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Auch wenn heute nicht mehr über sauren Regen debattiert wird, ist das Problem der Luftverschmutzung noch längst nicht gelöst – im Gegenteil.

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Waldsterben, saurer Regen oder Ozonloch sind Begriffe, die wie Relikte auf vergangene Debatten über Luftverschmutzung verweisen. Immerhin brachten Katalysatoren und industrielle Filtertechniken wesentliche Verbesserungen. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mensch nach wie vor großen Einfluss auf die Luftgüte hat.

Viele der gesundheitsschädlichen Emissionen sind auch für den Klimawandel relevant. Umgekehrt hat die globale Erwärmung einen Rückkopplungseffekt auf die Atmosphärenchemie und verstärkt gewisse Effekte, die trotz intensiver Forschung im Detail wenig verstanden werden.

Landwirtschaft im Visier

In Österreich sind Forschungen im Bereich "anthropogener Einflüsse auf die Atmosphäre und deren Auswirkungen auf Menschen und Ökosysteme" unter anderem in der Kommission Klima und Luftqualität (KKL) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gebündelt. Den Bereich Luftqualität koordiniert hier Wilfried Winiwarter, der am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg tätig ist. Er beschäftigt sich mit einer Schadstoffquelle, die neben der Industrie und Autoverkehr in ihrer Tragweite oft unterschätzt wird – der Landwirtschaft.

Substanzen wie Methan, Lachgas oder Ammoniak seien auch ohne das Zutun des Menschen Teil atmosphärischer Kreisläufe. "In dem Umfang, in dem sie heute aber durch die Düngung oder die Tierzucht freigesetzt werden, verunreinigen sie die Atmosphäre in hohem Ausmaß", sagt Winiwarter.

Die Viehzucht gilt als oftmals unterschätzte Schadstoffquelle.
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"Lachgas und Methan sind Treibhausgase. Methan wirkt im fotochemischen Kreislauf der Atmosphäre aber auch als Vorläuferstoff für troposphärisches Ozon, das auf die menschliche Gesundheit und indirekt auch auf das Klima wirkt. Ammoniak kann direkt Pflanzen schädigen und ist eine Vorläufersubstanz für gesundheitsschädlichen Feinstaub", zählt der Wissenschafter auf.

Dass viele der Emissionen, die die Luft verschmutzen, auch den Klimawandel antreiben, ist klar. Aber auch die Erderwärmung selbst hat Auswirkungen auf die Atmosphäre. Eine wärmere Atmosphäre habe Einfluss auf die chemischen Prozesse, die die Luftgüte bestimmen.

Atmosphärenchemie

"In Zukunft kommt es wesentlich stärker auf das Ausmaß der schädlichen Emissionen an, die der Mensch in die Atmosphäre einbringt", sagt der Wissenschafter. Doch dazu zählen auch Luftschadstoffe, die etwa bei Waldbränden freigesetzt werden – und die zum Teil dem Klima, zum Teil aber auch anthropogenen Aktivitäten zuzuordnen sind.

Der Klimawandel wirkt etwa auf die Atmosphärenchemie, indem er Niederschlagsmuster beeinflusst. Fällt der Regen seltener, der die Schadstoffe aus der Luft wäscht, hat das Folgen für weitere Atmosphärenprozesse.

Gleichzeitig beeinflussen höhere Temperaturen die Oxidationskapazität von Luftschadstoffen. Das ist relevant, weil die Oxidation die Wasserlöslichkeit der Stoffe – und damit die Reinigungskraft des Regens – verbessert, erklärt Winiwarter. Zudem kurbelt die Erwärmung auch fotochemische Prozesse zur Entstehung von Ozon an.

Luftgüte-Vorhersage

Über kurzfristige Prognosen zur Schadstoffbelastung macht sich Marcus Hirtl Gedanken. Er beschäftigt sich bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) – einer Forschungsstelle des Wissenschaftsministeriums – mit einem "chemischen Transportmodell", das die Verteilung von gesundheitsschädlichen Stoffen in der Atmosphäre simuliert.

Neben menschengemachten Schadstoffen bringen auch natürliche Ereignisse wie Vulkanausbrüche die Atmosphäre durcheinander.
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Ozon, Stickstoffoxid, Kohlenmonoxid, Feinstaubpartikel und Schwefeldioxid, das heute vor allem nach Vulkanausbrüchen in stärkeren Konzentrationen in der Atmosphäre vorhanden ist, werden berücksichtigt. Ihrer in der Modellierung habhaft zu werden, hat durchaus seine Tücken, verdeutlicht Hirtl.

Basis der Vorhersagen sind Daten aus den heimischen Emissionskatastern, die von Bundesländern und vom Umweltbundesamt erstellt werden. "Hier werden allerdings Jahreswerte für die Emissionen ausgewiesen. Unsere Aufgabe ist es, die Daten zu disaggregieren – wir müssen Methoden anwenden, die die Jahressummen in stündliche Werte aufsplitten und dabei die Tagesschwankungen in Verkehr und Industrie berücksichtigen", skizziert Hirtl. In 90 Prozent der Fälle funktioniere das sehr gut. "Ausreißer gibt es bei außergewöhnlichen Ereignissen. Wenn etwa beim Wien-Marathon ein Teil der Stadt autofrei ist, passen die Werte vielleicht nicht mehr ganz genau."

Satellitendaten

Aktuelle Messungen fließen in die Prognose noch nicht ein. "Die Messdaten liefern Schadstoffkonzentrationen, aber keine direkten Emissionsmengen. Sie mit den Katasterdaten abzugleichen ist eine große Herausforderung", erklärt Hirtl. "Die Zeitreihen der Messstationen verwenden wir in erster Linie in Forschungsprojekten, etwa um Modelle zu validieren."

Auch Satelliten spielen bei der Beobachtung und Messung der Atmosphäre eine wichtige Rolle.
Foto: AFP

Satellitendaten sind gerade für die Abschätzung großräumiger Entwicklungen hilfreich. Derzeit liefert der Sentinel-5p-Satellit ein tägliches Update, in Zukunft soll der geostationäre Sentinel 4, der 2023 abheben soll, die zeitliche Auflösung maßgeblich verbessern.

Doch auch der Blick von oben, bei dem jedes Gas aufgrund seines "spektralen Fingerabdrucks" identifizierbar ist, hat einen Haken: "In den Satellitenaufnahmen repräsentiert jedes Pixel eine Säule, die vertikal durch die ganze Atmosphäre verläuft. Das bedeutet: Man kennt nur die aufsummierte Konzentration für diese Punkte, keine Werte für verschiedene Höhen", sagt Hirtl. "Auch hier kann nur mit entsprechenden Modellen abgeleitet werden, ob es etwa bodennahe gesundheitsgefährdende Konzentrationen gibt."

Digitaler Erdzwilling

In der Vorhersage der ZAMG werden Emissionen, die Atmosphärenchemie, die etwa die Entstehung von Ozon aus seinen Vorläufersubstanzen beschreibt, und meteorologische Prozesse gemeinsam modelliert. Die Vorhersagen unterstützen etwa die offiziellen Ozonwarnungen in Österreich.

Künftig möchte die ZAMG ihre Luftqualitätsexpertise auch noch in einem viel größeren Maßstab einbringen – in der Initiative Destination Earth der Europäischen Kommission, für die man sich beworben hat. Das Ziel des großangelegten Projekts: ein "digitaler Erdzwilling", der die Interaktion zwischen Natur und menschlichen Aktivitäten auf der gesamten Erde simuliert. (Alois Pumhösel, 1.7.2022)