Regisseurin Katharina Mückstein wollte auf Instagram über Übergriffe in der Kulturbranche reden – und wurde von Erfahrungsberichten überrollt.

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Intendanten, die Schauspielerinnen vor der Toilette abpassen, heimliche Nacktfotos in der Garderobe, Professoren, die gegenüber Filmstudierenden offen den Wunsch ausdrücken, mit ihnen schlafen zu wollen. Solche Geschichten über die heimische und deutsche Kulturbranche sammeln sich seit Sonntag auf dem Instagramprofil der Regisseurin, Drehbuchautorin und Dozentin Katharina Mückstein. Persönliche Berichte von ihr und anderen Betroffenen offenbaren: Es geht nicht um einzelne Täter, sondern um strukturelle Schwächen an Orten, die oftmals öffentlich finanziert sind und sich gerne nach außen progressiv und feministisch positionieren.

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Die zahllosen Posts zeigen auch: Vorfälle wie diese scheinen ein offenes Geheimnis zu sein. "Ich wollte von meinen eigenen Erlebnissen berichten, was ich auch davor schon öfter getan habe", so Mückstein über die Gründe, warum sich gerade jetzt so viele an sie wandten. "Ich habe eigentlich nur aus einer Laune heraus geschrieben, auch andere können mir ihre Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen und Gewalt in der Filmbranche schicken", erzählt sie im Gespräch mit dem STANDARD. Es wurden schließlich hunderte Erfahrungsberichte. "Vielen davon habe ich gar nicht gepostet, weil sie derart krass und explizit waren, dass ich es einfach unpassend fand, die Betroffenen zu fragen, ob ich das veröffentlichen kann", erzählt Mückstein.

Ausziehen war normal

Schauplatz der berichteten Vorfälle sind Ausbildungsstätten, Bühnen oder Filmsets. Ein Regisseur erzählte von seiner Ausbildung an einer renommierten Schauspielschule, dass es ganz normal gewesen sei, dass sich junge Schauspielerinnen auf Wunsch von einem Professor auf der Bühne ausziehen mussten – warum gerade sie, das wurde nicht beantwortet. Männern wurde gesagt, sie sollen "aus den Hoden heraus spielen", Frauen "aus der Gebärmutter". Beim Einstieg in den Beruf geht es weiter. Hier kann schnell der eigene Job auf dem Spiel stehen, wenn man sich gegen sexuelle Belästigung wehrt. Für Täter gebe es oftmals keine Konsequenzen. Eine Betroffene schildert von einem Intendanten, der ihr auf ihre Arbeit die Rückmeldung gab: "Soll ich dich ficken, damit das besser funktioniert?" Er sei noch immer in seiner Position tätig, die Schauspielerin habe bis heute nicht die ganze Gage erhalten.

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Die Masse an Rückmeldungen habe Mückstein zwar auch schockiert, sagt sie. Doch besonders betroffen zeigt sich die 40-Jährige davon, dass die meisten, die sich bei ihr gemeldet haben, sehr jung sind. "Sie müssen offenbar dieselben Erfahrungen machen wie ich vor 15 Jahren." Und auch die Täter "wachsen nach und sind jung", es seien nicht nur "alte weiße Männer". "Das System, in dem wir arbeiten, hat sich nicht zum Besseren verändert." Mit dem Versuch, Frauen gezielt zu benachteiligen, wurde auch Mückstein konfrontiert, als sie die Förderzusage für ihren ersten, größer finanzierten Film erhielt. Zwei in der Branche etablierte männliche Kollegen hätten bei der betreffenden Stelle angerufen, um ihr das Geld abzusprechen – mit der Begründung, es sei ihr nur zugesagt worden, weil sie eine Frau sei.

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Mit #MeToo vor knapp fünf Jahren hat sich dennoch viel bewegt, ist Mückstein überzeugt. "Damals haben viele Frauen realisiert, dass beispielsweise ein Produzent nicht nur ein Arschloch ist, sondern es handfeste Diskriminierung oder Übergriffe waren, was der getrieben hat." Im Unterschied zu vor fünf Jahren sieht Mückstein auch ein größeres Bewusstsein dafür, was Übergriffe oder Machtmissbrauch sind. "Darum melden sich jetzt auch Männer bei mir, die Opfer geworden sind. Homo-, Transphobie und Rassismus sind große Themen, und es geht längst nicht mehr nur um diese Mann-Frau-Wahrnehmung."

Was noch immer fehlt

Viele Betroffene fordern schon lange eine unabhängige Ombudsstelle. Auch Arbeitgeber oder Fördergeber müssten klarmachen, dass es null Toleranz für unangemessenes Verhalten gibt, sagt Mückstein.

Im Moment gibt es einige kleine Netzwerke und Vereine, wo die Ressourcen für ausreichend Hilfe aber fehlen würden. Die Regierung hat auf die Rufe reagiert und eine Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport angekündigt. Sie soll bis Herbst ihre Tätigkeit aufnehmen.

Sophie Rendl, Vertreterin des Vereins Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst und Kultur, ist Antidiskriminierungsexpertin und betont auf Anfrage: "Die Aufmerksamkeit muss weg von einer individuellen Verantwortung der Betroffenen hin zu einer kollektiven Verantwortung." Doch wie #MeToo schon 2017 gezeigt hat: Erst müssen sich offenbar viele Einzelne vorwagen. (Helene Dallinger, Beate Hausbichler, Anna Wielander, 21.6.2022)