Im Gastblog berichtet Johann Rudorfer von ausgegrabenen Objekten, verschütteten Holzkonstruktionen und unbekannten "Schriftzeichen".

Jedes Jahr führen die Archäologinnen und Archäologen des Naturhistorischen Museums Wien in Kooperation mit den Salzwelten und den Salinen Austria ihre wissenschaftlichen Untersuchungen in Hallstatt durch. Es ist nun gut zehn Jahre her, dass in dem aktuell untersuchten Grabungsbereich hallstattzeitliche Gräber aufgedeckt wurden und dadurch die Ausdehnung des bis dahin bekannten Friedhofareals erweitert werden konnte. Damals kam unter anderem ein vermutlich rituell gebrauchtes Schöpfgefäß zum Vorschein, das dem Grab einer sozial hochstehenden Frau beigegeben wurde.

Kuh-Kälbchen-Gefäß aus dem Grab einer bedeutenden Frau.
Foto: NHM-Wien

Schichten der Geschichte

Unterhalb der bisher gefundenen Grablegungen, die in der Zeit um 500 v. Chr. erfolgten, konnten weitere Strukturen erkannt werden, die es notwendig machten, noch weiter in die Vergangenheit vorzudringen. Zunächst traten uns die Überreste einer mächtigen Massebewegung, also einer Mure oder eines Hangrutsches, entgegen. Darin fanden sich Artefakte, die von weiter oben im Hang, eventuell vom damaligen Siedlungsbereich, mitgerissen wurden und sich an besagter Stelle ablagerten. Anhand dieser Funde dürfte sich diese Katastrophe im 11. Jh. v. Chr. zugetragen haben.

Doch auch damit war unsere Arbeit noch nicht zu Ende, fanden sich doch unter der durchmischten Murenablagerung noch ältere Strukturen aus der späten Bronzezeit. Mittlerweile wissen wir, dass es sich dabei um die noch großteils intakte Konstruktion eines wohl wirtschaftlich genutzten Holzbaus handelt, der zum Teil in Blockbauweise errichtet wurde. Eingetieft in den anstehenden dichten Lehm (Letten) und mit ebenso luftdichten Lehmschichten überlagert, konnte er die Jahrtausende fast unbeschadet überdauern. Nur der nördliche Bereich ist aufgrund eines weiteren Hangrutsches auf die Seite verkippt. Das verbaute Holz ist immer noch in einem derart guten Zustand, dass uns die daraus ermittelte Jahrringabfolge eine exakte Datierung der Konstruktion ermöglicht. Mithilfe der Dendrochronologie ergeben sich Fälldaten von 1142/1141 v. Chr. Da die geschlagenen Hölzer wohl rasch bearbeitet und verbaut wurden, kann dies auch als Baudatum angesetzt werden.

Gesamtkonstruktion mit Datierungen (Vermessung und Bearbeitung J. Klammer).
Foto: NHM Wien

Über mehrere Grabungskampagnen, die jeweils zwischen sechs und zehn Wochen dauerten, konnten so Schritt für Schritt die Elemente eines mehrteiligen Bauwerks ausgegraben und dokumentiert werden. Leider erfasst unser Untersuchungsbereich nicht das gesamte Objekt. Diesem wollen wir in den kommenden Jahren durch gezielte Schnitterweiterungen Folge leisten, um so die noch unbekannte Funktion der Anlage klären zu können. Im letzten Jahr gelang es, die Ausdehnung nach unten zu erfassen. Der innere Teil der Konstruktion reicht noch gut 1,50 Meter tiefer als der Rest. Dort endet er im festen, anstehenden "Letten".

Visualisierung des Innenbaus aus Holzbohlen.
Foto: NHM Wien

An ihm konnten wir sehr gut die aufwendige Bauweise in einer Kombination aus klassischem Blockbau und Rundbohlenständerbau erkennen. So waren die ersten acht bis neun Lagen der waagrechten Holzbohlen an den Enden abgeschwächt und in die Nuten der vier in die Ecken platzierten Ständer eingesetzt. Darüber wurden dann die obersten ein bis zwei Lagen verbloggt.

Kerben als Informationsträger

Auf etwa einem Viertel der gut zwei Meter langen Rundbohlen, die aus Nadelholz, großteils aus Tanne, gefertigt wurden, konnten sehr wichtige Details festgestellt werden: Wohl mit Bronzebeilen wurden hier Markierungen in das entrindete Holz geschlagen. Zumeist konnten parallel verlaufende, rechteckige Kerben oder einfache Hackspuren erkannt werden, aber auch Dreiecke und Trapeze wurden sichtbar. Wir interpretieren diese Zeichen als Markierungsspuren, eine Art Nummerierung, die es den Handwerkern beim Zusammenbau der Anlage erleichtern sollte, die entsprechenden Teile an der richtigen Stelle zu platzieren.

