Natürlich verwendet auch Gottfried Hammerschmidt (42) Maschinen für die Ernte seiner Bio-Erdäpfel, obwohl man ihm ungeschaut glauben würde, dass er sie mit den eigenen Händen aus der Erde holt. So groß sind seine Pranken, dass sie auch als Kohleschaufeln durchgehen würden. Jetzt aber deutet er nur "Griaß eich!" damit und lacht freundlich aus einem Gesicht, das in zwei Meter Höhe angesiedelt ist.

Es ist halb zehn Uhr an einem Samstagvormittag in der Nordmanngasse vor der "Autofreien Siedlung" in Wien-Floridsdorf. Dort eingeparkt hat Gottfried seinen weißen Sprinter, mitgekommen ist seine Frau Tanja, 38 und Marketingfachfrau mit Abschluss an der FH Wiener Neustadt sowie landwirtschaftliche Meisterin im zweiten Bildungsweg. Sie sind heute früh im 150 Kilometer entfernten Litschau im Waldviertel gestartet, vollbepackt mit festkochenden und mehligen Erdäpfeln, dazu ein paar Raritäten in ungewohnten Farben. Zwiebel und "Rauna" (Rote Rüben) haben sie auch mit dabei, aber die sind quasi nur die Beilage.

Erdäpfelbauer Gottfried Hammerschmidt
Foto: Christian Fischer

Kaum haben sie die Türe ihres Sprinters geöffnet, greift Gottfried nach einem Fünf-Kilo-Sack, und Tanja zückt den Fleck, die Kellnerbrieftasche, mit der sie kassiert. Die erste Kundin entpuppt sich zunächst aber nur als Passantin, die sich gewissermaßen in der Türe geirrt hat: "Seids ihr die mit dem Brot?" – "Naaa!", lacht Tanja, "das Brot gibt’s drinnen im Hof, wir sind die mit den Erdöpfö!" Gelegenheit macht aber bekanntlich Käufer, und nach einem routinierten Verkaufsgespräch wechselt ein Fünf-Kilo-Sack gegen sechs Euro den Besitzer. Die neue Kundin schreibt auch gleich ihre E-Mail-Adresse in Tanjas Hefterl, um in den Verteiler aufgenommen zu werden. "In der Whatsapp-Gruppe sind wir auch schon 20 Leute", Tendenz: steigend. Was der Vater noch mit Mundpropaganda gesät hat, wird also langsam digital.

Biologisch aufbaubar

Von ihm und der Mutter, die in jenem Jahr gestorben ist, hat Gottfried den Betrieb 2010 übernommen, seit 1995 wirtschaften er und Tanja bio auf einer Fläche von "ein bisserl über 60 Hektar". Der Vater hat ab 1998 auch die Erdäpfel-Connection nach Wien aufgebaut, "ein Cousin von ihm, der was eigentlich a wengal a Weana ist und im Kurhotel in Oberlaa gearbeitet hat, hat sich a bisserl auskennt und ihm geholfen", erzählt Gottfried. "Der ist durch die Stadt gegangen und hat Wirten gefragt, ob sie Erdöpfö probieren woin." Und später, als sie nicht mehr nur probieren wollten, sondern auch bestellten, hat er dem Vater beim Ausliefern geholfen und ihm die Einbahnen in Wien erklärt.

Für "die Qualität, die eine andere ist!", zahlten die Kunden gerne mehr, heute sind es ab Hof ein Euro fürs Kilo und "in Wean oanszwoanzg". Im Großhandel hingegen, sagt Gottfried, koste konventionelle Ware 30 bis 40 Cent das Kilo, also um mehr als die Hälfte weniger, was insbesondere in der Gastro immer noch ein Argument sei. Allerdings, so Tanja, werde auch dort "das Gedankengut ständig besser hinsichtlich der Herkunftskennzeichnung, weil viele Wirten sich das dann an die Kochschürze heften: Wir haben zertifizierte Bio-Erdäpfel". Endlich mal ein heimisches Gedankengut, für das man sich nicht schämen muss!

