Also wieder einmal Neuwahlen. Für die meisten Israelis kam die Nachricht Montagabend nicht überraschend. Erstens ist es in Israel inzwischen fast zur Gewohnheit geworden, mindestens einmal jährlich das Parlament neu zu wählen, die nächste Wahl wird die fünfte in weniger als vier Jahren sein. Es war eher eine Frage des Zeitpunkts: Seit die Koalition unter Premier Naftali Bennett vor zwei Monaten ihre Mehrheit im Parlament verloren hat, gilt sie als Dead Man Walking – als lebender Toter. Offen war nur, wer wann den Stecker zieht.

Wie es sich Montagabend abspielte, kam dann aber doch für viele überraschend. Ausgerechnet jene beiden Politiker, die am erbittertsten für den Erhalt der Koalition gekämpft hatten, leiteten nun ihr Ende ein. Ministerpräsident Bennett und Vizepremier Jair Lapid gaben bekannt, dass sie einer Auflösung des Parlaments zustimmen würden. Damit wird der Weg für Neuwahlen im Herbst freigemacht. Am Mittwoch soll der Gesetzesentwurf im Parlament eingebracht werden.

Naftali Bennet und Yair Lapid gehen nach ihrer Erklärung zur Parlamentsauflösung ab.
Foto: Reuters/Zvulun

"Alles getan"

"Wir haben alles getan, um diese Regierung zu retten", sagte Bennett. Auch Lapid, der als Chef der stärksten Regierungsfraktion eigentlich logischer Premierminister gewesen wäre, aber aus Staatsräson Bennett den Vortritt gelassen hatte, war sichtlich bestürzt. "Ich habe dich wirklich gern", sagte er Bennett zum Dank für den einjährigen Kampf um das Überleben der fragilen Acht-Parteien-Koalition. Es war vor allem ein Abwehrkampf gegen Oppositionschef Benjamin Netanjahu, der sich seit der Angelobung des selbsterklärten "Wandelbündnisses" vor allem einem Ziel verschrieben hatte: so bald wie möglich wieder an die Macht zu kommen.

Bis zur Neuwahl und darüber hinaus wird nun Jair Lapid die Regierung anführen, der heutige Premier Bennett wird dann sein Stellvertreter. Die beiden Politiker hatten zu Beginn ihrer Kooperation vereinbart, dass sie einander nach der halben Regierungsperiode abwechseln.

Da sich Regierungsverhandlungen in Israel traditionell zäh gestalten, könnte Israels Premierminister also noch bis ins Jahr 2024 Jair Lapid heißen. Sollten die Koalitionsverhandlungen scheitern und in sechste Neuwahlen münden, dann sogar noch länger.

Absurde Komödien

Einfach wird dieses Übergangsregieren nicht. In mehreren der acht Regierungsfraktionen rumort es. Es begann in Bennetts Rechts-außen-Fraktion Jamina, deren Basis sich als weniger kompromissfähig erwies als deren Chef. Am Ende kündigten ihm zwei seiner Abgeordneten die Zusammenarbeit auf und machten die Koalition de facto handlungsunfähig.

Nach und nach meldeten sich auch in anderen Parteien kritische Stimmen lautstark zu Wort. Es gipfelte darin, dass einzelne Abgeordnete gegen die Parteilinien stimmten und wichtige Gesetzesvorhaben der Regierung zu Fall brachten. Parlamentsplena glichen absurden Komödien: Da stimmten besatzungskritische Linksparteien und Araber für ein Gesetz, das Araber im besetzten Westjordanland schlechterstellt als jüdische Siedler. Und die Rechtsparteien in der Opposition, traditionell siedlerfreundlich, stimmten gegen das Gesetz und damit gegen eigene Interessen – allein, um die Regierung zu Fall zu bringen.

Etappenziel

Oppositionschef Benjamin Netanjahu hat somit sein Etappenziel, die "gefährliche Linksregierung" zu stürzen, erreicht. Brüche mit seiner eigenen Ideologie verzeihen ihm seine Fans allzu gern: Aktuelle Umfragen sehen den Langzeitpremier stärker als zuvor. Auch dem offen rassistischen und rechtsextremen Fraktionsbündnis von Bezalel Smotrich sagen Umfragen deutliche Zugewinne voraus.

Das einjährige Experiment, das Lapid und Bennett gewagt hatten, ein breites Bündnis von acht höchst unterschiedlichen Parteien zu gründen, gilt dann als beendet. Aber nicht unbedingt als gescheitert, meint der Politologe Yonathan Plesner, Leiter des Israelischen Demokratieinstituts: Immerhin sei es zum ersten Mal gelungen, eine arabische Liste in die Regierung zu holen, sagt Plesner. Und nicht nur das: In ihrem einjährigen Bestehen schaffte es die Koalition, dem Land nach dreijährigem Stillstand immerhin ein Budget zu verpassen und lang überfällige Personalentscheidungen zu treffen.

Nur von einer Frage wollte sich die Koalition fernhalten: der Besetzung des Westjordanlands. Am Ende war es genau dieser Konfliktpunkt, an dem die Regierung zerbrach. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 21.6.2022)