Der Große Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht für Strafsachen ist wieder einmal Schauplatz eines Prozesses gegen Anhänger der Terrororganisation "Islamischer Staat".

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Wien – Einst war Mirsad O. als "Abu Tejmar" bekannt – der 40-Jährige predigte in dubiosen Moscheen Radikales und warb Kämpfer für den selbsternannten "Islamischen Staat" an. 2016 wurde er deshalb bereits zu 20 Jahren Haft verurteilt, in einem weiteren Prozess wurde ein Schuldspruch ohne Strafe gefällt. Nun sitzt der Serbe mit zwei Mitangeklagten zum dritten Mal wegen Terrorunterstützung vor einem Geschworenengericht, wieder geht es um eine Zusatzstrafe – die Alternativen für die Laienrichterinnen und Laienrichter sind entweder ein neuerlicher Schuldspruch ohne Strafe oder die Verhängung einer lebenslangen Haft.

Der von Leonhard Kregcjk verteidigte O. bekennt sich schuldig, will sonst aber keine Angaben machen. Erst am vorletzten Verhandlungstag nutzt er nach Ende des Beweisverfahrens die Chance, sich in seinem Schlusswort etwas ausführlicher zu äußern. "Ich habe mich verändert", beteuert der Angeklagte und gesteht auch unumwunden zu, "Fehler" gemacht zu haben. Er wisse, dass er nach Verbüßung der Haft ausreisen müsse und von seiner Familie getrennt werde, auch das sei eine Art Strafe. Aber: "Ich bin froh, dass meine Familie in Österreich leben kann", betont er, dass er einem Staatsgebilde mit religiösen Grundregeln nicht mehr nachtrauert.

Wenig staatliches Interesse an Widerruf

Aber ist dem früheren Prediger zu trauen? Ja, sagt ein Mitarbeiter des Vereins Derad, der sich mit der Deradikalisierung islamistischer Straftäter beschäftigt. "Ich betreue O. seit 2016, als er in Untersuchungshaft gesessen ist", erinnert er sich. Aus seiner Sicht habe der Angeklagte sich tatsächlich von dem Weltbild abgewandt. O. sei sogar bereit gewesen, ein Video aufzunehmen, in dem er seine früheren radikalen Aussagen – die noch immer im Internet auffindbar sind – widerruft, berichtet der Zeuge. Allein, die staatlichen Stellen hätten bisher kein Interesse daran gezeigt. "Oft sind die Kommunikationswege lang und man bekommt lange keine Antwort", bedauert der Derad-Mitarbeiter.

Der Vorsitzende, der im Frühjahr 2019 den späteren Wien-Attentäter verurteilt hat, ist nachvollziehbarerweise vorsichtig und will vom Zeugen wissen, ob man einen derartigen Sinneswandel nicht auch vorspielen könne. "Natürlich gibt es Klienten, die sich verstellen", gibt der Befragte sich keiner Illusion hin. Allerdings habe Derad im vergangenen Jahr 130 Personen betreut, dadurch sammle man viel Erfahrung. "Etwas Vorspielen funktioniert eine Zeitlang, aber nicht über siebeneinhalb Jahre", ist der Zeuge überzeugt. Der noch etwas anderes anmerkt: "Über den Wien-Attentäter gab es nie einen positiven Bericht von uns", hält er fest.

Entschuldigung für "Dummheit"

Der Zweitangeklagte, ein 27-jähriger Österreicher, der sich seit sieben Jahren wöchentlich bei der Polizei melden muss, um auf freiem Fuß zu bleiben, bekennt sich teilweise schuldig. Auch er habe sich mittlerweile vollständig von der islamistischen Ideologie distanziert, versichert seine Verteidigerin Anna Mair. Er selbst sagt zu den Geschworenen: "Ich möchte mich für meine eigene Dummheit entschuldigen." Er sei zum Tatzeitpunkt 2014 und 2015 noch jung gewesen: "Wäre ich nicht in diese Kreise gekommen, wäre es wahrscheinlich das Drogenmilieu geworden", mutmaßt der Familienvater. Seine Verteidigerin kritisiert auch die federführende Staatsanwaltschaft Graz: Die Verfahrensdauer sei ungebührlich lang – tatsächlich waren die Erhebungen bereits 2016 abgeschlossen, eine Anklage wurde aber erst vier Jahre später eingebracht.

Nur der Drittangeklagte, ein Afghane, zu dem zwei unterschiedliche Geburtsdaten existieren, bekennt sich nicht schuldig. Auch er soll in einer radikalen Moschee gepredigt und versucht haben, einen Kredit zur Terrorfinanzierung aufzunehmen. In dem sechstägigen Verfahren habe sich aber herausgestellt, dass von 30 Zeugen keiner die angeblichen Hasspredigten gehört habe, moniert sein Verteidiger. Tatsächlich gäbe es nur einen Belastungszeugen, der über Gerüchte gesprochen habe. Das geplante Darlehen sei für einen Autokauf gedacht gewesen, da die Raten aber zu hoch gewesen seien, habe der Drittangeklagte darauf verzichtet.

Stundenlange Beratungen der Geschworenen

Aufgrund der rechtlich diffizilen Beurteilung der 21 an die Geschworenen gestellten Fragen nutzt der Vorsitzende die Möglichkeit, bei der mehrstündigen Beratung der Geschworenen diesen mit seiner Expertise zur Seite zu stehen. Nach über neun Stunden Beratung werden dann die Urteile verkündet: O. erhält neuerlich einen Schuldspruch ohne Strafe, es bleibt also bei den 20 Jahren. Der Zweitangeklagte erhält zwei Jahre Haft, 16 davon sind bedingt, zusätzlich wird Bewährungshilfe und Deradikalisierung angeordnet. Der drittangeklagte Afghane wird von den Terrorvorwürfen freigesprochen, wegen des Kredits wird er zu fünf Monaten bedingt verurteilt. Die Angeklagten akzeptieren, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, die Entscheidungen sind daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 22.6.2022)