"Die Mehligen gibt’s nur mehr selten, weil: Wer macht heute noch das Püree selbst?"
Foto: Christian Fischer

Von Hermes und Agria

Schämen müssen sich die Hammerschmidts schon gar nicht für ihre festkochenden Ditta und die mehligen Hermes, Agria und Bionta, die in "sandig-lehmigen Böden" wachsen, was zu "besonderem Geschmack und einer satten, gelben Farbe" führe, die auch Trudi und Michi schätzen. Sie leben seit 20 Jahren hier in der Gegend und kommen verlässlich um einen Fünf-Kilo-Sack, "auf Neudeutsch nennt man das Kundenbindung", sagt Michi. Sie würden sogar gerne mal rausfahren zum Hof ihrer Lieferanten, wo es neben den Erdäpfeln auch ein "Vier-Stern-Kuhhotel mit schönen Strohbetten, Wellnessbürste und Kinosesseln im Stall für alle, die noch nie eine Kuh gesehen haben", gibt. Miranda wiederum ist extra aus Klosterneuburg angereist und kauft für die Familie immer gleich die üblichen 30 Kilo, die sie in einem Monat locker verputzen würden, weil der Sohn ein guter Esser und das Erdäpfelgulasch eine Leibspeise von ihnen allen sei – das Gulasch selbstredend mit Mehligen.

"Die Mehligen gibt es nur noch selten", erklärt Gottfried. "Wer macht heute noch das Püree selbst, wenn es in den Supermärkten das Fertigprodukt gibt?" Miranda tut es ganz sicher, denn die fragt beim Abschied: "Wann kommt ihr wieder?" – "Im nächsten Monat!"

Ab halb zehn Uhr vormittags stehen Gottfried und Tanja Hammerschmidt in Wien-Floridsdorf und verkaufen ihre Bio-Erdäpfel an Lauf- und Stammkundschaft. Ihre Ware ist etwas teurer als konventionelle, aber langsam wird auch in der Gastronomie anerkannt: "S’ schmecken halt auch besser."
Foto: Christian Fischer

Der Selbstversorgungsgrad mit Erdäpfeln in Österreich liegt bei 96 Prozent, der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch beträgt rund 56 Kilo. Hauptanbaugebiete sind Niederösterreich und Oberösterreich, 51 verschiedene Erdäpfelsorten sind derzeit auf der österreichischen Sortenliste eingetragen, EU-weit sind es etwa 1400 Sorten, die sich in Form, Farbe und Geschmacksrichtung unterscheiden. Die Ernte beginnt je nach Gebiet und klimatischen Bedingungen bereits ab April.

Dabei werden bei den Hammerschmidts Steine und Erdklumpen, "die in der Größe vom Erdäpfel sind, händisch vom Band geklaubt". Immer noch schön dreckig lagert die Ware dann in Großkisten aus Holz im Keller oder in der Halle. Die Sortierung erfolgt erst unmittelbar vor dem Verkauf und natürlich auch händisch, weil die Knollen dadurch am wenigsten beschädigt werden. Außer natürlich, Gottfried macht einen auf "Seewolf" Raimund Harmstorf und zerdrückt eine Knolle. Was er aber nie tun würde, denn "alles, was nicht verkauft werden kann, wird bei uns an die Milchkühe verfüttert". Denen ist es auch egal, ob die Erdäpfel geschält sind oder nicht, grundsätzlich könne man sie ja mit Schale essen, aber "es steckt halt in den Leuten drin, dass alles sauber und geschält sein muss".

Goldener Erdapfel

Leider nur online konnte auch heuer wieder der "Goldene Erdapfel" der Landwirtschaftskammer Niederösterreich vergeben werden. Einreichungen gab es aus 22 Bezirken Österreichs, in der Kategorie "festkochend" traten 23 verschiedene Sorten gegeneinander an. "Am Ende konnte sich auch heuer wieder die noch recht junge österreichische Züchtung Valdivia behaupten", heißt es in der Aussendung, sie wuchs auf einem Bauernhof in Kärnten.

Markus ist der Letzte, der seine fünf Kilo vom Sprinter der Hammerschmidts abholt, Mehlige natürlich. Und dabei erzählt er, wie schlecht es ihm immer gehe während der Monate des Jahres, in denen aus Litschau keine Erdäpfel nach Wien kommen. Dann, so sagt er, freue er sich wirklich immer schon aufs nächste Jahr, wenn der Transporter mit dem Gmündner Kennzeichen wieder in der Nordmanngasse steht, an einem Samstagvormittag ab halb zehn. (Manfred Rebhandl, 23.6.2022)