/ALEX HALADA

Sehr wohl aber nehmen Vertreterinnen aus einigen Nato-Staaten, die Atomwaffen lagern (Deutschland, Belgien, Niederlande), enge US-Verbündete (Australien) und Länder, die der nordatlantischen Verteidigungsallianz beitreten werden (Schweden, Finnland), an der Konferenz teil. Sie legen bei jeder Gelegenheit Wert darauf, zu betonen, dass man nur zum "Beobachten" hier ist. Fast wie jemand im Kleidergeschäft, der dem Verkäufer "Ich schau mich nur ein wenig um" zuruft. Aber oft kauft man dann halt doch was. Genau darauf hoffen die Verbotsvertragsstaaten. Dass irgendwann der erste Dominostein fällt.

Anstupsen könnten diesen Stein vermutlich auch die nationalen Parlamente. Die niederländische erste Kammer zwang etwa ihre diplomatische Vertretung, am Treffen als Beobachter teilzunehmen. Gut möglich, dass demokratisch gewählte Parlamente ihren Regierungen künftig Ähnliches vorschreiben – vielleicht sogar in den Nuklearwaffenstaaten.

Nicht nur verbieten, abschaffen

Dass es zumindest Gesprächsbedarf gibt, ist klar: "Alle Indikatoren für Atomwaffen zeigen in die falsche Richtung, nur unser Vertrag nicht", sagt Kmentt. Tatsächlich war es um die Gefahren für die Weiterverbreitung von Atomwaffen schon lange nicht mehr so schlecht bestellt wie aktuell. Von den nuklearen Drohgebärden Russlands ganz zu schweigen.

Auch Beatrice Fihn, die Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), deren Team für die Bemühungen hin zu einer atomwaffenfreien Welt 2017 den Friedensnobelpreise erhielt, rief die Delegierten im Saal deshalb zur Arbeit auf: "Wir haben erreicht, Atomwaffen zu verbieten, nun gilt es, die Atomwaffen zu vernichten." Ein ungleich schwererer Akt, das wissen sie und alle im Raum. Aber es ist ein langer Weg, den schon jetzt ein Drittel aller Staaten weltweit bereit ist zu gehen. Montagabend kamen mit Kap Verde, Granada und Timor-Leste drei weitere Ratifizierungen des Verbotsvertrages hinzu, um die Zahl der Vertragsstaaten auf insgesamt 65 anzuheben. Weitere werden demnächst folgen, ist Fihn überzeugt.

Auch zahlreiche NGOs machten sich auf den Weg zur Konferenz.
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Auf Argumente hin, wonach die große Mehrheit der Weltbevölkerung in Staaten lebe, die dem Vertragswerk skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, betont Fihn, dass mit Mexiko, Brasilien, Bangladesch, Nigeria und Indonesien immerhin fünf der zehn bevölkerungsreichsten Staaten der Welt eine nuklearwaffenfreie Welt befürworten. Auch werde sich in ein paar Jahrzehnten aufgrund demografischer und wirtschaftlicher Entwicklungen das Machtzentrum der Welt nicht mehr allein im reichen Norden befinden, so Fihn.

Geboren ohne Arme

Neben warnenden Worten von UN-Generalsekretär António Guterres ("Atomwaffen eliminieren, bevor sie uns eliminieren") und Peter Maurer vom Internationalen Roten Kreuz dominierten bei der Eröffnung der Vertragsstaatenkonferenz wieder einmal die Geschichten der Atomwaffenopfer. Sie seien die einzig "wahren Experten zu Atomwaffen", sagt Fihn.

Geschockt und bewundernd lauschten die Delegierten dem ohne Arme geborenen kasachischen Maler und Friedensaktivisten Karipbek Kujukow, der seine Kindheit und Jugend in der Nähe eines sowjetischen Testgebiets schilderte. Tote Vögel, felllose Hunde, Lämmer mit zwei Köpfen, schwerstbehinderte Menschen, die DNA-Mutationen noch über Generationen weitergeben, gehörten zu seinem Alltag. Es ist ein Zeugnis der Atomwaffengeschichte, wie es aktuell nur noch wenige erzählen können – die meisten sind schon an den Folgen der Tests verstorben. Kujukow hätte die Geschichte selbst fast nicht erzählen können, wäre er als Kind doch beinahe getötet worden, um mit seiner Behinderung keine unnötige Last für die Familie zu sein.

Lockere Strukturen

Aber Kujukow und viele andere erzählen ihre Geschichten weiter. In der Hoffnung, dass die Welt eines Tages doch Abstand nimmt von der mächtigen Waffe. Dass dies ein schwerer Schritt ist, gerade wenn ein mit Atomwaffen drohender und aggressiv auftretender Wladimir Putin Europa und die Welt mit Atomwaffen bedroht, sei emotional nachzuvollziehen, sagt Fihn. Rational sei die Beseitigung der Waffe jedoch der einzig vernünftige Schritt.

Kmentt ist überzeugt, dass der Krieg in der Ukraine fundamentale Auswirkungen auf die Diskussionen haben wird. Nur welche, vermag er aktuell noch nicht zu sagen, betont aber, dass die Möglichkeit einer Katastrophe immer noch sehr real ist. Sollten Atomwaffen nicht zum Zug kommen, stehe die Welt jedenfalls vor einer Weggabelung: Wähnt man sich im Glauben um eine "falsche Sicherheit" durch mehr Atomwaffen, werde die Welt ein gefährlicherer Ort, sagt Kmentt. Oder man beschreitet eben den mühsamen Weg des internationalen Rechts hin zu einer Dezimierung der Waffe. Die Geschichte der Chemiewaffen, der Streumunition und der Landminen zeigt, dass ein komplettes Verbot möglich ist – eingehalten werden muss es dann halt auch.

"Atomwaffen eliminieren, bevor sie uns eliminieren." Uno-Generalsekretär António Guterres wurde deutlich.
Foto: APA/AFP/ALEX HALADA

In den kommenden Wochen und Monaten, bis zur nächsten Konferenz im Uno-Hauptquartier in New York, will Präsident Kmentt bei seiner Arbeit am Vertrag möglichst kosten- und zeitsparend auf eine "innovative" Struktur setzen, um es pandemietauglich und offen zu gestalten. Aktuell ist weder ein fixes Sekretariat noch ein Generalsekretär geplant. Eine Instanz, die die Vernichtung von Atomwaffen überprüft, werde ohnehin erst schlagend, sobald die Atomwaffenstaaten mitmachen, sagt Kmentt. "Das wird so schnell nicht geschehen", gibt er sich realistisch. Alles für den Fall vorbereiten werde man dennoch. Und man bleibt gesprächsbereit – sei es für Stimmen aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft oder verbotsskeptischen Staaten. Es sei nie zu spät. Dazuzukommen und auch nur dabei zu sein und "mal zu schauen" ist schließlich oft ein guter Start. (Fabian Sommavilla, 21.6.2022)