Markierungen im Holz.
Foto: A.W. Rausch (NHM Wien)

Dabei handelt es sich um eine ganz bedeutsame Entdeckung, denn man kennt aus "unserer" Prähistorie noch kaum derartige "Schriftzeichen". Zwar können wir sie (noch) nicht lesen, doch ermöglichen sie uns einen besseren Einblick in die (Arbeits-)Welt der spätbronzezeitlichen Bewohnerinnen und Bewohner Hallstatts. So ist anzunehmen, dass die Hölzer nicht nur aufgrund des komplexen Bauwerks markiert werden mussten, sondern dies insbesondere durch die bereits stark differenzierte Arbeitsteilung erforderlich war. Diejenigen, die die Baumstämme fällten, waren wohl nicht dieselben, die sie zugerichtet und bearbeitet haben. Diese wiederum waren andere als jene, die sie schlussendlich zusammenbauten. So lässt sich hier im Kleinen, wie in jedem Kulturentwicklungsprozess, nachvollziehen, warum es notwendig wurde, sich innerhalb eines gesellschaftlichen Systems visuell zu verständigen. In weiterer Folge wurde die Information abstrahiert und so von ihren geistigen Trägern entkoppelt. Somit konnte die Nachricht auch jemanden erreichen, der in keinem persönlichen Bezug zu demjenigen stand, der das in der Information steckende Wissen trug.

Dokumentation und Konservierung

Da es sinnvoller ist, den gesamten Befund – mit Ausnahme einzelner Funde – im Boden zu belassen, wurde er nach erfolgter Dokumentation wieder mit luftdichtem Lehm verschlossen. Zu aufwendig wäre es, die Konstruktionshölzer zu bergen, um sie dann einem langanhaltenden Konservierungsprozess zu unterziehen und danach wieder zusammenzusetzen. Umso wichtiger ist die umfassende Dokumentation, bei der neben der üblichen 3D-Vermessung und Digitalfotografie auch modernste Methoden zur Anwendung kommen. So können wir dank der Unterstützung der Zentralen Forschungslaboratorien (ZFL) des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) die aus dem Boden gelösten Strukturen auch mittels 3D-Stukturlichtscanner erfassen.

Viola Winkler, Mitarbeiterin der ZFL am NHM, bei der dreidimensionalen Erfassung des Innenbaus.
Foto: A.W. Rausch (NHM Wien)

Dieses für organische Funde günstige Milieu ermöglichte es auch, dass sich neben klassischem Fundmaterial in Form einzelner Keramikscherben, Bronzebruchstücke und Tierknochen, vor allem Artefakte erhalten konnten, die auf Grabungsstellen in trockeneren und luftdurchlässigeren Böden kaum erhalten bleiben. Einige Gegenstände haben bekannte Funktionen oder sind gar aus dem Bereich der prähistorischen Salzminen bekannt. Andere aber kennen wir noch gar nicht.

Zylinderförmige Hölzchen mit unterschiedlichen Einkerbungen sind bislang noch keiner Verwendung zuordenbar.
Foto: A.W. Rausch (NHM Wien)

Im Gegensatz zu dem ebenfalls sehr gut erhaltenen organischen Fundmaterial aus dem Bergwerk sind unsere Artefakte, sobald sie aus ihrem luftgeschützten Milieu geborgen wurden, aufwendig zu erhalten. Nach der ersten Oberflächenreinigung und fotografischen Dokumentation werden die meisten Gegenstände in Spezialfolie einvakuumiert. In diesem Zustand gelangen sie entweder direkt in die Restaurierungswerkstatt der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums oder werden bis dahin in einem mehr als 1.000 Meter tief im Berg liegenden Lagerraum eingeschlichtet. Dort können sie unbeschadet bei gleichbleibender, kühler Temperatur und konstanter Luftfeuchtigkeit auf ihre endgültige Konservierung warten.

Neben diesen Artefakten stellen insbesondere aber auch die botanischen, entomologischen und zoologischen Funde aus den feinen Sedimentationsschichten direkt in und über dem Befund einen wahren Glücksfall dar. Früchte und Blätter von Pflanzen lassen uns Eindrücke darüber gewinnen, wie das Klima zu jener Zeit gewesen ist. Die Überreste von Insekten und Amphibien können uns Anhaltspunkte zu den Verfüllungsprozessen in dem damals offenstehenden Holzbau liefern. Um dies alles zu verstehen, ist mehr als nur archäologisches Wissen gefragt. Daher sind Archäobotanik, Archäozoologie, Entomologie und Geologie wesentliche Fachbereiche der interdisziplinären Forschungsarbeit in Hallstatt. (Johann Rudorfer, 23.6.2022)